Publiziert am: 13.02.2025 13:09:58. Autor:innen: Kerstin Bund, Kathrin Werner
Auf dem Schreibtisch in der Kinderwunsch-Klinik im Palais an der Staatsoper steht eine Karte mit einem Foto von Elon Musk. Der Tech-Milliardär sieht in sinkenden Geburtenraten die größte Gefahr für unsere Zivilisation. „Kampf der Untervölkerung“ steht darauf. Könnte auch der Slogan von Jörg Puchtas Praxis sein. An der Wand hängen Hunderte Geburtskarten von Babys, die in Puchtas Laboren nach künstlicher Befruchtung entstanden sind. Der Hormon-Spezialist hat es als „Doktor Baby“ in München zu gewisser Prominenz gebracht. Nun hat der 64-Jährige auch deutschlandweit für Aufsehen gesorgt. In einer Stellenanzeige im Deutschen Ärzteblatt fragte er: „Wo sind die Gipfelstürmer dieser Nation mit Verachtung für Work-Life-Balance und New-Work?“ Das löste in den sozialen Medien eine hitzige Debatte über die Leistungskultur aus.
SZ: Herr Puchta, reden wir über Geld. Wie viel verdient denn so ein „Gipfelstürmer“ in Ihrer Klinik?
Jörg Puchta: Das kommt darauf an, wie sehr er Gipfel stürmt. Also wie gut er ist und wie viel er arbeitet. Wir suchen Ärzte, die als Partner einsteigen und die Klinik perspektivisch übernehmen wollen. Was sie dann verdienen, müssen sie mit uns aushandeln, es ist jedenfalls kein Angestelltengehalt.
SZ: Genug, um auf das Life in der Work-Life-Balance zu verzichten?
Wissen Sie, die Work-Life-Balance ist ja ein neumodisches Phänomen. Als ich Arzt wurde, haben alle 80 Stunden und mehr in der Woche gearbeitet. Teilzeitstellen waren undenkbar in der Medizin.
SZ: Und das war besser damals?
Die Wochenarbeitszeit ist in keinem anderen Industrieland so niedrig wie in Deutschland. Wir haben nicht zu wenig Life, wir haben zu wenig Work. Viele, die sich bei uns bewerben, fragen nach einer Drei- oder Viertagewoche. Wenn immer mehr Menschen immer weniger arbeiten wollen, kommt die Gesellschaft irgendwann an einen Punkt, an dem sie nicht mehr gut versorgt ist. Mit einer Viertagewoche können wir einen Laden wie unseren zusperren. Wir können einer Schwangeren, die blutet, ja schlecht sagen: Tut uns leid, wir sind erst nächste Woche wieder für Sie da.
SZ: Die Deutschen arbeiteten zuletzt 55 Milliarden Stunden im Jahr, ein Rekord. Es waren noch nie so viele erwerbstätig wie heute, nur arbeiten viele halt Teilzeit. Wieso stellen Sie statt einer Vollzeitkraft nicht zwei Teilzeitkräfte ein?
Die Leute müssen Sie erst einmal finden! Wir haben Fachkräftemangel. Während Corona haben wir drei Mitarbeiterinnen verloren, weil wir kein Home-Office bieten können. Die arbeiten jetzt für eine Versicherung. Und was ist die Konsequenz? Die Leute, die noch da sind, müssen noch mehr leisten.
SZ: Beschäftigen Sie Teilzeitkräfte?
Bei uns arbeiten alle Vollzeit. Im Grunde müssen wir sieben Tage die Woche abdecken, wir kommen mit Halbtagskräften einfach nicht hin. Ich bin an sich nicht gegen Teilzeit. Jeder darf entscheiden, wie viel er arbeitet. Ich bin ein Anhänger von Freiheit. Die Realität ist aber, dass wir überall zu wenig Personal haben und wir die Arbeit kaum schaffen. Nicht nur bei uns in der Praxis, Fachkräfte fehlen ja überall.
SZ: Wir sollten also alle mehr ranklotzen?
Wir reden in diesem Land über Arbeit, als ob sie etwas Schlechtes wäre. Das müssen wir abstellen. Arbeit ist etwas sehr Sinnstiftendes und unglaublich wichtig. Schauen Sie sich doch die Menschen an, die nicht arbeiten. Thomas Mann wird das Zitat zugeschrieben:
SZ: Viele Mütter arbeiten Teilzeit, weil es an Kinderbetreuung mangelt.
Die fehlende Vereinbarkeit ist meiner Ansicht nach eine schwache Ausrede. Die Wahrheit ist: Wir haben in Deutschland den Biss verloren. Wir haben uns zu sehr an unseren Wohlstand und an unsere Privilegien gewöhnt. Vor 15 Jahren hatten wir nur drei Prozent Teilzeitstellen in der Medizin, heute liegen wir bei knapp 40 Prozent. Die Leute fehlen dann natürlich.
SZ: Wie viele haben sich bisher auf Ihre Anzeige beworben?
Wenn ich nur die ernsthaften Bewerbungen zähle, sind es sieben. Die sind aber hochinteressant. Unter den Bewerbern ist nur ein Mann. Das finde ich interessant, weil uns auf Linkedin ja zu viel Maskulinität vorgeworfen wurde.
SZ: Ihre Anzeige liest sich nicht gerade frauenfreundlich. Sie verwenden dort ausschließlich die männliche Form. Absicht?
Gendern verunstaltet die Sprache, ich halte es für hinderlich und nicht notwendig. Ich habe 900 Zuschriften auf Linkedin bekommen auf die Anzeige. Viele waren sehr kritisch. Es gab aber auch viele positive Reaktionen.
SZ: Von wem?
Von Managern und Unternehmensführern, sogar der CEO eines Münchner Dax-Konzerns hat mir gratuliert. Zu viele Menschen in Deutschland leugnen die Realität: Ökonomisch sind wir auf einem Katastrophenkurs, die Wirtschaft ist am Absacken. Inzwischen ist es sogar so, dass diejenigen, die den Laden noch am Laufen halten, sich dafür rechtfertigen müssen.
SZ: Wie meinen Sie das?
Ich höre oft den Vorwurf: Du arbeitest zu viel. Du solltest auf deine Work-Life-Balance achten. Warum muss man denen, die das Land am Laufen halten, auch noch an den Karren fahren?
SZ: Sind das vor allem die Jungen, die aus Ihrer Sicht nicht mehr so viel leisten wollen?
Die Jungen haben ein anderes Mindset, sie sind nicht mehr so zäh. Viele sind fähig und gut ausgebildet, aber sie sind sehr behütet und in größerem Wohlstand aufgewachsen als wir. Natürlich trifft das nicht auf alle zu. Ich habe vier Töchter, eine ist selber Ärztin. Die haben alle ein unglaubliches Arbeitsethos.
SZ: Ist die sinkende Arbeitsmoral, die Sie beobachten, ein deutsches Phänomen?
Im Wall Street Journal war neulich ein Artikel über junge Ärzte in den USA, die auch nach mehr Work-Life-Balance verlangen. Aber wissen Sie was? Die haben das Recht, sich zu beschweren. Die arbeiten teilweise 100 Stunden und mehr die Woche. Aber unsere Ärzte?
SZ: Wie war das, als Sie ein junger Arzt waren?
Ich bin 1960 geboren, ein Babyboomer. Wir waren viele, und wir mussten uns gegen andere durchsetzen. Als ich in den Achtzigerjahren mein Medizinstudium begann, gab es eine Ärzteschwemme. Wir mussten wirklich kämpfen. Da hat man eine andere Power und weniger Ansprüche als jemand, der weiß, dass er sich den Job später mal aussuchen kann.
SZ: Wie sind Sie aufgewachsen?
Ich komme aus einer Arbeiterfamilie, aus armen Verhältnissen. Mein Vater war Elektrotechniker. Wir waren vier Geschwister, und es hat immer an Geld gefehlt.
SZ: Wie äußerte sich das?
Ich werde nie vergessen, wie wir als Kinder mit den Milchkannen zum Bauern liefen. Da lagen schreckliche Hunde an der Kette, wir hatten Angst ohne Ende. Aber dann gab es ein Glas Milch, und das war für uns großartig. Wir hatten so gut wie kein Spielzeug. Auch im Studium musste ich viel arbeiten, als Taxifahrer, in der Fabrik, im Krankenhaus. Ich hatte sogar mal einen Studentenjob im Atomkraftwerk. Damals hat man die Dinge mehr selber angepackt. Und nicht gedacht, dass jemand anderes für einen einspringt, der Staat zum Beispiel.
SZ: Wie wichtig war es Ihnen, später mal viel Geld zu verdienen?
Das glauben Sie mir jetzt nicht, aber Geld ist mir nicht wichtig. Man kann ja gar nicht so viel Geld ausgeben, wie man vielleicht ansammeln kann. Jeder von uns kann nur essen. Klar, wir können toll essen, aber auch dann nur so viel, bis wir satt sind.
SZ: Wo waren Ihre vier Töchter, als Sie 80 Stunden in der Woche gearbeitet haben?
Ich hatte eine tolle Frau. Als die Kinder klein waren, und unsere ersten drei kamen im Abstand von jeweils einem Jahr auf die Welt, hat sie eine Zeit lang nicht gearbeitet und sich um die Kinder gekümmert. Das haben wir uns bewusst so geleistet.
SZ: Sie sind geschieden. Lag das an Ihrem Arbeitspensum?
Nein, überhaupt nicht, wir haben uns einfach auseinandergelebt wie so viele Paare.
SZ: Was haben Sie verpasst, als Ihre Kinder klein waren und Sie bis spätabends in der Klinik waren?
Natürlich habe ich Opfer gebracht, ich will das überhaupt nicht beschönigen. Aber ich habe die Zeit, die ich dann zu Hause war, wahnsinnig genossen. Und meine damalige Frau war wirklich großartig. Als ich in Nachtdiensten in der Klinik festhing, kam sie regelmäßig mit den Kindern im Schlepptau und hatte Kuchen gebacken, und ich habe die Kinder dann in der Klinik gesehen. Das war sicherlich nicht ideal, aber es war besser, als sie gar nicht zu sehen. Wir haben unseren Kindern natürlich auch etwas ermöglicht, einen gewissen Wohlstand. Es hat ihnen an nichts gefehlt.
SZ: Ihre Praxis hier in bester Innenstadtlage hat Sie sicher reich gemacht.
Jeder weiß, dass das hier die teuerste Lage in München ist. Wir bezahlen knapp eine Million Euro Miete im Jahr. Ich höre oft den Vorwurf, meine Patienten würden mir den Porsche in der Tiefgarage finanzieren. Es ist dieses typische Sozialneid-Argument. Ich lächle dann und sage: Leute, ihr habt das nicht verstanden: Mein Porsche steht da drüben im Untersuchungszimmer, es ist das beste Ultraschallgerät der Welt. Es kostet viel mehr als ein Porsche, und damit mache ich die beste Diagnostik für meine Patienten. Ich fahre übrigens einen Mini.
SZ: Wie groß ist bei diesen hohen Fixkosten der wirtschaftliche Druck, viele Behandlungen zu machen?
Ich mache nur Behandlungen, die medizinisch sinnvoll sind. Und wir nehmen auch Kassenpatienten auf, weil wir das einfach richtig finden. Wir haben einen Versorgungsauftrag.
SZ: Unter Ärztinnen und Ärzten ist Burn-out weitverbreitet. Liegt das nicht auch an der hohen Arbeitsbelastung?
Burn-out ist ein nettes Wort, aber ich muss Ihnen sagen: Viele, die Burn-out reklamieren, haben noch nie gebrannt. Bestimmte Begrifflichkeiten werden in Deutschland überstrapaziert. In einem Kontext, wo alle immer weniger leisten, fühlen wir uns viel schneller überfordert. Je mehr Sie den Stress rausnehmen in einer Gesellschaft, desto mehr Leute fühlen sich gestresst.
SZ: Burn-out ist aber keine Einbildung, sondern ein ernsthaftes Leiden. Was würde ein Arbeitsminister Puchta unternehmen, damit viele Menschen ihren Job nicht länger als Belastung erleben?
Wir müssen den Menschen wieder vermitteln, dass Arbeit Spaß macht und gesellschaftlich sinnvoll ist. Dann werden sie automatisch mehr arbeiten wollen. Außerdem muss Arbeit anders bewertet werden. Es muss wieder einen größeren Unterschied geben zwischen Menschen mit niedrigem Einkommen und jenen, die gar nicht arbeiten. Wir incentivieren die Untätigkeit mit zu vielen Transferleistungen wie dem Bürgergeld. Auch das Home-Office führt übrigens zu einer gewissen Spaltung der Gesellschaft.
SZ: Sie meinen, dass man das Home-Office abschaffen sollte, weil Bäckerinnen oder Ärzte nicht von zu Hause aus arbeiten können?
Ich meine nur, dass wir wieder ein bisschen bescheidener und demütiger werden müssen. Und den Leuten, die hier von morgens bis abends antreten, mehr Respekt entgegenbringen.
SZ: Home-Office geht bei Ihnen ja nicht. Was tun Sie, um Mitarbeitende zu gewinnen und zu halten?
Wir behandeln unsere Mitarbeiter gut. Jeder hat ein Maximum an Freiheiten, Dinge zu entscheiden und mitzubestimmen. Unsere Mitarbeiter müssen hier zwar jeden Morgen um sechs Uhr den Laden betreten, aber wenn sie mal früher wegmüssen, versuchen wir das zu ermöglichen. Außerdem wissen sie, dass ihre Arbeit sinnvoll ist. Hier kommen jeden Tag schwangere Frauen rein, die einfach nur happy sind.
SZ: Sie sagen immer Mitarbeiter. Wenn man sich hier umschaut, sieht man aber nur Mitarbeiterinnen.
Wir haben auch einige männliche Mitarbeiter.
SZ: Das Sagen haben aber Männer.
Wir sind insgesamt drei Unternehmensinhaber, darunter ist eine Frau.
SZ: In der Medizin – und sogar im vermeintlichen Frauen-Fach Gynäkologie – sind die Chefärzte meist Männer, obwohl es viel mehr Uniabsolventinnen und Fachärztinnen gibt. Wie erklären Sie sich das?
Alles, was ich jetzt sagen würde, würden Sie gegen mich verwenden, deshalb sage ich lieber nichts.
SZ: Dann fragen wir es: Halten Sie Männer für die besseren Frauenärzte?
Nein. Aber der Weg nach oben ist extrem hart. Und da werden möglicherweise manche Frauen aufgrund der Familienplanung irgendwann sagen, da gehe ich nicht mit. Es ist eben die Biologie. Sie kriegen die Kinder, wir kriegen sie nicht.
SZ: Liegt es nicht vielmehr am männlich geprägten System, dass so wenige Frauen nach oben kommen?
Es ist inzwischen eher umgekehrt. Wir haben in der Medizin mittlerweile ein System, das versucht, Positionen gezielt mit Frauen zu besetzen. Es gibt viele Männer, die sich benachteiligt fühlen.
(Anmerkung: Dazu gibt es wenig Grund: Nicht einmal jede siebte Führungsposition an deutschen Unikliniken wird von einer Frau besetzt, der Anteil stagniert seit Jahren.)
SZ: Sie sind jetzt 64. Denken Sie eigentlich ans Aufhören?
Wir haben die Anzeige ja geschaltet, weil wir die Praxis übergeben wollen. Aber ich gehe noch immer jeden Tag mit Freude in die Arbeit. Das hat auch damit zu tun, dass man als Arzt wahnsinnig von seiner Erfahrung profitiert. Je erfahrener man ist, umso besser wird man und umso mehr Spaß macht es. Das hat ein gewisses Suchtpotenzial.
SZ: Was macht jemand, der für die Arbeit brennt, als Rentner?
Rennrad fahren. Nein, nein, ich kann verraten, der Rentner Puchta hat vor, weiterzuarbeiten. Meine Geschäftspartner und ich wollen in der Schweiz noch mal ein neues Zentrum aufziehen. Wir halten die Schweiz, anders als Deutschland, für ein noch weitgehend intaktes Land. Die alten deutschen Tugenden, Arbeitseifer und Verlässlichkeit, gelten dort noch was.