Naja, dem Prinzip kann ich schon was abgewinnen: Ich bin auch für Solidarität und soziale Absicherung, aber skeptisch, ob man das übers Arbeitsrecht regeln sollte. Das führt zu künstlichen Einstellungshürden und incumbent bias. Die richtige Antwort darauf, dass ein Arbeitgeber seinen Mitarbeiter entlassen will, ist imo nicht, ihm das zu verbieten, sondern den Mitarbeiter schnell und effizient dabei zu unterstützen, einen neuen Arbeitsplatz zu finden - einschließlich der finanziellen Unterstützung dazwischen.
Kann den Gedanken gut nachvollziehen, gerade aus deinem Blickwinkel. Ich glaube so ziemlich jedem, der irgendwann in einem anderen Teil des Arbeitsmarkts (wie bei dir) oder einfach zum ersten Mal auf den Arbeitsmarkt schaut sieht haufenweise Leute, die nicht viel drauf haben und deren Stelle in einem meritokratischen Wettbewerb schnell durch andere Leute besetzt wären*. Ich glaube allerdings dass deine Idee von Solidarität und sozialer Absicherung außerhalb des Systems viel schwieriger umzusetzen ist als innerhalb des Systems, weil du dann immer gegen die Tretmühle ankämpfen musst. Ich sehe das in den USA tatsächlich überall: Umso härter Leute aus ihrer Sicht arbeiten müssen, umso weniger Solidarität ist von ihnen zu erwarten ("warum sollten es andere einfacher haben, wenn ich es so hart habe?").
Ich denke es ist prinzipiell absolut ein legitimes Interesse einer Gesellschaft, einen Minimalkonsens zu schaffen, was wir
gesellschaftlich von uns selbst als Arbeitnehmern erwarten dürfen und was über dieses Minimum hinaus geht, einfach weil die Lebenszufriedenheit bei unterschiedlichen Arbeitsleistungsniveaus hohe Varianz aufweist. Wer mehr leisten möchte als den Minimalkonsens kann das dann, dann halt für Anreize. Da bin ich selbst auch der Meinung, dass man da viel machen könnte, auch bzgl. der Arbeitsproduktivität (da in Deutschland viel zu viele Leute lange in Jobs rumsitzen, die weniger produktiv sind als sie sein müssten). Aber hire-and-fire halte ich für ziemlich gefährlich für den gesellschaftlichen Zusammenhalt. Ich denke da bspw. an die ganze China-Schock Literatur aus den USA. Vielleicht könnte man das mit Solidarität und sozialer Absicherung tatsächlich größtenteils abfedern, allerdings halte ich das wie gesagt eher für eine theoretische Option.
Ich erinnere mich daran, dass Dänemark da in der (Think-Tank)-Literatur mal in der Hochzeit der deutschen Schwächephase gerne als Beispiel für ein Land genannt wurde, das mit niedrigerem Kündigungsschutz trotzdem eine ziemlich egalitäre Gesellschaft geblieben ist, das hat sich allerdings bei näherer Betrachtung ein bisschen als Ente herausgestellt, weil in Dänemark der Kündigungsschutz sektoral von Gewerkschaften ausgehandelt wird. Ist ein interessantes Thema und letztendlich zu groß, als dass man da mit sozialwissenschaftlichen Werkzeugen eindeutige Aussagen machen kann, aber ich bin jedenfalls relativ skeptisch, dass es eine politische Realität geben kann, in der man beides haben kann.
*ging mir genauso, wenn ich daran denke was man früher für eine Stelle an der Uni vorweisen musste und mit was für einem CV man tenure bekommen konnte und wenn ich dann sehe, woran die Leute "arbeiten", wenn sie mit 50 auf Konferenzen präsentieren (so sie das überhaupt noch machen)
Deswegen ja auch Mentalität? Ich würde vielleicht eher von Kultur sprechen, aber kA. Auf gesetzliche Aspekte reduziert hat es imo Gustavo, worüber ich auch etwas skeptisch bin: Es ist plausibel einen starken Zusammenhang zwischen Arbeitskultur und Arbeitsrecht zu unterstellen, aber imo nicht unbedingt, dass das eine das andere vollständig erklärt.
Na ja, in der echten Welt gibt es natürliche keine eindeutige Richtung, in der die Kausalbeziehung zwischen Kultur und Gesetze zeigt: Die Kultur beeinflusst die Gesetze, die Gesetze beeinflussen die Kultur. Kündigungsschutz fällt ja auch nicht einfach vom Himmel, sondern er wird im politischen Prozess erstritten, welcher wiederum stark von der (politischen) Kultur abhängt usw.
Da Kündigungsschutz mit wenigen Ausnahmen in Deutschland relativ uniform ist, kann ich natürlich nicht beweisen, dass die deutsche Mentalität nicht auch ohne starken Kündigungsschutz so aussähe wie die amerikanische. Auf der anderen Seite gibt es allerdings starke Anhaltspunkte dafür, dass es unwahrscheinlich ist: Der *gesetzliche* Kündigungsschutz ist in den USA schwach, weil die USA keine Partei hatten, die stark mit der gewerkschaftlichen Arbeitnehmerschaft verbunden war; überall wo es starken gesetzlichen Kündigungsschutz gibt, wurde er meines Wissens von solchen Parteien durchgesetzt. Dort, wo die Arbeitnehmervertretung stark war, konnte sie sich dafür entscheiden wofür sie kämpfen wollte und da war der Primat eben nicht bessere Entlohnung oder bessere Benefits (das waren die Sekundärziele), sondern ein starker Kündigungsschutz. In den wenigen Bereichen, in denen es in den USA heute noch starke Gewerkschaften gibt (hauptsächlich im public sector in traditionell Demokratisch regierten Staaten) siehst du äußerst wenig von "hire-and-fire" Mentalität. Ich sehe da jedenfalls relativ wenig Raum für kulturelle Faktoren als Residualerklärung jenseits von politischen Faktoren.