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Oi, warum sehe ich den Thread jetzt erst?
Hab ich irgendwo gelesen, dass lauter Thesen ja gar nicht überprüft würden? Ich kann jetzt leider nicht 115+ Seiten durchlesen, trage aber trotzdem meine 2 Cents bei, die stark von der empirischen Bildungsforschung geprägt sind, und auch ein gutes Stück davon, dass ich noch in meiner Diplomarbeit rigoros und voller Überzeugung das generische Maskulinum verwendet habe und meine Doktorarbeit auch deswegen auf englisch geschrieben habe, weil ich darin weder das generische Maskulinum nutzen wollte noch (der Lesbarkeit wegen) alles ausschreiben oder mit Gendergap/etc. schreiben wollte.
In Deutschland gibt es (so gut wie) keine quantitativen Studien, die das Ausmaß von Diskriminierung je nach Queer-Merkmal, Genderperformance usw. aussagekräftig untersuchen. Das liegt - im Gegensatz zu dem, was ja gerne am Stammtisch über verschwendete Forschungsförderung erzählt wird - in erster Linie daran, dass man dafür enorm große Zufallsstichproben bräuchte, für die es in D aber nunmal kein (Forschungs)geld gibt [und ja, ich sehe Teile der Queerforschung auch sehr kritisch, aber ich bin halt auch Forschungsmethodiker und habe eine ziemlich genaue Vorstellung davon, was Forschung hochwertig macht].
Enorm große Zufallsstichproben braucht man deshalb, weil viele Vielfaltsdimensionen so selten sind (<1%, teils wahrscheinlich <0,1%, andere geschätzt rund 10%), dass man für eine ordentliche Repräsentativität eben eine riesige Nettostichprobe braucht, um auch diese seltenen Merkmale einzeln vernünftig untersuchen zu können. Zufallsstichproben müssen es deshalb sein, weil man sonst einen starken Bias hat, wer bei solchen Erhebungen eher mitmacht vs. seltener oder gar nicht mitmacht. Außerdem kriegt man nur so eine sichere Vorstellung davon, wie oft welche Vielfaltsdimension vertreten ist. Erhebungen in der Schule sind somit ideal, weil alle hinmüssen und wirklich fast alle auch hingehen.
Kleine Anekdote am Rande: In den PISA-Erhebungen wird das Geschlecht zwar m/w/d erhoben, aber für die internationalen Vergleiche fliegen alle d-Angaben komplett aus dem Datensatz, weil sich das internationale Konsortium nicht darauf einigen kann, mehr als m/w auszuwerten und das natürlich in vielen Ländern auch nicht erhoben wird. Ich vermute, dass es bei anderen internationalen Studien sehr ähnlich ist.
In manchen Ländern werden Vielfaltsdimensionen und Diskriminierung, psychische Gesundheit usw. standardmäßig bei den eh durchgeführten Schul(leistungs)studien mit erhoben. Aus den USA weiß man darum z.B. mit großer Sicherheit, dass queere Menschen in der Schule deutlich öfter von Diskriminierung (auch: Mobbing) betroffen sind, die psychische Gesundheit niedriger ist, die Suizidrate erhöht (Achtung: Ob der dabei auf der Hand liegende Kausalzusammenhang existiert, kann bei diesen Querschnittsstudien nicht untersucht werden; qualitative Längsschnittuntersuchungen legen das aber zumindest nahe) uswusf. Quellen suche ich bei Bedarf gerne raus.
Verlassen wir "queer" und machen einen Ausflug zu männlich/weiblich, denn da sind die Dinge einfacher. Viel Evidenz gibt es z.B. dafür, dass Sprache unser Denken prägt. Wurde im Fred bestimmt auch schon mehrmals genannt: Wenn Kinder schon in der Kita bei Berufen von "Ärzten", "Polizisten", "Feuerwehrmännern", "Ingenieuren", "Krankenschwestern", "Putzfrauen" usw. hören, hat das einen großen und anhaltenden Effekt darauf, ob sie meinen, dass sie selbst so einen Beruf erlangen können und/oder wollen. Bei Jugendlichen und Erwachsenen hört es aber nicht auf: Wenn Berufsbezeichnungen in Stellenanzeigen nur männlich formuliert sind, fühlen sich Mädchen/Frauen viel weniger angesprochen als bei geschlechtsneutralen oder ausgeschriebenen männlich/weiblich-Formulierungen. Männliche Berufsbezeichnung + "(m/w/d)" hat nur einen geringen Effekt, wenn ich mich recht erinnere.
Zuletzt nochmal personal opinion:
1. Wie zum Fick kann es sein, dass eine Erzieherin noch heute die Eltern eines U3-Kindes in unserer Gruppe in der Nähe einer großen Großstadt erschrocken anguckt und anspricht, weil der kleine Junge mit einem Blumenkleid in die Gruppe kommt? Der Junge mag halt bunte Blumen und Kleider. Na und? Würde ich meinem männlichen Nachwuchs natürlich auch ermöglichen, wenn sie das möchten. Gerade in einem so geschützten Raum wie einer U3-Kitagruppe, in denen die Erzieherinnen das Ausbleiben von Diskriminierung aufgrund von Äußerlichkeiten zu 100% in der Hand haben. Mein männlicher Nachwuchs im Kitaalter trägt Einhorn-T-Shirts und rosa Socken -- weil er sie nunmal cool findet, genau wie die Hälfte der Jungs in seiner Gruppe.
2., weil ich es auf Tagungen, auf denen Bildungsforschung, -Praxis und -Administration zusammenkommen, hautnah mitbekomme: Es gibt ja Menschen, die sich weder komplett als weiblich noch als komplett männlich fühlen oder es obendrein biologisch nicht sind (weil sie z.B. sowohl weibliche als auch männliche primäre Genitalien haben). Wie zum Fick kann es sein, dass den Schulaufsichtsbehörden in manchen Bundesländern verboten wird, diese Personen im Schriftverkehr angemessen anzuschreiben? Ernsthaft: Wie krank ist das? Wer denkt sich sowas aus, und möchten diese Menschen, die sich das ausdenken, nicht lieber um tatsächliche Probleme kümmern anstatt mit billigstem Kackpopulismus nach Stimmen zu fischen? Das Bundesverfassungsgericht hat unmissverständlich klargestellt, dass es schon bei der Geburt die Optionen gibt, beim Geschlecht "männlich", "weiblich", "divers" einzutragen oder den Eintrag ganz leer zu lassen. Diese vier Optionen für Geschlecht haben wir in Deutschland, und wer das als Amtsperson nicht zulässt, verstößt gegen das Gesetz. An dieser Stelle muss die Diskussion einfach vorbei sein, denn das BVerfG-Urteil ist alles, was man an Argumenten braucht bei der Frage, ob man gendern verbieten oder erlauben sollte.
Hab ich irgendwo gelesen, dass lauter Thesen ja gar nicht überprüft würden? Ich kann jetzt leider nicht 115+ Seiten durchlesen, trage aber trotzdem meine 2 Cents bei, die stark von der empirischen Bildungsforschung geprägt sind, und auch ein gutes Stück davon, dass ich noch in meiner Diplomarbeit rigoros und voller Überzeugung das generische Maskulinum verwendet habe und meine Doktorarbeit auch deswegen auf englisch geschrieben habe, weil ich darin weder das generische Maskulinum nutzen wollte noch (der Lesbarkeit wegen) alles ausschreiben oder mit Gendergap/etc. schreiben wollte.
In Deutschland gibt es (so gut wie) keine quantitativen Studien, die das Ausmaß von Diskriminierung je nach Queer-Merkmal, Genderperformance usw. aussagekräftig untersuchen. Das liegt - im Gegensatz zu dem, was ja gerne am Stammtisch über verschwendete Forschungsförderung erzählt wird - in erster Linie daran, dass man dafür enorm große Zufallsstichproben bräuchte, für die es in D aber nunmal kein (Forschungs)geld gibt [und ja, ich sehe Teile der Queerforschung auch sehr kritisch, aber ich bin halt auch Forschungsmethodiker und habe eine ziemlich genaue Vorstellung davon, was Forschung hochwertig macht].
Enorm große Zufallsstichproben braucht man deshalb, weil viele Vielfaltsdimensionen so selten sind (<1%, teils wahrscheinlich <0,1%, andere geschätzt rund 10%), dass man für eine ordentliche Repräsentativität eben eine riesige Nettostichprobe braucht, um auch diese seltenen Merkmale einzeln vernünftig untersuchen zu können. Zufallsstichproben müssen es deshalb sein, weil man sonst einen starken Bias hat, wer bei solchen Erhebungen eher mitmacht vs. seltener oder gar nicht mitmacht. Außerdem kriegt man nur so eine sichere Vorstellung davon, wie oft welche Vielfaltsdimension vertreten ist. Erhebungen in der Schule sind somit ideal, weil alle hinmüssen und wirklich fast alle auch hingehen.
Kleine Anekdote am Rande: In den PISA-Erhebungen wird das Geschlecht zwar m/w/d erhoben, aber für die internationalen Vergleiche fliegen alle d-Angaben komplett aus dem Datensatz, weil sich das internationale Konsortium nicht darauf einigen kann, mehr als m/w auszuwerten und das natürlich in vielen Ländern auch nicht erhoben wird. Ich vermute, dass es bei anderen internationalen Studien sehr ähnlich ist.
In manchen Ländern werden Vielfaltsdimensionen und Diskriminierung, psychische Gesundheit usw. standardmäßig bei den eh durchgeführten Schul(leistungs)studien mit erhoben. Aus den USA weiß man darum z.B. mit großer Sicherheit, dass queere Menschen in der Schule deutlich öfter von Diskriminierung (auch: Mobbing) betroffen sind, die psychische Gesundheit niedriger ist, die Suizidrate erhöht (Achtung: Ob der dabei auf der Hand liegende Kausalzusammenhang existiert, kann bei diesen Querschnittsstudien nicht untersucht werden; qualitative Längsschnittuntersuchungen legen das aber zumindest nahe) uswusf. Quellen suche ich bei Bedarf gerne raus.
Verlassen wir "queer" und machen einen Ausflug zu männlich/weiblich, denn da sind die Dinge einfacher. Viel Evidenz gibt es z.B. dafür, dass Sprache unser Denken prägt. Wurde im Fred bestimmt auch schon mehrmals genannt: Wenn Kinder schon in der Kita bei Berufen von "Ärzten", "Polizisten", "Feuerwehrmännern", "Ingenieuren", "Krankenschwestern", "Putzfrauen" usw. hören, hat das einen großen und anhaltenden Effekt darauf, ob sie meinen, dass sie selbst so einen Beruf erlangen können und/oder wollen. Bei Jugendlichen und Erwachsenen hört es aber nicht auf: Wenn Berufsbezeichnungen in Stellenanzeigen nur männlich formuliert sind, fühlen sich Mädchen/Frauen viel weniger angesprochen als bei geschlechtsneutralen oder ausgeschriebenen männlich/weiblich-Formulierungen. Männliche Berufsbezeichnung + "(m/w/d)" hat nur einen geringen Effekt, wenn ich mich recht erinnere.
Zuletzt nochmal personal opinion:
1. Wie zum Fick kann es sein, dass eine Erzieherin noch heute die Eltern eines U3-Kindes in unserer Gruppe in der Nähe einer großen Großstadt erschrocken anguckt und anspricht, weil der kleine Junge mit einem Blumenkleid in die Gruppe kommt? Der Junge mag halt bunte Blumen und Kleider. Na und? Würde ich meinem männlichen Nachwuchs natürlich auch ermöglichen, wenn sie das möchten. Gerade in einem so geschützten Raum wie einer U3-Kitagruppe, in denen die Erzieherinnen das Ausbleiben von Diskriminierung aufgrund von Äußerlichkeiten zu 100% in der Hand haben. Mein männlicher Nachwuchs im Kitaalter trägt Einhorn-T-Shirts und rosa Socken -- weil er sie nunmal cool findet, genau wie die Hälfte der Jungs in seiner Gruppe.
2., weil ich es auf Tagungen, auf denen Bildungsforschung, -Praxis und -Administration zusammenkommen, hautnah mitbekomme: Es gibt ja Menschen, die sich weder komplett als weiblich noch als komplett männlich fühlen oder es obendrein biologisch nicht sind (weil sie z.B. sowohl weibliche als auch männliche primäre Genitalien haben). Wie zum Fick kann es sein, dass den Schulaufsichtsbehörden in manchen Bundesländern verboten wird, diese Personen im Schriftverkehr angemessen anzuschreiben? Ernsthaft: Wie krank ist das? Wer denkt sich sowas aus, und möchten diese Menschen, die sich das ausdenken, nicht lieber um tatsächliche Probleme kümmern anstatt mit billigstem Kackpopulismus nach Stimmen zu fischen? Das Bundesverfassungsgericht hat unmissverständlich klargestellt, dass es schon bei der Geburt die Optionen gibt, beim Geschlecht "männlich", "weiblich", "divers" einzutragen oder den Eintrag ganz leer zu lassen. Diese vier Optionen für Geschlecht haben wir in Deutschland, und wer das als Amtsperson nicht zulässt, verstößt gegen das Gesetz. An dieser Stelle muss die Diskussion einfach vorbei sein, denn das BVerfG-Urteil ist alles, was man an Argumenten braucht bei der Frage, ob man gendern verbieten oder erlauben sollte.