Naja, das ist halt den Strukturen geschuldet. Keiner hat letztlich ein Interesse daran Dinge in die Hand zu nehmen, weil es für die ganzen Ämter in öffentlichen Universitäten nur relativ wenig Geld und absolut kein wissenschaftlich relevantes Prestige obendrauf gibt. Der Dekan einer Fakultät bekommt irgendwie 300 EUR brutto und muss dafür einen Haufen Verwaltungsarbeit leisten und seine Forschung einschränken. Da ist die Reduktion des Lehrdeputats nur ein minimaler Ausgleich und das Fazit für alle die Wissenschaftler sein wollen ist "wenn ich das mache, bin ich als Wissenschaftler raus". Entsprechend hat niemand auf solche gestalterischen Ämter Bock und überlässt sie denjenigen, die gestalten wollen, was nicht schlimm wäre, wenn es denn nicht Aktionismus von Aktivisten wäre.
… womit wir wieder beim Thema wären. Mir sind da noch ein paar Details aufgefallen.
[…] Nach meiner Ansicht hat das, was du hier postet nichts mit Gendersprache zu tun, * und : werden ja sogar explizit ausgeschlossen. Letztlich geht es hier um geschlechtersensitive Ausdrucksweise und das Ziel, diese mehr zu beachten. Das ist für mich viel mehr Zeitgeist und der ist natürlich in einer Form auch Druck und Realität. Aber genauso wirst du eben nicht mehr von Neger oder Zigeuner reden können, ohne dass ein Teil der Menschen dich deswegen verurteilt.
Sprache ist nunmal gelebter gesellschaftlicher Konsens und damit wird es sowas in dem Bereich immer geben.
Einerseits Druck, andererseits Konsens. Dumm nur, dass es keine Empirie dafür gibt, dass es einen Konsens gibt, der diesen Druck auch nur ansatzweise rechtfertigen würde.
Ebenso gibt es Deiner Ansicht nach wohl ein Ziel "geschlechtersensitive Ausdrucksweise und das Ziel diese mehr zu beachten", was für mich nahelegt, dass Du auch der Meinung bist, dass es eine Begründung für die Bestrebungen gibt welche den Druck rechtfertigt.
Bitte gib uns doch diese Begründung. Ja, natürlich bitte mit Forschungsliteratur die belegt, dass das Maßnahmenziel auch erreicht werden kann, denn es ist eben nicht "der Zeitgeist der breiten Masse."
Der Duden definiert ja nicht die Sprache sondern die Sprache den Duden.
Wenn es mal so wäre, dann hätte diese Änderung nicht solche Wellen gemacht:
https://archive.is/AQDqE
Zsfg.: Duden beschließt, dass es keine generische Form gibt, und dass deswegen mit bspw. "Arzt" ab sofort nur männliche Personen gemeint sind.
Auch die anderen Veröffentlichungen des Verlags sagen eher: Wir wollen hier die Sprache ändern.
Ich sehe da keinen Widerspruch zu dem, was ich geschrieben habe. Als Gendersprache aufkam, dann im Kontext von universitären Veranstaltungen und Auseinandersetzungen. Zu dem Zeitpunkt fing direkt die Anti-Bewegung mit "bääh unästhetisch" oder "das ist grammatikalisch falsch" an, eben die altbekannten, dämlichen Gegenargumente. Und dann gab es meiner Meinung nach direkt die Bestrebungen, dem direkt einen Riegel vorzuschieben und es aktiv zu verbieten. Natürlich gibt es auch Stimmen, das ganze zu verpflichten, aber ich kenn' die nur von vereinzelten Akademikerstimmen, die nirgendwo im politischen Alltag angekommen sind. Im Gegensatz dazu gibt es bereits mehrere Fälle von politischen Bestrebungen, das verbieten zu lassen. Von daher ist "Gendergaga" für mich ein Terminus dafür, wie übertrieben Anti manche Bewegungen in dem ganzen sind.
Das was es in den "Mainstream" gebracht hat waren 2013/14 Dinge wie der Vorschlag von Lann Hornscheidt mit -x als Wortendung:
https://www.faz.net/-gsf-7wdto
Der letzte Absatz aus dem Artikel von damals ist noch heute das Zitieren wert:
Genau das tut Hornscheidt während des Gesprächs. Man merkt, dass Hornscheidt Zeit hat zu denken, was doch eigentlich mal die Hauptaufgabe von steuerfinanzierten Universitäten war. Jedenfalls habe ich noch nie mit einem Menschen entspannter und offener über Feminismus reden können. Denn anders als viele Stimmen im breiten feministischen Diskurs ist Hornscheidt nicht besessen davon, festzulegen, was richtig ist. Und es wäre phantastisch, würde diese Perspektive häufiger gehört werden.
Es gab, wie Du sagst, von Beginn an Polemiken und handfeste Drohungen. Die Bestrebungen Dinge verpflichtend zu machen bzw. festzulegen was richtig ist, gab es schon immer. Es ergab sich quasi aus der Natur der Sache, dass die Proponenten sich selbst v.a. als mit Gerechtigkeit befasste Forscher sehen. Verbotsphantasien kamen tatsächlich erst später, als auch durch die Aktivitäten insb. in öffentlichen Institutionen man immer mehr durch Sprachregelungen zum "freiwilligen Gebrauch" ermuntert wurde und im offiziellen Gebrauch dazu gezwungen wurde. Der Ausgangspunkt dieser Regeln/Handreichungen waren im Regelfall (=überall wo ich es mitbekommen habe) die Büros der Gleichstellungsbeauftragten oder ähnliche Institutionen in Verbindung mit den Fachbereichen die nah an den Themenbereichen Kritische Theorie, Diskriminierung, postcolonial Studies, Gender usw. waren.
Also ja, es kam aus dem akademischen, aber es ist eben nicht ein gesellschaftliicher Konsens.
2011 ging die Diskussion auch noch um wissenschaftliche Begründungen weswegen Gendern wichtig ist:
https://scilogs.spektrum.de/sprachlog/frauen-natuerlich-ausgenommen/ (Artikel von Anatol Stefanowitsch, welcher einer der Vorkämpfer des Themas in D ist)
Einige Jahre später klingt er auf dem Klappentext seines Buches (
https://www.amazon.de/Eine-Frage-Moral-politisch-Duden-Streitschrift/dp/3411743581/) so:
„Sprachpolizei", „Moralapostel", „Genderkrampf" - warum erhitzen sich die Gemüter so an Political Correctness? Warum protestieren Menschen gegen die Bekämpfung von sexistischem und rassistischem Sprachgebrauch? Der Sprachwissenschaftler und Blogger Anatol Stefanowitsch analysiert aufgeheizte Debatten der letzten Jahre: „Gerechte Sprache allein schafft noch keine gerechte Welt. Aber indem wir sie verwenden, zeigen wir, dass wir eine gerechte Welt überhaupt wollen."
… und ist damit ganz im "Zeitgeist", der eingesehen hat, dass ein wissenschaftlicher Beleg für die Notwendigkeit nicht zu führen ist. Das Buch steht pars pro toto für den Versuch das ganze auf eine moralische Ebene zu heben, wodurch man sich nämlich ganz elegant des Problems entledigen kann, dass man keine überzeugenden Belege hat.
Dahinter steht, nach wie vor, die Vorstellung, dass Sprache Realität formt. Was bestenfalls als "umstritten" gelten kann und hier schon zur Genüge diskutiert wurde. Das siehst Du ja offensichtlich ähnlich:
[…] Natürlich wird das nicht die Welt verändern. Die wird auch nicht dadurch verändert, dass wir nicht mehr Neger oder Zigeuner sagen. Imo ist die Kausalität eher umgekehrt: Die Gesellschaft verändert sich dahingehend, dass wir gewisse Sprache als überholt betrachten und an unsere Realitäten anpassen. Viele Menschen empfinden im Zuge immer größerer Sensibilität für diese Thematiken in unserer Gesellschaft das generische Maskulinum als überholt und möchten es daher nicht mehr verwenden. Da von orwell'scher Gehirnwäsche zu sprechen empfinde ich als höchstgradig albern.
Was Stefanowitsch schreibt ist zwar nicht das Gegenteil, insinuiert aber, dass Sprachpraxis eben schon im Mittelpunkt steht.
Ich bin selbst nicht gegen Sprachwandel wenn er so wäre wie Du es schreibst. Aber er ist eben ein präskriptives Elitenprojekt und eben nicht ein gradueller Wandel. Worauf es langfristig hinauslaufen wird … wer weiß das schon.
Was allerdings meines Erachtens vollkommen korrekt ist, ist die Analogie zu Orwell. Denn Sprachregelungen zu schaffen und durchzusetzen, um Bewusstsein zu schaffen, ist etwas was ich ganz definitiv als manipulativ bezeichnen würde. Es steht kein diktatorischer Staat dahinter, aber eben schon ein strategisches Interesse das Verhalten und die Wahrnehmung von Menschen zu ändern; und genau das meine ich. Das kann man auch paternalistisch nennen. Ich finde es nicht in Ordnung.