3, 2, 1: RANT!
Bzgl. Rechtschreibung: Die Normierung der dt. Sprache ist eine Sache des späten 19. Jh. und frühen 20. Jh. - schon allein deshalb, weil es vor 1871 nie wirklich ein geeintes Deutschland, bzw. eine wirklich tragfähige Idee davon gab. Im Zuge des Ausbaus einer reichsweiten Verwaltung und allgemeiner nationalistischer Bestrebungen wurden dann Regeln für die Rechtschreibung festgelegt. Es ist total spannend, Texte aus der Frühen Neuzeit zu lesen, denn da gab es diese Normierung noch nicht. Die Leute haben einfach in ihrem Dialekt geschrieben. War insgesamt verständlicher, als man annimmt.
Ich finde die Frage, ob Normierung sinnvoll ist, gar nicht mal so einfach zu beantworten. Einerseits ist es natürlich gut, wenn es klare Regeln gibt, da dadurch z.B. professionelle Kommunikation und der Spracherwerb für Fremdsprachler erleichtert werden. Andererseits geht dadurch langfristig Sprachvielfalt verloren - man sieht das gut daran, wie stark sich Dialekte im 20. Jh. zurückgebildet haben. Natürlich werden Dialekte nie aussterben, es ist jedoch anzunehmen, dass langfristig die Grenzen verwischen werden und insgesamt eher Soziolekte die größten Differenzierungsmerkmale innerhalb der Sprachgemeinschaft darstellen. Aber auch da wird es immer regionale Unterschiede geben.
Bzgl. Grammatik hab ich ja schon mal gesagt, dass die dt. Grammatik im Gegensatz zur Rechtschreibung NICHT gesetzlich normiert ist, sondern man sich pragmatisch auf das einigt, was mehrheitlich als "richtig" angesehen wird. Ein spannendes Beispiel hierzu ist die Debatte um das sogenannte "doppelte Perfekt". Beispiel: "Ich habe gegessen gehabt." Das wird in vielen Dialekten alltäglich benutzt und ist auch in literarischen Werken der letzten Jahrhunderte durchaus präsent. Trotzdem gilt es nicht als "korrekt", weil es umgangssprachlich konnotiert ist.
Streng genommen ist Gendern ein grammatisches Problem. Es gibt im Deutschen eben nur drei Genera, "divers" können diese unmöglich abbilden. (Andere Sprachen haben btw z.T. überhaupt kein Konzept für Genus, die lösen das über den Kontext und die lexikalische Ebene.) Nun gibt es viele Leute, die sich eine "geschlechtergerechte" Sprache wünschen, was mMn zunächst mal ein fatales Missverständnis von grammatischem Geschlecht ist. Genus ist häufig arbiträr (der Mond, die Sonne, das Wasser, der Fluss...), so wirklich aufs biologische Geschlecht übertragbar ist es i.d.R. nur bei Begriffen, die eindeutig Menschen zum Gegenstand haben. Im Kern der Debatte stehen ja v.a. die Pluralformen.
Es gibt fünf Stück davon: -e (der Tag -> die Tage), (e)n (die Frau -> die Frauen), -er (das Bild -> die Bilder), -s (das Foto -> die Fotos) und
ø (der Spaten -> die Spaten). Das Geile ist nun, dass es keine 100% eindeutige Zuordnung zwischen Genus und Pluralform gibt - es gibt natürlich primär maskuline (-e), feminine (-en) und neutrale (-er) Endungen, aber z.T. gibts auch Ausnahmen. Von Umlauten ganz zu schweigen. (Deutsch ist scheiße, bin froh das nicht als Fremdsprache lernen zu müssen.)
Beim Gendern gehts primär hierum:
der Lehrer / die Lehrerin -> die Lehrer / die Lehrerinnen -> traditioneller Sammelplural: Lehrer.
Und das finden manche nun doof, weil es deckungsgleich mit der maskulinen Form ist. Vor ein paar Jahrzehnten hat man deswegen schon eingeführt, grundsätzlich beide Formen zu nennen. Und jetzt hat man festgestellt, dass das ja immer noch nicht reicht, weil man Gender nicht ausgedrückt bekommt. Grammatikalisch gesehen KANN das Deutsche Gender nicht adäquat ausdrücken, weshalb man derzeit auf der Suche nach der zündenden Idee ist, wie man es trotzdem unterbringt.
Zum Teil führt das zu unlogischen Auswüchsen wie "Studierende" statt "Studenten", was mich mehr aufregt, als es sollte. Aber das Partizip Präsens steht für
Gleichzeitigkeit. Beispiel: "Student stirbt bei Autounfall" vs. "Studierender stirbt bei Autounfall". Ersteres ist der Mensch, der an einer Uni eingeschrieben ist, zweiteres jemand, der BEIM STUDIEREN (also z.B. beim Lesen) totgefahren wird. Das ist einfach völliger Scheiß bzgl. der Sprachlogik.
Die Ideen mit dem * oder dem _ finde ich da schon besser, weil sie rein logisch nichts Schlimmes mit den Begriffen anstellen, sondern sie primär auf graphematischer Ebene verändern. Allerdings sind Auswüchse wie "Lehrer*innen" meiner Ansicht nach zu viel des Guten. Dann lieber sowas wie Lehrer*, das ist viel ökonomischer.
Drittens gibt es noch die Möglichkeit, auf genderneutrale Begriffe auszuweichen, z.B. "Lehrkräfte" statt "Lehrer". Das finde ich von allen Ideen die klügste, weil sie das Problem einfach dadurch löst, indem auf vorhandenen Wortschatz zurückgegriffen wird. Geht natürlich nicht bei jedem Begriff, aber bei sehr vielen.
End of Rant:
Ja, "Gendersprache" ist sicher ideologisch begründet. Die Haltung, sie pauschal abzulehnen, aber ebenso. Sprache bildet immer auch Realität ab - und wenn sich die Realität dahin verändert, dass Menschen sich wünschen, dass Gender neben Sexus in der Sprache abgebildet wird, müssen Lösungen her, mit denen die Mehrheit leben kann. Und wenn sich langfristig doch herausstellen sollte, dass das alles gar nicht so wichtig ist, dann sagen wir eben wieder "Lehrer" statt "Lehrergedöns*innen".
Wichtige Ergänzung:
Wörter sind eh nur ausgedacht.