Tag 1 - Abenddämmerung
Der Weltraum ist ein seltsamer Ort. Ein Kubikcentimeter im Weltall enthält nicht einmal 10.000 Moleküle. Das heißt, dass ein einzelnes Molekül auf seinem Weg durch den Raum mehrere Kilometer zurücklegen kann, bevor es auf ein anderes Molekül trifft. Das macht die Leere zwischen den Sternen zu einem Tummelplatz für allerlei seltsame Verbindungen, deren Existenz auf der Erde nicht vorstellbar ist. Im Weltall finden sie einfach keinen Partner, um mit ihm Reaktionen zu stabileren Molekülen einzugehen. Stattdessen nehmen sie nur hin und wieder Energie von der Strahlung eines Sterns auf, wodurch sie zu Schwingungen und Rotationen angeregt werden. An Butchs Körper schwang nichts mehr. Er rotierte leblos um seine eigene Achse.
Als ihr Butch, der im Gefängnis manchmal VoodooDog genannt wurde, weil er einen gewissen Hang zu tranceartigen Zuständen hatte, in die Luftschleuse gesperrt habt, hatte er sich nicht einmal gewehrt. Butch hatte gedacht, er müsse einfach nur die Luft anhalten und dann käme er schon irgendwie wieder zurück in die Osprey. Er hielt sich für klüger als seine Mörder. Er lag daneben. Weit daneben. Als die Schleuse evakuiert wurde, zog die Leere ihm die Luft aus den Lungen. Er hatte keine Chance, sie anzuhalten. Kurze Zeit später platzten seine Augen, da seine Glaskörper der steigenden Belastung durch die Druckdifferenz zwischen dem Augeninneren und der Luftschleuse nicht standhalten konnten. Schließlich kehrten seine Lungen ihre Funktion um. Statt den roten Blutfarbstoff mit Sauerstoff zu sättigen, wurde allem Blut, dass sein Herz durch seine Lungen pumpte jeder Rest Sauerstoff entrissen. Als das Blut in seinen Adern zuerst begann zu kochen und schließlich aufgrund der Kälte des Raumes gefror, war Voodoo längst tot.
An Bord machte sich derweil eine gewisse Ratlosigkeit breit. Pinkman stellte die Frage laut, die jedem durch den Kopf ging: „Wie finden wir jetzt eigentlich raus, ob er Wärter war?“ Schulterzucken. Doch einer wusste Rat: „Der Bordcomputer sollte eine Überwachungsfunktion für die Lebenszeichen der Crew haben. Der Bildschirm ist völlig im Eimer, sonst könnten wir uns wahrscheinlich sogar zeigen lassen, wer wo ist, aber...“ Cojote unterbrach seinen Satz mitten im Redefluss, nur um dann triumphierend fortzufahren: „Das muss der Knopf für die akustische Rückmeldung sein.“ Als er den Knopf drückte, ertönte die Stimme des Bordcomputers: „Schwere Schäden an Cockpit, Antrieb und Kommunikation. Kollateralschäden in Frachtbereich und dem Aufenthaltsbereich der Crew. Verluste: 3 Mitglieder der Crew, 4 Mitglieder des militärischen Begleitpersonals, 23 Zivilisten. Überlebende: 3 Mitglieder des militärischen Begleitpersonals, 12 Zivilisten.“
Peeler, dem ihr am Tag zuvor den Posten des Anführers zugeteilt hattet, ergriff das Wort: „Alles klar, wenigstens wissen wir jetzt, dass wir es nicht nur mit einem von diesen Arschgeigen zu tun haben, sondern gleich mit drei. Das erhöht die Chance, dass wir einen von ihnen erwischen, richtig? Morgen haben wir einen von euch am Sack, das versprech ich! Und ich freue mich jetzt schon drauf, Salz in seine Wunden zu streuen, bevor ich zusehe, wie er verreckt.“ Einige von euch haben beschlossen, ihn aufgrund seiner oft geäußerten, widerlichen Gewaltphantasien (und ihr befürchtet, vieles davon sei nicht allein Ausgeburt seiner Phantasie) UglyBastard zu nennen.
Fernab der Versammlung hat sich ein anderes Mitglied der illustren Gesellschaft an Bord des Gefangenentransporters abgesetzt, um seinen Kummer zu bewältigen. Photon, der seinen Namen verpasst bekam, weil so mancher ihn für ungewöhnlich helle hielt, hatte sich in eine unbeobachtete Ecke der Medizinstation zurückgezogen. Gestern Abend noch hatte er stundenlang mit Voodoo geschwatzt. Voodoos Sicht auf die Dinge mag in vielerlei Hinsicht zu einfach gewesen sein, aber Photon gefiel sie. Er war Gecko unendlich dankbar, dass er Voodoo und Photon die Augen für einander geöffnet hatte. Jetzt war Voodoo fort. Photon hatte am ersten Tag einen unbeobachteten Moment genutzt, um einige Medikamente aus der Krankenstation zu stehlen. Er hatte eine lange Karriere mit synthetischen Drogen hinter sich und kannte sich aus. Sicherlich wäre er dazu in der Lage gewesen, einen Schwerverletzten notdürftig zu versorgen. Jetzt zog er es vor, seine Fähigkeiten auf andere Art und Weise zu nutzen. Der Cocktail, den er in die Spritze aufgezogen hatte, deren Nadel er auf Augenhöhe hielt und mit dem Zeigefinger anschnippste, würde seinem Dasein ein rasches Ende setzen. Er beobachtete, wie ein kleiner Tropfen des tödlichen Gemisches von der Nadelspitze davonstobte, als er die Spritze mit seinem Finger beklopfte. Er studierte, wie eine kleine Luftblase Stück für Stück empor wanderte, nur um sie schließlich mit einem kleinen Druck auf den Stempel in die Freiheit zu entlassen. „Ich verrecke eh hier dran, warum die Mühe?“ Mit diesen Worten setzte er sich die Spritze an die Ader an seiner Armbeuge. Er spürte ein leichtes Brennen, als die Nadel seine Haut durchstieß, dann ein seliges Gefühl, als der Cocktail sich in seinem Körper verteilte, dann gar nichts mehr.