Wenn man Schwarzfahren nicht bestrafen will, dann soll man bitte direkt den ÖPNV kostenlos machen. Und du kannst dir immer Beispiele für angebliche "Straftaten ohne Opfer" suchen, die man dann ignorieren könne. In deinem Beispiel ging es aber um Körperverletzung.
Das sind ja auch völlig unabhängige Aspekte.
1. Strafe für Schwarzfahren
Ich hab nichts gegen kostenlosen ÖPNV. Aber das lenkt imo vom Thema ab. Es geht doch erstmal nur darum, Fahren ohne Ticket aus dem StGB zu streichen. Das entlastet die Strafjustiz und ist imo sachlich angemessen.
Das heißt nicht, dass man es gar nicht mehr sanktioniert. Es wäre dann nur noch eine Ordnungswidrigkeit und mit einem Bußgeld belegt. Wer ein Bußgeld nicht zahlen kann, gegen den wird Vollstreckt. Als Ultima Ratio gibt es noch die Erzwingungshaft, die aber keinen Sinn ergibt, wenn derjenige über keine Mittel verfügt, aus denen er zahlen könnte. Eine Ersatzfreiheitsstrafe gibt es für Ordnungswidrigkeiten afaik nicht. Das gilt letztlich immer, wenn man Geldforderungen wegen Zahlungsunfähigkeit nicht bedienen kann - außer wir wollten den Schuldturm wieder einführen.
Dein Einwand scheint jetzt darin zu bestehen, dass die Ordnungswidrigkeit dann in letzter Instanz für gewisse Leute doch straffrei bleibt.
Das ist wohl so, aber das ist auch jetzt schon der Status quo. Ich verstehe, ehrlich gesagt, das Unbehagen nicht so richtig. Es geht hier um die Ärmsten der Armen, um Leute, die wirklich nichts außer ihrem nackten Leben und ner Handvoll Habseligkeiten haben und ja, um opferlose Delikte.
Ich sehe hier keine Gefahr für die öffentliche Ordnung, wenn man die vom Haken lässt. Wenn es um reine Kosmetik geht, soll man halt Null-Euro-Tickets an Obdachlose verteilen oder was auch immer.
2. Strafbefehl
Ganz anderer Fall. Körperverletzung sollte natürlich ein Fall für die Strafjustiz sein. Hier gehts mir darum, dass eine Verurteilung vom Strafgericht imo nicht ohne rechtliches Gehör möglich sein sollte. Und der Strafbefehl stellt dieses Gehör imo nicht in allen Fällen sicher. Schriftverkehr, noch dazu in Juristendeutsch, übersteigt einfach die Kompetenz vieler Leute. Es gibt Millionen funktionelle Analphabeten in Deutschland, dazu kommen kulturelle, soziale, psychische und sonstige Hürden. Das Juristenargument ist dann immer, dann müsse man sich halt Hilfe holen - als ob das voraussetzungsfrei möglich wäre.
Der Rechtsstaat ist hier für mich einfach in der Pflicht, die Leute da abzuholen, wo sie sind. Und wenn wir die Mittel haben, die Leute von der Polizei ins Gefängnis bringen zu lassen, dann sollten wir auch die Mittel haben, sie noch eben einem Richter vorzuführen - idealerweise ihnen dafür auch einen eigenen Anwalt zur Verfügung zu stellen.
Damit wären wir dann aber schon beim nächsten Punkt:
3. Pflichtverteidigung und Prozesskosten
Mir war, ehrlich gesagt, bis vor nicht so langer Zeit gar nicht bewusst, dass der aus amerikanischen Serien bekannte Grundsatz "wenn Sie sich keinen Anwalt leisten können, wird Ihnen vom Gericht einer gestellt" in Deutschland nicht gilt. Genauso wenig war mir bewusst, dass für Strafprozesse ein Instrument wie die Prozesskostenhilfe völlig fehlt.
Ohne mir anmaßen zu wollen, dass ich hierfür die perfekte Lösung kenne, löst das in mir jedenfalls ein großes Unbehagen aus, weil es letztlich dafür sorgt, dass ohnehin Bessergestellte auch vor Gericht systematisch besser wegkommen. Und obwohl mir bewusst ist, dass sich das nie völlig vermeiden lassen wird, sind wir als Staat und Gesellschaft imo in der verdammten Pflicht, diesem Ideal wenigstens so nahe zu kommen, wie praktisch möglich ist. Und auf mich Laien macht es zumindest nicht den Eindruck, dass die Möglichkeiten dazu ausgereizt sind.
4. Vollstreckung von Geldstrafen
Mir ist auch ein wenig unklar, warum der deutsche Staat im 21. Jahrhundert nicht über die Mittel verfügt oder kein Interesse daran hat, Geldstrafen anders zu vollstrecken, als die Menschen ersatzweise einzusperren. Warum ist das so?
Ebenso wenig ist mir klar, warum für Verbrechen teils grundsätzlich Bewährungsstrafen verhängt werden, man verurteilte Straftäter also ganz bewusst aus dem Gefängnis raushält, während man für - warum auch immer - nicht bezahlte Geldstrafen wegen deutlich geringerer Vergehen direkt einsitzen soll.
Diese Asymmetrie erschließt sich mir überhaupt nicht.