Dann sagt man halt als Arzt nein? Man (Praktiker, evtl.
@Zsasor ?) korrigieren: Wer noch groß etwas "fordern" kann, der wird von der Notlage nicht stark genug betroffen sein, als das er seine Forderung noch groß begründen könnte. In der Notaufnahme werd ich mit gebrochenem Finger viel fordern können, wenn jemand mit starker Blutung kommt, dann warte ich. Was will ich denn machen, einen bösen Brief an die Krankenversicherung oder die Kammer schreiben? Eine schwerere Erkrankung vortäuschen stelle ich mir auch schwierig vor, man kann ja testen. Es ist ja nicht so, als ob bei steigender Inzidenz nicht die softe Triage im Vorfeld eingesetzt würde, die genau solche Engpässe durch verschobene OPs und co. verhindern sollen. Auch das empfinde ich als Schweinerei, aber ist halt, was es ist.
Klar kann der Arzt nein sagen, aber es geht ja nicht in erster Linie um Fälle, wo völlig klar ist, dass eine Intensivbehandlung (noch) nicht angezeigt ist, sondern um alle Fälle, wo ein Ermessensspielraum besteht.
Mein Punkt ist, dass man meint, mit so einer Regelung für klare Verhältnisse zu sorgen, in Wahrheit aber schwierige Entscheidungen lediglich verlagert, weil sie sich dann eben schon ex ante stellen: Versuchen wir bei der 80jährigen mit Vorerkrankung überhaupt nochmal die ECMO, wenn wir wissen, dass die da eventuell zwei Monate liegt, während wir andere Patienten nicht mehr versorgen können? Was sagen oder raten wir den Angehörigen, der Patientin selbst?
Es ist imo eine Illusion zu glauben, dass es in solchen Ausbahmesituationen noch Entscheidungen gibt, die sich einzig und allein am Wohl des einzelnen Patienten orientieren, so als fänden sie im Vakuum statt - oder dass das ethisch wünschenswert der gar erforderlich wäre.
Man trifft Entscheidungen unter Knappheit nicht per se besser oder fairer, wenn man so tut, als gäbe es keine Knappheit.
kA, wie ich mir das in der Praxis vorstellen müsste und wie viele Fälle das beträfe. So eine Behandlung wird wohl etwas dauern, also bräuchte ich eine Definition, ab wann es lohnt wen abzuhängen, weil's nicht anschlägt, oder weil der Ausgang so viel unklarer ist, oder weil die Person am Gerät mehr Schäden nach 'Genesung' zu erwarten hat, als der neue Patient. Generell wird da schon viel an Entscheidungswillen verlangt, mich würde wirklich interessieren auf welche _realen_ Informationsgrundlage ein Arzt zurückgreifen kann, wenn der Fall der Fälle eintritt. Daher finde ich das mit dem First-Come-First-Serve und Losprinzip auch am humansten, das Leben wird kein reiner Elfenbeinturm sein.
Ich sehe die Humanität nicht. Lasse mich hier gern korrigieren, weil ich von der Praxis wenig weiß, aber afaik ist es tendenziell so, dass die Patienten, bei denen es schlechter läuft, eher länger in der ICU hängen, die anderen kürzer. Dadurch kriegst du rein statistisch eine umgekehrte Auslese: Wenn echte Knappheit eintritt, ziehst du tendenziell den Patienten mit der schlechteren Prognose mit größerer Wahrscheinlichkeit anderen vor, weil er im paarweisen Vergleich viel wahrscheinlicher zuerst da war.
Das halte ich persönlich nicht für human, effizient oder gerecht.
All das ist natürlich höchst theoretisch, weil es praktisch ja seltenst eine klare Triagesituation geben würde. Wir haben nicht fünf Plätze und dem sechsten Patienten sagt man: Sorry, wir sind voll. Stattdessen schafft man den Platz im Zweifel mit der Brechstange, indem man den besten Patienten auf die Normalstation abschiebt, wo er dann nicht unbedingt stirbt, aber mit höherer Wahrscheinlichkeit ein schlechteres Outcome hat oder man steuert unbewusst über die Aufmerksamkeit des Personals, das in der Realität eh meistens der Flaschenhals ist.
Die Politik hat aber hier imo die Chance bzw. vielmehr die Pflicht den Ärzten den Rücken zu stärken, die nach bestem Wissen und Gewissen das Nötige tun, um auch unter knappen Mitteln möglichst viele Menschen zu retten.
Und ja, wenn die Krankenwagen Schlange stehen und man merkt, man schafft einfach beim besten Willen nicht alle, dann sollte es imo auch erlaubt sein, dass man die Oma abknipst, die seit Wochen das Personal verschleißt und wahrscheinlich eh nicht mehr aufwacht.
Mir fehlt auch einfach die moralische Klarheit, um einzusehen, dass, wenn mehrere Menschen eine Maschine zum atmen brauchen und wir weniger Maschinen als Menschen haben, es irgendeiner höheren Gerechtigkeit folgen soll, wenn wir automatisch die vorziehen, die schon an der Maschine hängen. Warum ist es Totschlag, wenn man die von der Maschine nimmt, aber nicht, wenn man die anderen erst gar nicht an die Maschine lässt? In beiden Fällen bringt man niemanden aktiv um, sondern "nur", indem man etwas vorenthält, das zum Leben benötigt wird.
Für mich ist das eine Pseudo-Gerechtigkeit, die eine komplexe Situation unzulässig vereinfacht, damit Leute vermeintlich ruhiger schlafen können, in Wahrheit aber einfach einem archaischen Besitzdenken entspricht. Als seien wir auf dem Spielplatz und würden sagen: Wer zuerst auf der Schaukel war, darf unbegrenzt schaukeln. Ist das gerechter als zu sagen, nach einer angemessenen Zeit dürfen auch andere zum Zuge kommen?