Eine Sache zur "historischen Verantwortung": Die sehe ich durchaus auch. Aber für mich war die historische Lektion des Holocausts nicht, dass er besonders schlimm war, weil er an Juden begangen wurde, sondern dass es die historische Verantwortung Deutschlands ist, sich gegen JEDE Form von Verbrechen gegen die Menschlichkeit einzusetzen. Wenn die das nächste Mal von Juden ausgehen und nicht an Juden begangen werden dann sollte sich das in meinen Augen auf Deutschlands Position kein Iota auswirken. Und ich weiß: Abstrakt traut sich niemand, diesem Satz zu widersprechen. Aber wenn es um konkretisierte Politik geht handeln viele Politiker nicht danach.
Ich würde dem Satz widersprechen.
Wir haben eine
besondere Verantwortung gegenüber Israel.
Wir haben eine
generelle Verantwortung als Mitglied der Staatengemeinschaft gegenüber jeder Art von Genozid & Kriegsverbrechen.
Das musst du nicht auch so sehen - aber so sehen es viele & so interpretiere ich auch die "deutsche Staatsräson".
Viele der nicht-westlichen Staaten würden im Traum nicht daran denken, Israel irgendwelche Waffensysteme zu verkaufen, einfach weil sie wissen dass es für die internationale Reputation besser ist es nicht zu tun: China oder Russland etwa sind nicht darauf angewiesen, das sind für deren Rüstungsindustrien Rundungsfehler. Dementsprechend ist Israel in einer abhängigen Position gegenüber den vergleichsweise wenigen Ländern, die es beliefern.
Erstnes ist das aber im Wesentlichen die USA.
Zweitens insbesondere für die relevanten Waffensysteme für Gaza.
Daher wäre es für uns nur ein imo unbotmäßiger Signalling-Move, wenn wir
öffentlich Waffenlieferungen einstellen oder Rote Linien dafür definieren.
Das nicht öffentlich zu tun: Super.
Zu Schmidt: Das geht davon aus, dass wir über die RAF reden. Glaubst du Helmut Schmidt hätte auch dann noch nicht verhandelt, wenn die RAF das Saarland als Geisel gehabt hätte und nicht Peter Lorenz (als ja doch verhandelt wurde) oder Siegfried Buback?
Vielleicht schon.
Es geht mir darum, dass ich als Starting Point das Grundprinzip "Mit Terroristen verhandelt man nicht" für besser halte als "wir tun alles, um Menschenleben zu retten, auch wenn wir maximal von Terroristen erpresst werden".
Wie man dann im Einzelfall entscheidet ist was anderes.
Zu meinem Flugzeugbeispiel: Deine Antwort geht in meinen Augen ein bisschen an meinem Punkt vorbei. Wenn überhaupt würde ich erwarten, dass ein Staat weniger stringente moralische Maßstäbe anlegt, wenn es um seine eigenen Bürger geht. Hier werden aber relativ offensichtlich deutlich weniger stringente moralische Maßstäbe angelegt, wo es um die Bürger eines anderen Staates geht, Israel. Willst du wirklich argumentieren, was Israel in Gaza macht ist nicht, Menschen nur noch als Mittel zum Zweck zu behandeln?
Was meinst du mit "Mittel zum Zweck"?
Dass für Israel das Leben einzelner Menschen in Gaza in der Waagschale von Entscheidungen weniger Gewicht hat als früher, und weniger Gewicht als es für uns heute hätte, ist richtig.
Aber daraus kann ich nicht ableiten, dass die Menschen "Mittel zum Zweck" wären.
Ich finde da nach wie vor die Analogie zu den Bombenangriffen auf deutsche Städte gut.
Die waren grundsätzlich gerechtfertigt - aber irgendwann war auch da der Punkt erriecht, an dem man (insb bei einzelnen Angriffe) hinterfragen könnte, ob sie es dann noch waren (weil Krieg eh vorbei).
Und dennoch ist nachvollziehbar, dass die Allierten dann halt lieber 10k tote Deutsche Zivilisten in Kauf nahmen, wenn sie das Gefühl hatten, dafür 1k eigene Soldaten zu retten. (Beispielzahlen).
Ähnlich finde ich es nicht gut, aber nachvollziehbar, dass Israel die Leben von Gaza-Bewohnern mittlerweile stark discounted bei ihrem Kalkül, sich selbst zu schützen & die Terrorgruppen zu zerschlagen.
Warum um alles in der Welt sollen wir in einer Situation, in der wie die absolut freie Wahl haben, ohne Nachteile so zu handeln wie wir es für richtig halten, die Leben bestimmter Menschen (derjenigen mit israelischer Staatsbürgerschaft) so eklatant gegenüber der Leben anderer Menschen (derjenigen in Gaza) privilegieren?
Erstens, sehe nicht, wo wir das tun.
Zweitens, wir privilegieren auch das Leben von Belgiern weit mehr als das Leben von bspw. Leuten im Sudan.
Ist halt so. Konsequenz daraus, dass man Bündnisse hat & nicht jedem gleich viel helfen kann.
Oben beantwortet: Nein. Erstens kommen wir in unserer Außenpolitik keinem Land ohne Not so weit entgegen wie Israel* und zweitens können wir auf wenige Länder mehr Druck ausüben.
Mag sein. Ich finde aber eben, dass es gute Gründe hat, dass wir Israel so viel entgegenkommen -- und wenig öffentlichen Druck ausüben.
Es gibt Dutzende andere Länder, welche diese Aufgabe übernehmen können.
Ich finde, dass das eben keine Priorität für uns sein sollte.
Die Wahrheit ist ja tatsächlich, dass viele Länder nicht auf Kooperation aus dem Westen angewiesen sind, weil sie bspw. auch mit den Chinesen kooperieren könnten und dementsprechend unsere Einflussmöglichkeiten begrenzt sind. Diesen Luxus hat Israel nicht.
Auf den ganzen Westen kann Israel schlecht verzichten.
Auf Deutschland aber schon.
Und ich denke schon, dass Israel sich nötigenfalls auch mit einer Koalition mit Saudi Arabien & China arrangieren könnten, wenn es um ihr Überleben ginge
Mittlerweile bin ich der Meinung, dass wir tatsächlich unsere Unterstützung Israels deutlich zurückfahren sollten.
Faire Meinung, ich bin anderer Meinung.
Ich verstehe deinen Standpunkt schon. Ich halte ihn nur einfach für zutiefst unmoralisch.
Kann ich zu einem gewissen Grad nachvollziehen.
Letztlich müsstest du dann aber jedes Land für unmoralisch halten.
Denn kein Land legt komplett die gleichen fairen Maßstäbe an alles an, hilft utilitaristisch jedem Menschen gleich etc.
Streng genommen ist dann das schiere Konzept der Staatsbürgerschaft unmoralisch - da gehe ich aber halt nicht mehr mit.