Um die es, ich betone zum dritten mal, nicht geht. Sondern um die Frage, ob staatlicherseits Konsequenzen zulässig sind - etwa indem man ehemalige Verteidiger von XYZ pauschal Interessenskonflikte für Amt 123 unterstellt. Und das ist es, nach mE eindeutiger Aussage des BVerfG nicht.
Sie dürfen aber auch nicht bei Kandidatur/Ernennung anders behandelt werden, als jemand, der zuvor meinetwegen Professor oder LKW Fahrer war und genau das ist der Dissens, den ich mit Benrath hatte.
Nichts für ungut, aber das ist einfach nicht wahr.
Nb: Ich habe auch Jura studiert und Leute wie du sind mir im Jurastudium auch enorm oft untergekommen. Was wir dir hier versuchen zu vermitteln: Es gibt in einer Gesellschaft nun mal unterschiedliche Sphären und die sind zu trennen und unterschiedlich stark vom Recht durchdrungen. Die Beziehung zwischen Staat und Bürger ist per se anders geregelt als die Beziehung Bürger <--> Bürger oder die politische Sphäre. Niemand darf
rechtlich benachteiligt werden, weil er rechtsstaatliche Pflichten wahrnimmt: Ich glaube wir stimmen
alle darin überein, dass es absolut NICHT wünschenswert ist, irgendwen rechtlich von staatlichen Positionen auszuschließen.
Gleichzeitig gibt es für niemanden eine rechtliche Pflicht, rechtsstaatliche Grundsätze positiv zu bewerten. Eine Demokratie schließt per se aus, dass der Staat rechtlich so weit in die Privatsphäre seiner Bürger eindringt, dass er ihnen aufträgt, was sie zu denken und zu fühlen haben (was nicht heißt, dass es nicht wünschenswert ist, dass dieser Glaube kultiviert wird!). Ferner: Niemand (inklusive BVerfG) behauptet, dass es dem Bürger versagt sei, die Meinung zu hegen (und danach zu handeln!), dass jemand aufgrund seiner anwaltlichen Tätigkeit für bestimmte Ämter nicht in Frage kommt. Wenn ich der Meinung bin, dass ein Anwalt (egal welche Mandanten er vertritt) nicht Bundeskanzler werden darf, weil ich Anwälte nicht mag, dann wäre das mein gutes Recht; wenn ich zufällig stimmberechtigter Teilnehmer beim Bundesparteitag der Union wäre, wäre es mein gutes Recht, meine Stimme per se nur Nichtanwälten zu geben. Das ist in der Politik auch keine Ausnahme, sondern völlig gängig: In der Frühzeit der BRD bspw. war die Religionsfreiheit ebenfalls verfassungsmäßig garantiert, was aber nicht verhindert hat, dass Konflikte zwischen Katholiken und Protestanten eine DER zentralen Konfliktlinien waren (ich erinnere nur an die Debatten der 1950er um konfessionsgebundene Schulen). Ich bin relativ sicher, dass es heute noch eine nicht unbeträchtliche Zahl von Leuten gibt, die völlig unabhängig der tatsächlichen Ausprägung seines Glaubens einen Muslim nicht als Kanzler akzeptieren würden. Das darf (sollte!) man nicht gut finden, aber man muss es trotzdem akzeptieren.
Was mir immer wieder auffällt, wenn ich mit (professionellen) Juristen rede: Viele von euch sehen häufig, dass Recht die Wirklichkeit beeinflusst, aber achten viel zu wenig darauf, wie die Wirklichkeit das Recht beeinflusst (hier Oliver Wendell Holmes Zitat einfügen). Und auf die Wirklichkeit wird leider in der Ausbildung von Juristen zu wenig wert gelegt*; du wirst einfach zwangsläufig weltfremd argumentieren, wenn du so tust als sei mit einem Blick in die Verfassung alles gesagt, was es zu diesem speziellen Thema zu wissen gibt: Du hättest ja recht, wenn die Realität so funktioniert wie dein hehres Ideal vom Rechtsstaat dann gäbe es keinen Grund, von anwaltlicher Tätigkeit auf irgendetwas zu schließen. Nur ist die Realität einfach komplexer: Es kann dir doch nicht entgehen, dass Anwälte genauso Menschen mit Interessen, Werten und Einstellungen sind wie alle anderen auch. Welchen Grund gibt es zu glauben, dass die keinen Einfluss haben? Mein Eindruck meiner Mitstudenten war, dass das keine zufällige Mischung von Charakteren aus der Gesellschaft war und ich wette mit dir, der typische "Pflichtverteidiger" in den USA unterscheidet sich vom typischen Wirtschaftsanwalt beträchtlich. Wenn ich den "Cum-Cum Anwalt" von Benrath vor mir hätte, wäre mein prior auch, dass er vermutlich (ob intrinsisch oder allmählich geschäftsbedingt) grundlegend andere Vorstellungen davon hat, wie man als Finanzminister agieren sollte, als ich das habe. In der theoretischen Welt des idealen Rechtsstaates wäre das eine irrige Annahme, in der Realität würde ich darauf eine Menge Geld (zu einer nicht sehr guten Quote) setzen.
Womit wir wieder beim Ursprungsfall sind: Ich persönlich habe kein Problem damit, dass der Typ seine zweifellos hohe juristische Kompetenz relativ wahllos für Hochprofilfälle einsetzt. Ich kann aber auch verstehen, dass andere Menschen das anders sehen können, weil sie sich nicht sicher sind, ob in der Einwilligung, jemanden wie Weinstein zu vertreten, der zweifellos auch ohne ihn problemlos eine exzellente juristische Vertretung bekommen könnte, der Gedanke mitschwingt, dass er die Drastik der Situation verkennt. Nur um dir mal ein ganz konkretes Beispiel zu geben: Wenn du hier als Strafverteidiger in einem Vergewaltigungsprozess auftrittst, wirst du in den allermeisten Fällen nicht umhinkommen, die Glaubwürdigkeit des Opfers in Zweifel zu ziehen oder "slut shaming" zu betreiben; du musst das nicht mal gut finden, aber weil du vor einer Jury auftrittst und wir nun mal alle wissen, dass sowas Zweifel bei den Geschworenen aufbaut, ist es deine Pflicht. Gleichzeitig kann das in hohem Maße traumatisch für Frauen sein, die sowas selbst erlebt haben und ich würde ihnen in keiner Weise vorwerfen, wenn sie die professionelle Rolle des Anwalts nicht von dem Menschen dahinter trennen können und ihn konsequenterweise in bestimmten Rollen in ihrem Leben ablehnen würden, unter anderem in Rollen, die ein gewisses zwischenmenschliches Vertrauen erfordern. Wie gesagt: Das MUSS man nicht so sehen, aber ich halte es für eine völlig vertretbare Sicht. Sicherlich ist mein hypothetischer Fall etwas drastischer als der von Sullivan, aber die Prinzipien sind dieselben. Das verkennst du momentan einfach zu sehr.
*hier in den USA ist es ein klein wenig besser geworden: Mittlerweile ist es keine Seltenheit mehr, dass man Leute mit sozialwissenschaftlichen PhDs neben dem obligatorischen JD an Law Schools trifft oder sowas wie "Statistik für Juristen" angeboten wird