Ja, ich verstehe deinen Punkt und natürlich ist das ein Nachteil. Hier muss man aber einen Tod sterben - entweder man geht das Risiko ein, dass man auf eine gesellschaftliche Bereicherung in Form der Kinder in zweiter/dritter Generation verzichtet, oder man geht das Risiko ein, dass diese Kinder bereits vom schädlichen Einfluss des Vaters/der Eltern verdorben wurden und die Ansichten auch in die nächste Generation perpetuieren. Zusätzlich muss man Abwägen zwischen dem o.g. potentiellen Nachteil und der Signalwirkung, die auf mittlere Sicht dazu führen kann, dass sich nur Menschen um einen Platz in Deutschland bemühen, die bereit und willens sind ihre Ansichten zu überdenken.
Will sagen: Wenn von Anfang an gesagt wird und optimalerweise vertraglich festgehalten wird "wenn du hier nach Sharia light Ansichten leben willst, dann wird das ein sehr kurzer Aufenthalt und wenn du damit ein Problem hast, komm gar nicht erst", dann schreckt das potentiell eben die falschen Leute, die wir nicht haben wollen, ab. Dafür muss das aber auch wirklich durchgesetzt werden, sonst ist die Integrationspflicht eben so zahnlos wie sie jetzt ist.
Ich verstehe ehrlich gesagt das Kalkül hinter deiner Rechnung nicht, weil ich nur in einer Richtung ernsthafte Kosten sehe. Wenn wir sowas wie ein Kontingent an Leuten hätten, die zu uns kommen können, könnte ich schon verstehen: Dann wäre es natürlich besser, uns die Leute so auszusuchen, dass sie und ihre Nachkommen das Maximum aus ihren neu gewonnenen Freiheiten machen. Aber so funktioniert unser System ja überhaupt nicht, insofern tragen die Kosten komplett die Kinder derjenigen, die unter dem aktuellen System nach Deutschland kommen könnten, unter deinem System aber nicht.
Wo die Kosten auf der anderen Seite sind entzieht sich mir mehr oder weniger vollständig: Einen gesellschaftlichen Einfluss haben diese Leute ja nicht und kriegen sie auch nicht. Die meisten von ihnen sind und werden keine Staatsbürger und empirisch betrachtet dürfte sich bei ihren Nachkommen im Durchschnitt (!) schon eine deutliche Verschiebung der Werte hin zu den westlichen Werten einstellen, was wir übrigens auch sehen, wenn wir die Ergebnisse aus internationalen Umfragen wie bspw. dem World Value Survey vergleichen, wo Deutschtürken deutlich andere Einstellungen haben als Türken in der Türkei. Ihr denkt immer eher an die Ausnahmefälle, bei denen die Integration mehr oder weniger komplett scheitert, als an den Regelfall, in dem Deutschtürken zwar weiterhin konservativer bleiben als der Rest der Bevölkerung, aber eben auch deutlich liberaler sind als ihre eigenen Eltern. Selbst unter den aktuellen Bedingungen, unter denen die autochthone Bevölkerung schrumpft und die Bevölkerung mit Migrationshintergrund größer wird hast du netto einen riesigen Gewinn an Liberalismus über die Zeit, weil der Wertewandel in Richtung gesellschaftspolitischem Liberalismus ja quer durch alle Bevölkerungsschichten anhält. Jedenfalls fehlt mir jede Fantasie dafür, wie konservative Deutschtürken daran etwas ändern könnten, schließlich machen sie bspw. als Wähler nur bei einer Partei überhaupt einen Prozentanteil der Wählerschaft aus und der Anteil ist 1 und die Partei ist die SPD, die ja nun auch nicht gerade gesellschaftspolitisch rückschrittlich unterwegs ist.
Die Kosten für die Kinder derjenigen, die du entweder wieder wegschicken würdest oder die gar nicht erst kommen dürften sind dagegen direkt und beträchtlich, weil in den meisten dieser Länder ihre Eltern viel mehr Einfluss auf ihr Leben haben können als in Deutschland. Dazu kommt, dass wie gesagt bei den meisten zumindest zu einem gewissen Teil eine Liberalisierung gegenüber den Einstellungen des Heimatlandes einsetzt, die dann ebenfalls ausbleibt. Selbiges gilt mutmaßlich für die Kindergeneration ebenfalls, weil wir gerade bei muslimischen Ländern sehen, dass sich der Wertewandel dort verlangsamt hat oder ganz zum Stillstand gekommen ist, während er im Westen anhält.
Naja es ist ja nun echt nicht so, als ob ich da irgend ein Rad neu erfunden hatte. Das System entspricht mehr oder weniger dem tausendfach besprochenen kanadischen oder neuseeländischen Modell, nur mit einem etwas strengeren Fokus auf kulturelle integration mit dem unverhohlenen langfristigen Ziel der Assimilation (nicht in erster Generation, aber eben in dritter oder vierter Generation).
Ich glaube auch nicht, dass nur ich mich damit gut fühle, wenn wir Leute ins Land lassen, die die Werte unserer Gegenwartsgesellschaft nicht nur gezwungenermaßen hinnehmen oder gar verachten, sondern im Gegenteil aktiv begrüßen und gerade deshalb herkommen WEIL ihre Töchter hier frei leben können. Solche Menschen gibt es nämlich auch zu Hauf in muslimischen Ländern und sie sind mir sehr willkommen.
Ich sage nicht, dass nur du dich damit gut fühklst, im Gegenteil: Das ist der Impetus, der einen interessanten Teil der Einstellungen gegenüber Migranten treibt. Der Gedanke, dass diese sich nicht in unsere gesellschaftliche Ordnung einfügen wollen, wo sie in aller Regel erst mal relativ weit unten anfangen würden, sondern in ihren Gedankenbildern eigene Werteordnungen entwerfen, in denen traditionalistische Werte wie Ehre oder Abstammung wertvoller sind als die Werte, in denen wir Erfolg messen, ist für viele Deutsche offensichtlich eine Kränkung, mit der sie nicht umgehen können.
Dir kann das egal sein, weil du objektiv erfolgreich bist und dich in unserer gesellschaftlichen Ordnung über Bildung oben einsortiert hast, aber für Leute die diesen Halt nicht haben funktioniert das eben nicht so einfach und dort schlägt es häufig in Abschätzumg um. Das ist natürlich objektiv ziemlich würstchenhaft, auf Migranten rumzuhacken, weil sie sich so mental ein wenig Wertschätzung verschaffen, die sie sonst nicht bekommen, aber ganz offensichtliche gibt es viele Leute, die das tun. Ich erinnere nur an die ganzen Leute, die von Flüchtlingen "Dankbarkeit" erwarten, weil sie in Deutschland aufgenommen wurden, selbst aber völlig unterdurchschnittliche Existenzen führen, die nur deshalb materiell einträglich sind weil sie zufällig zur richtigen Zeit (Wirtschaftswunderjahre) am richtigen Ort (Deutschland) geboren wurden.
Aber wie gesagt: Wenn du damit sagen willst wir gehen von einer Zahl X an Leuten auf, die wir aufnehmen können/wollen und dann suchen wr diejenigen, die am meisten von diesen Freiheiten profitieren, weil ihre Integration ordentlich läuft*. Danach klingt es aber nicht nur davon zu schreiben, dass du Leute heimschicken willst, weil das für mich danach klingt als kriegen wir erst mal Zahl Y an Leuten, die es schaffen hier einzuwandern, und bleiben dürfen dann Y minus alle diejenigen, die deinen Test nicht bestehen. Wenn du damit nur Leute treffen könntest, die keine Kinder haben, die davon auch negativ beeinflusst würden, wäre mir das sogar ganz recht, aber das Problem ist halt, dass in deinem Beispiel die Erziehung halt bereits der Litmustest für Integration ist.
*btw: Was hier auch häufig unter den Tisch fällt ist die Tatsache, dass Wertewandel eine extrem starke materielle Basis hat. Die Zahl der Türken, die einerseits extrem konservative gesellschaftspolitische Einstellungen haben, andererseits aber wirtschaftlich gut integriert sind, ist extrem überschaubar, das folgt einer der wenigen relativ gut abgesicherten Muster, die die Einstellungsforschung zu dem Thema hat
Wie erklärst du dann die weitaus höheren Werte für Homophobie und Antisemitismus bei muslimischen Jugendlichen in hier bereits dritter oder vierter Generation? Ich bezweifle ja nicht, dass die Gesellschaft auf manche eine heilende Wirkung hat, die sie aus den Fängen ihrer Familie und Kultur befreit, aber leider längst nicht bei allen und längst nicht quantiativ so zahlreich, dass sie der Deutschen Bevölkerung angeglichen wären:
Burak Yilmaz fährt mit jungen Muslimen nach Auschwitz – auch um Antisemitismus zu bekämpfen. Hier erzählt er, wie er die Reisen vorbereitet – und was in den Schulen anders laufen müsste.
www.spiegel.de
Studien gibts hier ebenfalls zuhauf, mir wurde diese hier jüngst empfohlen, ich habe sie aber noch nicht gelesen (das Ergebnis entspricht aber dem o.g.):
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Woher hast du das mit Homophobie und Antisemitismus? Ich bezweifle die grundsätzliche Aussage (dass er höher ist als bei deutschen Jugendlichen) nicht unbedingt, aber die Frage ist wie viel höher und dazu gibt es meines Wissens überhaupt keine Daten. Die Promotion auf die du hinweist ist bspw. eine Interviewstudie, die ganze sechs Fälle präsentiert und die meisten Eltern dieser Jugendlichen sind sogar noch in der Türkei zur Schule gegangen.
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Hier lässt du so ein paar kleine aber sehr wesentliche Faktoren aus. Das Bewusstsein um die Schuld im 2WK, die ja eig erst von der Nachfolgergeneration richtig aufgearbeitet wurde, dürfte als Abgrenzungsresultat eine große Rolle gespielt haben. Diesen Abgrenzungsdrang zu der Vorgängergenration gibt es bei Muslimen nicht, wieso auch? Im Gegenteil entspricht es der muslimischen Kultur Älteren besonders großen Respekt zu erweisen, insofern dürfte es noch viel schwieriger sein gegen die Eltern zu rebellieren, als es für unsere 68er war (und die Tatsache, dass man als Frau dafür auch manchmal ermordet wird, dürfte auch nicht gerade motivierend wirken).
Das spielt eine sehr untergeordnete Rolle. Es gibt, beginnend in den 1960ern, gute Studien zu der demokratischen Haltung der Bevölkerung und, um es etwas zu vereinfachen, du siehst im Grunde genommen Veränderung bei der Inhärenten Zustimmung zur Demokratie hauptsächlich durch zwei Trends
(1) Alte Bürger sterben, fallen also aus der Wahlbevölkerung heraus
(2) Junge Menschen wachsen in die Wahlbevölkerung herein
Die Beschäftigung mit dem Zweiten Weltkrieg beginnend Anfang der 60er spielt dafür eine unwesentliche Rolle, das war immer mehr oder weniger eine Eliteveranstaltung. Bei der älteren Generation hast du immer sehr viele (natürlich keineswegs alle) Bürger, für die Demokratie alleine nach der Performanz beurteilt wurde: Wenn sie Ergebnisse liefert sind wir dafür, wenn sie keine liefert verliert sie unsere Zustimmung. Eine inhärente Präferenz für Demokratie wird erst zu der Zeit von einem Eliten- zu einem Massenphänomen, als diejenigen ins Wahlalter kamen, die schon in (vergleichsweise bescheidenem) Wohlstand aufgewachsen waren. Die Linie verläuft allerdings früher, nämlich nicht erst bei den 68ern, sondern schon bei Leuten die in den 1950ern sozialisiert wurden, als die Kriegsschuld in Deutschland noch extrem wenig thematisiert wurde. Das alles heißt natürlich nicht, dass sich nicht die Zustimmung zur Demokratie in der Zeit verändert hat, die ist vergleichsweise schnell sehr stark gestiegen. Aber am Anfang eben hauptsächlich deshalb, weil es wirtschaftlich extrem gut lief und die ganze Gesellschaft fühlbar an Wohlstand gewonnen hat.
Will sagen: Das alles hat mit Religion und Kultur wenig zu tun. Es wird schwer Einwanderer zu finden, die eine hohe inhärente Zustimmung zur Demokratie mitbringen*, das galt lange Zeit für Deutschland und es gilt jetzt immer noch unabhängig von der Religion für die meisten Einwanderer. Solange du es schaffst, Einwanderer halbwegs in unsere Wirtschaft zu integrieren, schaffst du es aber bei den allermeisten auch, sie von demokratischen Werten zu überzeugen. Die "postmateriellen" Werte (wie z.B. Rechte für "Minderheiten", Sinnfindung jenseits von Erwerbsbeschäftigung etc.) folgen in aller Regel, spätestens bei der nächsten Generation.
Und auch wenn ihr das anscheinend nicht glaubt, für die allermeisten gelingt die Integration in den Arbeitsmarkt gut genug. Sicher findet der Wandel nicht so schnell statt wie bei Christen (was man ja auch aus den Zahlen sieht, die ich gepostet habe), was viel damit zu tun haben drfte dass die Religion für Muslime ein stärkeres Distinktionsmerkmal ist als für christliche Einwanderer in ein christliches Land, aber der Wandel findet statt. Es gibt unrühmliche Ausnahmen, bei denen es (ob der engen Bindung an die Religion) sehr viel langsamer funktioniert, eben wie Antisemitismus, aber bei der oben zitierten Zahlen sehe ich insgesamt keinen Grund für die Panik, die in diesem Land teilweise herrscht. Ich würde sogar so weit gehen zu behaupten wenn Muslime in Deutschland exakt dieselben Einstellungen hätten, die sie heute haben, aber nominell Christen wären, würde von "gescheiterter Integration" niemand reden.
*jetzt nicht im Sinne von "Demokratie ist gut weil die Demokratien, an die wir denken, reiche Länder sind"
Das sage ich so pauschal nicht, aber ich sehe jetzt nicht, warum du angesichts der massiven Integrationsprobleme, die es nunmal in zweiter und dritter Generation gibt, so positiv bist. Schau nur das Thema Antisemitismus, Sexismus und die Kriminalitätsstatistik an. Bei der letzteren erfassen wir ja leider nicht nach Ethnie, aber ich garantiere Dir, dass unter den "deutschen" Tätern die meisten ebenfalls so Deutsch sind wie ich. Dazu sehen wir die Situation in französischen, britischen und schwedischen Vorstädten, wo mittlerweile auch die dritte oder vierte Generation wütet und kommen eben zu dem Schluss, dass in einer überlegenen Gesellschaft aufzuwachsen eben nicht reicht, um sich in diese auch integrieren zu wollen.
Ich sehe keine "massiven Integrationsprobleme", im Übrigen kommt das vom Thema ab, weil man diesbezüglich nur schwer einen Kulturfaktor ausmachen kann, einfach weil die Vergleichsgruppe (eine andere Kulturgruppe, bspw. Christen, aus vergleichbaren Ländern häufig viel zu klein ist). Du redest jetzt wieder von "Warum scheitert Integration" und ich rede gleich von "Scheitert Integration überhaupt?", aber das ist letztendlich nicht worauf ich hinaus wollte, sondern der kulturelle Einflussfaktor. Einfach zu sagen "schau halt in die Vorstädte" ist halt nicht zielführend, wenn es nur eine Einwanderergruppe gibt, die groß genug ist um die Vorstädte zu füllen, außer du willst polnische Klemptner mit pakistanischen Einwanderern vergleichen, was von vorneherein untauglich ist, um kulturelle Effekte zu identifizieren. Wie du weißt wohne ich hauptsächlich in den USA und da sind die Problembezirke ebenfalls voll mit Minderheiten, aber bei denen ist der "kulturelle" Aspekt in dem Sinn unbedeutend, dass das auch alles Christen sind, die sogar alle die Sprache sprechen. Dort denken die Leute die "kulturellen" Aspekte kommen aus genau der entgegengesetzten Richtung, die man bei religiösen Muslimen identifizieren würde, trotzdem werden sie angenommen. That being said:
Wir reden wieder aneinander vorbei, weil ich mir die ganze Gruppe anschaue und frage "wie oft gibt es Probleme" (öfter als bei Deutschen, aber insgesamt selten) und du dir die Probleme anschaust und fragst "wie oft kommen sie von Zuwanderern" (deutlich überproportional). Was allerdings stimmt ist die Tatsache, dass die Schwere der Probleme, die tatsächlich existieren, stark mit dem wirtschaftlichen Erfolg von Zuwanderern korrelieren, nur eben nicht so wie manche hier denken: Man braucht keine "Nettozahler", man braucht lediglich Leute die irgendwie am Wohlstand der Gesellschaft partizipieren können. Das ist auch der Grund, warum man bei uns dort sehr viel bessere Erfahrungen macht als in Frankreich oder dem UK*: Frankreich hat bis heute die klassische political economy der Südeuropäer, die auf gut verdienende und gut abgesicherte Hauptverdiener ausgerichtet ist, während der Einstieg in den Arbeitsmarkt schwierig ist und die "Integrationsmaßnahmen" Frankreichs haben sich seit jeher auf genau das beschränkt, was einige hier fordern: Frankreich propagiert dass das Franzosentum der Apex des Menschseins ist und einfach darauf vertraut, dass man Leuten nur die Staatsbürgerschaft geben müsse und sie das dann auch verstehen. Der UK dagegen war immer sehr liberal und hat darauf vertraut, dass sich die Gesellschaft schon irgendwie von selbst richten wird und bis auf das Gesundheitssystem keine nennenswerten wirtschaftlichen Unterstützungsmaßnahmen nötig sind.
*Schweden ist ein Sonderfall, weil die tatsächlich eine Größenordnung mehr Menschen aus den am schwierigsten zu integrierenden Gebieten aufgenommen haben; die Zahlen für Schweden sehen übrigens über alle Gruppen keineswegs schlecht aus, nur produzieren bestimmte Gruppen halt überdurchschnittlich viele Probleme. Im Übrigen hat das in Schweden absolut nichts mit einer "dritten oder vierten" Generation zu tun, ich weiß nicht woher du das hast