Dass ihr die Land/Stadt Unterscheidung etwas differenzierter seht, bestärkt mich in meiner Meinung. Obwohl man als normaler Deutscher den internen Lexikoneintrag USA = New York (eigentlich nur Manhatten) + Hollywood + schrullige Rechtsfälle (Hamster in der Mikrowelle) besitzt, ist mir das schon einigermaßen klar, dass die USA ein Land voller Gegensätze sind und sich Orte an Ost- und Westküste extrem vom Heartland unterscheiden. Ich habe auch noch die Aussage von einer amerikanischen Bekannten im Ohr, die sich fragte, warum so viele Menschen die USA eigentlich als ein einziges Land (sic!) betrachteten. Da wird einem schon irgendwie bewusst, dass so eine Wahl nicht einfach mit der Wahl zum Bundestag vergleichbar ist, sondern zusammengefügte Erklärungen für die Wahlen von Spanien, Frankreich, England, Deutschland, Italien und Polen der Vergleichsmaßstab sein müssten. Aber trotz der riesigen kontinentalen Ausmaße der USA und der vielen verschiedenen Bevölkerungsgruppen sind die Vereinigten Staaten eben doch ein Land.
Ich verstehe auch die generelle Unterscheidung der traditionellen Wahlgebiete der Demokraten und der Republikaner. Ich verstehe auch, dass man eine Protestwahl macht. Ich verstehe auch, warum Trump gegen Clinton gewinnen konnte. Jedenfalls finde ich alle jeweiligen Punkte für sich genommen relativ logisch, aber in der Kombination nicht schlüssig. Zum Beispiel kann ich nachvollziehen, dass Trump ungefähr die Wähleranzahl der Republikaner hielt und Clinton viele Stimmen im Vergleich zu Obama verlor. Allerding frage ich mich dann, wieso Trump die Vorwahlen gewinnen konnte, und wieso dort nicht einfach der nächste Mc Cain /Romney Spitzenkandidat geworden ist, wenn doch die Wähler sich in dieser Gruppe ähnlich verhalten. Eine Protstwahl will mir auch einleuchten, allerdings warum genau Trump ein Kandidat dafür sein soll, will mir nicht in den Sinn. Um im Bild des Crackedtextes zu bleiben: Dies ist doch genau nicht der Gegensatz Luke Skywalker vom Land gegen Darth Vader, Todesstern und Imperium, sondern das ist doch eher der Versuch, das Imperium zu besiegen, indem man Darth Vader unterstützt.
Am ehesten sehe ich noch den Punkt, dass er der "change mit der Backsteinmethode" ist, wie du es nennst, der auf seine verquere Art authentisch ist und der vor allem kein Politiker ist. Ich kann mir auch so eine Art Teufelspakt vorstellen. Ein Teil der Leute weiß schon, dass Trump keine Lösungen bietet und ihren eigenen Ansichten sogar widerspricht. Es gibt für amerikanische Literatur und Filme eine Theorie der "regeneration through violence". Damit ist dann ein Gewaltakt gemeint, der nötig ist, um eine Ordnung wiederherzustellen bzw. überhaupt erst zu etablieren (z.B. die Westernstadt, in der Banditen herrschen, die dann in einer gewaltsamen Schießerei vernichtet werden müssen, um wieder Ordnung zu schaffen. Dabei ist dieser Gewaltakt zwar eine Reinigung, oft aber auch ein Widerspruch gegen das frühere und zukünftige zivile Leben und wird daher manchmal von Personen durchgeführt, die dann keinen Platz in der Gesellschaft finden [etwa der zweifelhafte Revolerheld]). Zumindest unterbewusst kann ich mir das schon vorstellen, dass ein Mann gegen die verkommene Politikwelt gesucht wird, "who doesn't play by the rules", wie man im Englischen sagt, auch wenn man auf längere Sicht natürlich wieder "rules" haben will, nur eben die eigenen.
Andererseits hat er wohl wirklich Unterstützer, die an ihn glauben. Da würde ich dann diejenigen zählen, die behaupten, er sei ein Selfmademan, er verstehe die einfachen Menschen, er sei ein Macher und er habe Ahnung von Wirtschaft. Ich habe da seit einigen Monaten verstärkt ein Phänomen beobachtet, von dem ich nicht weiß, ob es "schon immer da war" oder eine Erscheinung des Onlinejournalismus ist, in dem es immer wichtiger wird, aufzufallen. Dementsprechend wäre es wichtiger die erste Person zu sein, die eine neue Meinung vertritt, als den 50. Konsenstext zum Thema X zu schreiben. Ich spreche davon, dass ich beobachte, wie jede noch so bekloppte Meinung Zustimmung aus dem Lager erhält, gegen das sie gerichtet ist. Wenn also jemand verlangt, dass blonde Menschen mit grünen Augen, Vollbart, Monoaugenbraue und zehn Leberflecken auf der Stirn eine Sondersteuer zahlen sollten, dann kann man sicher sein, dass am nächsten Tag ein Artikel eines blonden, grünäugigen, usw. mit der Überschrift "5 Gründe warum wir eine Sondersteuer zahlen sollten und wie sie unser Leben verbessern wird" auftaucht. So ähnlich sehe ich das in den USA. Wenn jemand krank ist und keinen Job hat, ist die beste Medizin, die Steuern für Reiche zu senken und die gesetzliche Krankenversicherung abzuschaffen.
Ich glaube letztlich wird die ironisch-zynische Pointe folgende sein: Trumpgegner werden positiv überrascht sein, weil nicht so viel verändert wurde und dem System der Präsident mehr oder weniger egal ist; und aus den gleichen Gründen werden die Trumpanhänger in ihren Hoffnungen bitter enttäuscht werden.