Mich interessiert bei sowas ja immer: Ist das Strategie oder spontane Eingebung? Durchdacht wirkt es (mal wieder) eher nicht, weil man sonst spätestens die relevantesten Details nachgelegt hätte, als die Debatte hochgekocht ist. Meine Vermutung geht dahin, dass er es selbst für so trivial hält, dass er sich gar keine großen Gedanken über die Details gemacht hat oder wie das hochgejazzt werden könnte - und, um ehrlich zu sein, so abwegig scheint mir das auch nicht, denn einen guten Grund, weshalb die aktuelle Regelung sinnvoll oder gerecht ist, sehe ich bis jetzt nicht. Es ist letztlich dieselbe alte Leier an Empörung, die immer kommt, wenn irgend jemand irgendwo mehr zahlen soll - dass es auf der anderen Seite diejenigen gibt, die dann weniger zahlen müssen und denen es im Mittel deutlich schlechter gehen dürfte, fällt dabei unter den Tisch.
Das ist eine gute Frage. Dröge hat ja offensichtlich mittlerweile nachgereicht, dass das ein Schritt "auf dem Weg" in Richtung "Bürgerversicherung" sein soll (siehe diesen
völlig unterirdischen Kommentar in der FAZ). Ich befürchte tatsächlich dass das eher eine spontane Eingebung respektive Privatmeinung von Habeck war. Ist halt ziemlich töricht, sowas rauszuhauen, weil er sowieso schon mit dem Vorwurf konfrontiert ist, keine Ahnung von Wirtschaft zu haben* und als Mitte-Links-Politiker ist man in Deutschland da wie gesagt sowieso schon in der Rückhand, da sollte man sich nicht solche unnötigen Fehler leisten.
Wir hatten ja neulich schon mal darüber gesprochen, aber ich denke ein nicht unbeträchtlicher Teil des Problems ist auch einfach, dass man eine große Reform einfach scheut (weil man nicht glaubt in der politischen Diskussion gut auszusehen). Der Nachteil ist dann, dass man stattdessen auf die sowieso schon komplexe Gesetzeslage immer noch mehr Komplexität drauf schaufelt. Das kann kurzfristig zwar funktionieren um politische Ziele der Linken zu erreichen, aber langfristig gräbt man sich damit selbst das Wasser ab. In den USA haben mindestens drei oder vier Politikwissenschaftler, soweit ich weiß völlig unabhängig voneinander, mehr oder weniger dasselbe Buch geschrieben, das genau dieses Vorgehen in den USA kritisiert, weil die ganze Komplexität des Systems die relativ simple Grundlage dahinter versteckt: Der Staat hat kein eigenes Geld. Er verteilt das Geld, das er einnimmt. Die Markteinkommen sind im Vergleich zum Ist-Zustand extrem ungleich verteilt und tendieren mindestens seit 40 Jahren zu immer größerer Ungleichheit. Ohne staatliche Umverteilung wäre der Lebensstandard der meisten Bürger deutlich niedriger. Ein System, das staatliche Umverteilung hinter unendlich viel Komplexität versteckt ist ein System, in dem die meisten Menschen überhaupt nicht mehr verstehen, was der Staat alles für sie leistet.
Im Grunde könnte ich jedem Deutschen nur ein freiwilliges soziales Jahr als Entwicklungshelfer in den USA empfehlen, um sich mal anzuschauen wie ein Krankenversicherungssystem aussieht, wenn der Staat sich weitestgehend raus hält und nur diejenigen (zumindest einen Teil von ihnen) versichert, die sich nicht selbst versichern können.
*dass es nicht ganz fair ist, dass man Merz hier mehr oder weniger grundlos Ahnung attestiert sei mal dahingestellt
Mir kommen ja schon öfter mal Zweifel, ob vielleicht bei der Schaffung der BRD bereits die Weichen so sehr auf Stabilität und Konsens gestellt waren, dass der aktuelle Reformstau, das Gefühl der Unmöglichkeit von Veränderung und die Frustration, die sich daraus ergibt, in gewisser Weise unvermeidlich war. Man hatte wohl irgendwie einen Staat vor Augen, der sich in weiten Teilen durch Institutionen und politische Kultur selbst organisiert, ohne dass man von oben groß lenkend eingreifen sollte oder auch nur könnte. In vielen Bereichen sitzen bei uns derart viele Player mit ihren spezifischen Vorstellungen und Partikularinteressen am Tisch, dass am Ende gar nicht mehr nachvollziehbar ist, wer die Verantwortung trägt und wen man damit beauftragen soll, irgendwas von Grund auf zu reformieren, weil es gar nicht mehr die Stelle gibt, die dazu fähig wäre.
Das ist nicht nur inhaltlich ein Problem in einer Zeit, wo tiefgreifende Veränderungen dringend nötig wären, sondern auch eine Hypothek für die Demokratie, weil es das Konzept, dass das Volk in Wahlen die Richtung des Landes bestimmt, konterkariert.
Ich bin ja gespannt, was wir dieses Jahr noch erleben, muss aber jetzt schon mal konstatieren: Richtungswahlkampf sieht für mich anders aus. Ich sehe von keiner Partei echte Bereitschaft, die großen Baustellen dieses Landes anzugehen. Es ist mehr, wie Fratzscher neulich wo meinte, dass sich alle irgendwie durchmogeln. Mir fehlen da insgesamt die großen Linien und der Mut zu echter Veränderung. Entweder will man die einfach nicht, weil man den Schuss noch nicht gehört hat oder man hält die Zeiten nicht für opportun, weil alle lieber über Migration und markige Wirtschaftskonzepte reden.
Na ja, ich denke unser System ist schon reformierbar, aber die traurige Wahrheit ist halt irgendwo auch, dass der ganze Glaube an die Unverrückbarkeit endogen ist. Wenn wir in eine echte Krise kämen, dann ließe sich da sehr vieles tun (siehe etwa die Reaktion auf die Bankenkrise 2008), aber da sind wir aktuell nicht und ich denke es ist auch relativ unwahrscheinlich, dass wir dort hinkommen werden. Ich bin ja immer wieder erstaunt, wie aktuell die Agenda 2010 als dEr GrOßE wUrF gefeiert wird, den man heute wieder braucht, weil ich mich (manchmal habe ich das Gefühl als Einziger) noch gut daran erinnern kann, wie über die Agenda 2010 gesprochen wurde, als Schröder sie aufgesetzt hat und damals war das Echo genau derjenigen, die heute eine neue Agenda 2010 fordern, dass das alles viel zu wenig sei und Deutschland in einer Strukturkrise sei, die man im aktuellen System nicht überwinden kann.
Zu Recht. Das ist ja einer der Gründe warum es mich ankotzt, auch wenn ich grundsätzlich ja bereit bin meinen Teil beizutragen. Nur wegen des Solidaritätsgedankens bin ich immer noch gesetzlich versichert. Da fühlt sich sowas schon wie Hohn an. Gerade _weil_ ich nichtmal mit zwei zugedrückten Augen glauben kann, dass das irgendwelche Probleme lösen wird.
(Und weil ich genügend Menschen kenne die aktiv bei den Grünen oder der SPD dabei sind … bei denen klammert man sich (auch in der Breite) sehr fest an den Gedanken, dass "die Reichen" an allem schuld sind weil sie nichts zur Gesellschaft beitragen, und, dass mit dem Angriff Steiner der Abschaffung der Schuldenbremse alles wieder gut wird und sonst alles so bleiben kann wie es ist. Einfach den Staat mehr Geld ausgeben lassen, der Staat kann alles. Problem solved.
Na ja, so richtig stimmt das ja eigentlich nicht. Wir haben seit 50 Jahren eine ziemlich konstante Staatsquote, was im Grunde genommen ziemlich beachtlich ist wenn man bedenkt, dass die zwei großen Treiber im Sozialstaat die Rentenquote und die Gesundheitsausgaben sind, welche beide nahezu die gesamte Zeit angestiegen sind. Das Problem an den deutschen Staatsfinanzen erscheint mir weniger zu sein, dass der Staat immer mehr einnimmt, das ist nicht so. Das fühlt sich nur nicht so an, je nachdem was für ein Einkommen man bezieht und worüber man es erzielt, denn da hat sich in der Tat in der Zeit einiges verschoben.