Deutschland im Vergleich

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Naja, das Problem ist doch, dass die Industrie zu gute Arbeitsplätze zur Verfügung stellt. Natürlich gehen die Leute lieber in einen 35h-Stunden Job mit brauchbarer Bezahlung, wo man entspannt Kaffee trinken kann, anstatt sich in der Pflege oder als Dachdecker kaputt zu schuften.
Ohne Industrie würden viel mehr Leute für die wichtigen Jobs zur Verfügung stehen, von daher wäre eine "Deindustrialisierung" gar nicht so verkehrt.
 
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Sehr gutes Beispiel: Es gibt keinen Grund, der Produktion von Fernsehern in Deutschland nachzutrauern. Aus irgendeinem Grund ist es in Deutschland immer noch gang und gäbe, mit der Handelstheorie des 17. Jahrhunderts zu argumentieren, nach der wir möglich alles herstellen und dann an andere verkaufen sollten. Mit der durchschnittlichen Tätigkeit bei der Herstellung von Fernsehern lässt sich in Deutschland sowieso kein unsubventionierter Lebensunterhalt bestreiten. Fernseher sollten dort gebaut werden wo der komparative Vorteil am größten ist und das ist mit SICHERHEIT nicht Deutschland (und war es auch schon nicht, als wir noch deutlich mehr Arbeitslose hatten). Es ist für eine hochentwickelte Volkswirtschaft wie Deutschland weder notwendig noch wünschenswert, dass das hier passiert, Fernseher kann man sehr leicht importieren.
Genau dasselbe mit den Strompreisen: Wenn einige sehr energieintensive Produktionsprozesse sich in Deutschland nicht mehr lohnen, dann ist das halt so. Das ist für Deutschland vernachlässigbar, aber dass bei BASF et al. die Krokodilstränen rollen ist natürlich kein Wunder. Man muss allerdings nicht alles glauben, was deren Chefs so in den Diskurs werfen.
Moooment, das ist nicht die Handelstheorie des 17. Jh

Eine vollständige Spezialisierung ist genau dann wünschenswert, wenn man sich dadurch nicht abhängig/erpressbar macht. Der Sweet Spot liegt irgendwo zwischen Autarkie (nicht so schlau) und hundertprozentiger Spezialisierung (auch nicht so schlau wenn man irgendwo im Modell noch Politik und Interessen einbaut). Der komparative Vorteil trägt eben nur solange wie man nicht erpressbar oder abhängig wird.

Und dann gibt es ja noch das Problem, dass Arbeit als Produktionsfaktor nicht hundertprozentig flexibel zwischen verschiedenen Sektoren und Spezialisierungen verschoben werden kann. Am Ende muss es halt auch Jobs für diejenigen geben die keine Nuklearforscher werden.

Gerade bei industrieller Produktion ist es hochgradig sinnvoll diese zumindest teilweise vor Ort zu haben _wenn_ es sich um wichtige Güter handelt. Die Deindustrialisierung des UK sollte eigentlich ein gutes Beispiel dafür sein wie man es nicht macht. Ein Fokus auf Dienstleistungen führt mE in die Irre. Quelle des Wohlstands eines Landes sind am Ende drei Dinge: sich selbst mit Essen versorgen können zu möglichst geringen Kosten und Dinge herstellen die gebraucht werden. Letzteres sind am Ende vor allem Güter und nur eingeschränkt Dienstleistungen. Der dritte (wichtige) Punkt wäre dann noch: Den erwirtschafteten Wohlstand sinnvoll und halbwegs gerecht verteilen und verwalten.
 
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Die Kunst ist jetzt natürlich zu entscheiden, was die Güter sind, die man auf jeden Fall im Land halten sollte. Ich denke das ist keine absolute, sondern eine relative Frage: Kann ich mit relativ wenig Aufwand (finanziell und organisatorisch) agieren? Von wem und in welcher Form besteht die Abhängigkeit, wenn ich es sein lasse?
Wenn wir also im konkreten Beispiel die Chemieindustrie mit Milliarden subventionieren müssen, wenn wir die benötigten Produkte genauso von einem sehr zuverlässigen Partner und einem breit aufgestellten Markt kriegen könnten, dann macht das aus meiner Sicht keinen Sinn. Wenn wir die Sachen nur von Russland und Mali kriegen können dann sieht es natürlich wieder anders aus.
 
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Naja, das Problem ist doch, dass die Industrie zu gute Arbeitsplätze zur Verfügung stellt. Natürlich gehen die Leute lieber in einen 35h-Stunden Job mit brauchbarer Bezahlung, wo man entspannt Kaffee trinken kann, anstatt sich in der Pflege oder als Dachdecker kaputt zu schuften.
Ohne Industrie würden viel mehr Leute für die wichtigen Jobs zur Verfügung stehen, von daher wäre eine "Deindustrialisierung" gar nicht so verkehrt.

das ist ja ein bisschen auf halbem weg stehen geblieben? würde das noch an eine art sozial-score knüpfen, um gesellschaftlich akzeptables wir normgerechtes verhalten zu fördern. negativer score? wegen den eltern? das ist zwar schade, aber gerecht, kein studiumplatz für sie, wir haben ihnen einen ausbildungsberuf als fachkraft für kanalarbeiten zugewiesen. möge ihr leben lang und geruchsfrei sein.
 
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Zwischen "wir subventionieren mit Milliarden" und "wir machen es der Industrie durch die Randbedingungen aktiv schwerer" gibt es aber auch noch diverse Zwischenstufen...
 
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Da bin ich ja dabei, aber im konkreten Fall meckert die Industrie über die hohen Stromkosten und möchte Geschenke haben. Wir können (und wollen) aber energieintensive Industrie nicht mit >40c/kWh über Steuern quersubventionieren. Was wir machen können, ist diesen Industrien die Umstellung auf Regenerative zu erleichtern: Die sollen ihr eigenes Gelände mit Solar/Wind und Batterien vollpflastern und dafür vma Unterstützung kriegen. Sie müssen aber auch aktiv werden, das können sie nicht geschenkt kriegen und Gewinne dann intern verteilen.
 

Gustavo

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Moooment, das ist nicht die Handelstheorie des 17. Jh

Eine vollständige Spezialisierung ist genau dann wünschenswert, wenn man sich dadurch nicht abhängig/erpressbar macht. Der Sweet Spot liegt irgendwo zwischen Autarkie (nicht so schlau) und hundertprozentiger Spezialisierung (auch nicht so schlau wenn man irgendwo im Modell noch Politik und Interessen einbaut). Der komparative Vorteil trägt eben nur solange wie man nicht erpressbar oder abhängig wird.

Und dann gibt es ja noch das Problem, dass Arbeit als Produktionsfaktor nicht hundertprozentig flexibel zwischen verschiedenen Sektoren und Spezialisierungen verschoben werden kann. Am Ende muss es halt auch Jobs für diejenigen geben die keine Nuklearforscher werden.


Das ist ja alles wahr und richtig, aber für diese Nuancen gab es in Deutschland (zumindest vor dem russischen Angriff auf die Ukraine) überhaupt kein Verständnis. Da war Industrieproduktion per se gut und Exportüberschusse unser Edelmetall. Sicher gibt es noch Produkte, ohne deren Import wir nicht auskommen, wenn wir sie nicht selbst herstellen können. Das Problem in der realen Welt ist aber in den allermeisten Fällen nicht, dass wir sie nicht mehr herstellen, sondern eben wer sie herstellt (und von wem wir damit abhängig sind).


Gerade bei industrieller Produktion ist es hochgradig sinnvoll diese zumindest teilweise vor Ort zu haben _wenn_ es sich um wichtige Güter handelt. Die Deindustrialisierung des UK sollte eigentlich ein gutes Beispiel dafür sein wie man es nicht macht. Ein Fokus auf Dienstleistungen führt mE in die Irre. Quelle des Wohlstands eines Landes sind am Ende drei Dinge: sich selbst mit Essen versorgen können zu möglichst geringen Kosten und Dinge herstellen die gebraucht werden. Letzteres sind am Ende vor allem Güter und nur eingeschränkt Dienstleistungen. Der dritte (wichtige) Punkt wäre dann noch: Den erwirtschafteten Wohlstand sinnvoll und halbwegs gerecht verteilen und verwalten.

Na ja, das Problem UK war immer, dass sein Alternativprogramm höchst ungleiche Marktergebnisse produziert und es wenig politischen Willen dafür gab, die entsprechende Umverteilung in den Markteinkommen post-markt wieder zurückzudrehen. Aber prinzipiell ist in jedem westlichen Staat der Anteil der Wertschöpfung der Industrie schon seit langer Zeit weggeschmolzen, in Deutschland noch auf höherem aber keineswegs drastisch höherem Niveau, trotzdem steigt der gesamtgesellschaftliche Wohlstand seit langem. Die Zahl der Produkte, die eine reiche Volkswirtschaft wie Deutschland industriell fertigen kann und sollte ist einfach gering und es ist auch total widersinnig, in Zeiten knapper Arbeitskräfte Gütern wie Fernsehern nachzutrauern, die andere viel besser produzieren können. Wenn dazu jetzt sehr energieintensive chemische Produkte gehören, dann so be it.



Die Situation ist so lange cool, so lange abwandernde Arbeitsplätze durch neue, bessere ersetzt werden, doch genau da wirds doch langsam kritisch. Der Standortvorteil Deutschland ist kein abstraktes Gebilde sondern im Grunde die Summe aus (guter) Infrastruktur + bezahlbarem und gut ausgebildetem Humankapital. Wenn jetzt immer mehr Faktoren bröckeln, dann ist das in Summe doch nicht lapidar wegzuwischen?
Es hat doch Gründe warum Deutschland in Rankings bzgl. des Standorts stets zurückfällt anstatt Plätze gut zu machen und das liegt nicht daran dass wir noch nicht genug Trans-Toiletten aufgestellt haben.

Man muss schon auch bedenken, dass die Qualität vieler dieser Arbeitsplätze hauptsächlich in der Erinnerung der Leute existiert, nicht im Jahr 2023. Viele dieser Arbeitsplätze waren gut, weil andere Länder diese Güter nicht anbieten konnten. Im Jahr 2023 des Herrn kannst du Fernseher in Deutschland in etwa mit derselben Wahrscheinlichkeit profitabel produzieren wie Schuhe.

"Standortvorteil" klingt immer so, als wäre in Deutschland die Industrie ein Boomsektor, dabei ist es lediglich so dass sie dort nicht ganz so schnell schrumpft wie anderswo. Diese generelle Klage von "Deutschland fällt zurück" war btw in seiner Undifferenziertheit der Auslöser dieses Threads, weil es halt einfach so nicht wahr ist. In Deutschland könnte sicher vieles auch besser gehen, aber so zu tun als gäbe es da irgendwelche Nichtlinearitäten und in Deutschland würde bald alles einbrechen ist halt auch einfach blödsinnig, auch wenn es die Presse gerne mal macht.
 
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Die Kunst ist jetzt natürlich zu entscheiden, was die Güter sind, die man auf jeden Fall im Land halten sollte. Ich denke das ist keine absolute, sondern eine relative Frage: Kann ich mit relativ wenig Aufwand (finanziell und organisatorisch) agieren? Von wem und in welcher Form besteht die Abhängigkeit, wenn ich es sein lasse?
Wenn wir also im konkreten Beispiel die Chemieindustrie mit Milliarden subventionieren müssen, wenn wir die benötigten Produkte genauso von einem sehr zuverlässigen Partner und einem breit aufgestellten Markt kriegen könnten, dann macht das aus meiner Sicht keinen Sinn. Wenn wir die Sachen nur von Russland und Mali kriegen können dann sieht es natürlich wieder anders aus.
Viele Grundchemikalien und Spezialchemikalien sind das Gegenteil von breit aufgestellt. Sehr, sehr wenige global player/Produktionsstätten und diese müssen 20-40 Jahre minimum laufen, bis sie sich amortisieren. Viele kann man nicht mal drosseln bzw. wenn sie mal runtergefahren sind, dauert es ewig bis unmöglich.


als Laie hat man doch genug mitgekriegt, wie bestimmte kritische Rohstoffe wie Seltenerdmetalle oder Lithium im Griff von bestimmten Spasstenländern sind. Bei Grundchemikalien ist das ähnlich, nur ist Deutschland da noch sehr wichtig. Viel Spaß dann, wenn nur noch China oder USA die Grundchemikalien im Griff haben, zuverlässige Partner yeah.
 

parats'

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Naja, das Problem ist doch, dass die Industrie zu gute Arbeitsplätze zur Verfügung stellt. Natürlich gehen die Leute lieber in einen 35h-Stunden Job mit brauchbarer Bezahlung, wo man entspannt Kaffee trinken kann, anstatt sich in der Pflege oder als Dachdecker kaputt zu schuften.
Ohne Industrie würden viel mehr Leute für die wichtigen Jobs zur Verfügung stehen, von daher wäre eine "Deindustrialisierung" gar nicht so verkehrt.
Wenn wir uns alle Gegenseitig den Arsch abwischen und die Haare schneiden ist es aber auch falsch.
 
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Wenn wir es gleichzeitig machen wäre aber ein neuer Geschäftszweig eröffnet. :deliver:

€:
Viele Grundchemikalien und Spezialchemikalien sind das Gegenteil von breit aufgestellt. Sehr, sehr wenige global player/Produktionsstätten und diese müssen 20-40 Jahre minimum laufen, bis sie sich amortisieren. Viele kann man nicht mal drosseln bzw. wenn sie mal runtergefahren sind, dauert es ewig bis unmöglich.

als Laie hat man doch genug mitgekriegt, wie bestimmte kritische Rohstoffe wie Seltenerdmetalle oder Lithium im Griff von bestimmten Spasstenländern sind. Bei Grundchemikalien ist das ähnlich, nur ist Deutschland da noch sehr wichtig. Viel Spaß dann, wenn nur noch China oder USA die Grundchemikalien im Griff haben, zuverlässige Partner yeah.
Wie gesagt, wenn man das Problem eines stabilen Versorgungssystems sieht, dann kann da durchaus interveniert werden. Man müsste nur mal überlegen wie genau: Ein staatlich garantierter Strompreis bei dem >80% des Strompreises vom Bürger übernommen werden ist es imo aber nicht. Oder zumindest nicht alleine, weil das ja den Innovationsdruck von den Unternehmen nimmt. Wie genau die Lösung aussieht muss also von Experten ausgearbeitet werden.
 
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Das ist ja alles wahr und richtig, aber für diese Nuancen gab es in Deutschland (zumindest vor dem russischen Angriff auf die Ukraine) überhaupt kein Verständnis. Da war Industrieproduktion per se gut und Exportüberschusse unser Edelmetall. Sicher gibt es noch Produkte, ohne deren Import wir nicht auskommen, wenn wir sie nicht selbst herstellen können. Das Problem in der realen Welt ist aber in den allermeisten Fällen nicht, dass wir sie nicht mehr herstellen, sondern eben wer sie herstellt (und von wem wir damit abhängig sind).
Mein Doktorvater reitet ja auch vermutlich immer noch auf der Welle, dass ein Land eigentlich gar nichts tun kann, um seinen Außenbeitrag zu beeinflussen. :rolleyes:
Bei manchen Dingen muss man halt ggf. höhere Kosten in Kauf nehmen, um dafür die Produktion eben unter eigener Kontrolle zu haben, oder zumindest in einem befreundeten Land.
Na ja, das Problem UK war immer, dass sein Alternativprogramm höchst ungleiche Marktergebnisse produziert und es wenig politischen Willen dafür gab, die entsprechende Umverteilung in den Markteinkommen post-markt wieder zurückzudrehen. Aber prinzipiell ist in jedem westlichen Staat der Anteil der Wertschöpfung der Industrie schon seit langer Zeit weggeschmolzen, in Deutschland noch auf höherem aber keineswegs drastisch höherem Niveau, trotzdem steigt der gesamtgesellschaftliche Wohlstand seit langem. Die Zahl der Produkte, die eine reiche Volkswirtschaft wie Deutschland industriell fertigen kann und sollte ist einfach gering und es ist auch total widersinnig, in Zeiten knapper Arbeitskräfte Gütern wie Fernsehern nachzutrauern, die andere viel besser produzieren können. Wenn dazu jetzt sehr energieintensive chemische Produkte gehören, dann so be it.
Hm ja ne. Deutschland hat schon ein deutlich höheres Niveau an Industrieproduktion als die meisten. Und, siehe oben, ich finde, dass das auch eine gute Sache ist. Insbesondere wenn man es schaffte hier eine gewisse Breite reinzubekommen und nicht nur und vor allem Autos und Werkzeugmaschinen zu produzieren. Gerade eine vollautomatisierte Produktion von Kram aus Recyclingmaterial hielte ich für zukunftsweisend. Ich hab da zwar nur wenig Ahnung von, aber Adidas hat iirc vor einer Weile versucht eine komplett automatisierte On-Demand Schuh-Herstellungs-Straße in Deutschland aufzubauen. Sowas fände ich schon recht geil.

Vor dem Hintergrund hab ich mich auch gefragt was die eigentlich alle geritten hat als KUKA nach China verkauft wurde. Bei AIXTRON gab es dieselbe Diskussion und sie wurden durch irgendeinen Umstand den ich vergessen habe gerettet … und siehe da, dem Laden geht es heute blendend.

Keine Ahnung wie man zu dem Schluss gelangte, dass ein deutscher Marktführer wie Kuka international keine Chance hat ohne sich kaufen zu lassen.

Man muss schon auch bedenken, dass die Qualität vieler dieser Arbeitsplätze hauptsächlich in der Erinnerung der Leute existiert, nicht im Jahr 2023. Viele dieser Arbeitsplätze waren gut, weil andere Länder diese Güter nicht anbieten konnten. Im Jahr 2023 des Herrn kannst du Fernseher in Deutschland in etwa mit derselben Wahrscheinlichkeit profitabel produzieren wie Schuhe.

"Standortvorteil" klingt immer so, als wäre in Deutschland die Industrie ein Boomsektor, dabei ist es lediglich so dass sie dort nicht ganz so schnell schrumpft wie anderswo. Diese generelle Klage von "Deutschland fällt zurück" war btw in seiner Undifferenziertheit der Auslöser dieses Threads, weil es halt einfach so nicht wahr ist. In Deutschland könnte sicher vieles auch besser gehen, aber so zu tun als gäbe es da irgendwelche Nichtlinearitäten und in Deutschland würde bald alles einbrechen ist halt auch einfach blödsinnig, auch wenn es die Presse gerne mal macht.
Hmm … Gegenfrage: Worin ist Deutschland denn Deiner Ansicht nach gut und hat einen komparativen Vorteil … wenn nicht in der Industrie?

Unsere Exporte bestehen zu weit über >50% aus Maschinengedöns, Autos, Pharma, Kompositmaterialien, Medizintechnik. Güterexporte sind über 1,5 Bn, Dienstleistungen nur ~230 Mrd. Zum Vergleich das UK: 420 Mrd / 330 Mrd. Witzigerweise ist die Exportstruktur des UK der unseren recht ähnlich, nur eben deutlich kleiner und ein krass anderes Verhältnis zugunsten der Dienstleistungen.
 

Gustavo

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Mein Doktorvater reitet ja auch vermutlich immer noch auf der Welle, dass ein Land eigentlich gar nichts tun kann, um seinen Außenbeitrag zu beeinflussen. :rolleyes:
Bei manchen Dingen muss man halt ggf. höhere Kosten in Kauf nehmen, um dafür die Produktion eben unter eigener Kontrolle zu haben, oder zumindest in einem befreundeten Land.


Wie gesagt, sehe ich nicht grundsätzlich anders. Aber da geht es eher um einen Sicherheitsaspekt, gesamtwirtschaftlich ist das kein nennenswerter Faktor für eine Nation wie Deutschland.


Hm ja ne. Deutschland hat schon ein deutlich höheres Niveau an Industrieproduktion als die meisten. Und, siehe oben, ich finde, dass das auch eine gute Sache ist. Insbesondere wenn man es schaffte hier eine gewisse Breite reinzubekommen und nicht nur und vor allem Autos und Werkzeugmaschinen zu produzieren. Gerade eine vollautomatisierte Produktion von Kram aus Recyclingmaterial hielte ich für zukunftsweisend. Ich hab da zwar nur wenig Ahnung von, aber Adidas hat iirc vor einer Weile versucht eine komplett automatisierte On-Demand Schuh-Herstellungs-Straße in Deutschland aufzubauen. Sowas fände ich schon recht geil.


Na ja, rule of thumb ist Deutschland ist bei ca. 20% (vergleichbar mit Japan) während viele vergleichbare Länder ähnlicher Größe (US, UK, Frankreich) eher um 10% Wertschöpfung sind. Sicher ist das ein Unterschied, aber man sollte halt auch nicht unterschlagen, dass im Zeitverlauf alle Nationen nach unten gegangen sind, Deutschland nur eben langsamer als andere; ändert aber nichts daran, dass das in Deutschland vor 30 Jahren noch 10 pp höher lag. Ich finde auch nicht schlecht, dass Deutschland einen vergleichsweise großen Anteil in der Industrieproduktion hat aber man sollte nicht so tun, als hinge Deutschlands Wohlstand maßgeblich an seiner Industrieproduktion und ohne wären wir sowas wie Griechenland ohne Tourismus.


Hmm … Gegenfrage: Worin ist Deutschland denn Deiner Ansicht nach gut und hat einen komparativen Vorteil … wenn nicht in der Industrie?

Unsere Exporte bestehen zu weit über >50% aus Maschinengedöns, Autos, Pharma, Kompositmaterialien, Medizintechnik. Güterexporte sind über 1,5 Bn, Dienstleistungen nur ~230 Mrd. Zum Vergleich das UK: 420 Mrd / 330 Mrd. Witzigerweise ist die Exportstruktur des UK der unseren recht ähnlich, nur eben deutlich kleiner und ein krass anderes Verhältnis zugunsten der Dienstleistungen.

Unser komparativer Vorteil ist sicherlich in der Industrie, aber der kommt eher durch Humankapital, bestehende existierende Firmen- und Infrastruktur und Rechtssicherheit zustande, nicht durch die Energiekosten.

Mir wird ein bisschen arg viel über den Zustand der Wirtschaft in Deutschland gejammert und jeder bringt wieder direkt sein persönliches hobby horse in Stellung, wo wir alle wussten und eigentlich immer noch wissen, dass Deutschland in besonderer Weise von dem Krieg in der Ukraine getroffen wurde. Eine Stagnation über einen Zeitraum von sowas wie zwei Jahre ist natürlich nicht schön, aber jetzt direkt wieder das Klagelied von Deutschland als krankem Mann Europas anzustimmen ist halt auch maßlos übertrieben. Könnte die Bürokratie in Deutschland besser funktionieren? Sicher. Aber es ist jetzt auch nicht so, als hätte sie vor drei Jahren so viel besser funktioniert und da hatte man gerade ein goldenes Jahrzehnt hinter sich. Dass jetzt wieder alle möglichen Wirtschaftslobbyisten aus ihren Löchern gekrochen kommen und uns erklären, wie arm und gebeutelt die Wirtschaft durch die Rahmenbedingungen ist, als ob das nicht dieselben Rahmenbedingungen gewesen wären mit denen man vor Corona exzellent gefahren ist und Leute das einfach so schlucken nervt.
 
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Nunja. Das dürfte zu einem nicht unerheblichen Teil daran liegen, dass Deutschland einen positiven Außenbeitrag hat 🤷‍♂️
 
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Wir haben die höchsten Energoekosten weit und breit und eine ekelhaft überbordende Bürokratie.
Das ist doch Konsens?
Also warum nicht darüber jammern und beides angehen, dann geht es uns NOCH besser. Ich will doch nicht zu loosern wie Frankreich schauen und sagen "die leben auch mit 10% Industrieanteil am BIP, so schlimm geht es uns nicht". Ich will lieber, dass Deutschland noch geiler wird und da gibt es ganz klar einige Baustellen, bei denen wir anpacken können.
 

Gustavo

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Wir haben die höchsten Energoekosten weit und breit und eine ekelhaft überbordende Bürokratie.
Das ist doch Konsens?
Also warum nicht darüber jammern und beides angehen, dann geht es uns NOCH besser. Ich will doch nicht zu loosern wie Frankreich schauen und sagen "die leben auch mit 10% Industrieanteil am BIP, so schlimm geht es uns nicht". Ich will lieber, dass Deutschland noch geiler wird und da gibt es ganz klar einige Baustellen, bei denen wir anpacken können.

Na ja, das sagt sich halt einfach. Regulierung ist immer abstrakt schlecht, aber wenn man selbst irgendwas abgeben soll dann ist das halt leider genau die eine Regel, die in jedem Fall beibehalten werden muss. Föderalismus, Rechtssicherheit, Datenschutz, Einzelfallgerechtigkeit, alles quasi die konkretisierte Menschenwürde.
 
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Was mich schon manchmal wundert, gerade während der Pandemie sehr deutlich: Viel Kritik am Föderalismus beginnt mit dem Vorbehalt, wir hätten dem Föderalismus ja viel zu verdanken, das sei ja an sich was Gutes oder so. Mir rollen dabei jedesmal die Augen.
Es mag mal gute Gründe dafür gegeben haben, dass keine einzelne Institution oder politische Ebene in Deutschland so wirklich was reißen kann. Aber eine offene Diskussion darüber, ob das im Jahr 2023 noch in irgendeiner Form die wahren Interessen des deutschen Volkes spiegelt, wäre mal angezeigt.
Jede Diskussion über Föderalismus erschöpft sich aber regelmäßig in Reförmchen, die das traurige Gesamtbild völlig unangetastet lassen.
Ich meine, wir haben es nicht mal nach einer Jahrhundertpandemie geschafft, in der der Föderalismus massiv versagt hat, die Kompetenzen im Gesundheitswesen sinnvoll anzupassen.
 

parats'

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Ich glaube nicht, dass die Bewältigung der Pandemie ohne Föderalismus besser gelaufen wäre. Nimm Frankreich als Gegenbeispiel, dort lief es trotz zentralistischer Regierung nicht wirklich besser. In jedem Fall sollte man aber über Länderkompetenzen sprechen -> Bildung wäre neben deinem Punkt auch so eine Sache.
Aus Sicht der Provinzfürsten ist es aber verständlich, dass man nichts aus seinem Verantwortungsbereich abgeben will.
 
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Ich glaube nicht, dass die Bewältigung der Pandemie ohne Föderalismus besser gelaufen wäre.
What? Sorry, aber besonders zur zweiten und dritten Welle waren es immer wieder einzelne Bundesländer, die rechtzeitige und wirksame Gegenmaßnahmen zugunsten eines zu kleinen und zu späten gemeinsamen Nenners blockiert haben.
So aus der Hüfte geschossen würde ich schon sagen, dass wir ein paar zehntausend Tote und einige Milliarden hätten sparen können, wenn die Bundesregierung hätte durchregieren können.
Das ist halt dasselbe wie häufig mit der EU: Näher am Bürger zu sein bringt wenig für gute Politik, wenn diese darin besteht, das objektiv Richtige zu tun.

Mir fällt auch kein einziges Land ein, das die Pandemie wirklich gut gemanagt hat, ohne zentrale Kontrolle.
Natürlich nützt eine Zentralregierung wenig, wenn sie dann das Falsche tut. Der Punkt ist, dass dir im Föderalismus selbst eine gute Regierung nicht, jedenfalls nicht genug nützt.
Wenn es schon eine demokratisch gewählte Bundesregierung gibt, dann sollte sie imo auch in allen Angelegenheiten von nationaler Bedeutung die volle Kompetenz und im Gegenzug die volle Verantwortung tragen.
Dazu gehört eine Pandemie ganz ohne Zweifel, aber selbstverständlich auch Bildung.
 
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What? Sorry, aber besonders zur zweiten und dritten Welle waren es immer wieder einzelne Bundesländer, die rechtzeitige und wirksame Gegenmaßnahmen zugunsten eines zu kleinen und zu späten gemeinsamen Nenners blockiert haben.
So aus der Hüfte geschossen würde ich schon sagen, dass wir ein paar zehntausend Tote und einige Milliarden hätten sparen können, wenn die Bundesregierung hätte durchregieren können.
Das ist halt dasselbe wie häufig mit der EU: Näher am Bürger zu sein bringt wenig für gute Politik, wenn diese darin besteht, das objektiv Richtige zu tun.

Mir fällt auch kein einziges Land ein, das die Pandemie wirklich gut gemanagt hat, ohne zentrale Kontrolle.
Natürlich nützt eine Zentralregierung wenig, wenn sie dann das Falsche tut. Der Punkt ist, dass dir im Föderalismus selbst eine gute Regierung nicht, jedenfalls nicht genug nützt.
Wenn es schon eine demokratisch gewählte Bundesregierung gibt, dann sollte sie imo auch in allen Angelegenheiten von nationaler Bedeutung die volle Kompetenz und im Gegenzug die volle Verantwortung tragen.
Dazu gehört eine Pandemie ganz ohne Zweifel, aber selbstverständlich auch Bildung.
Welches land mit zentraler kontrolle, hat den die Pandemie gut gemanagt?

Es war doch gerade der föderalismus der uns vor den grössenwahnsinnigsten auswüchsen betr. Eindämmung bewahrt hat.

Gerade jetzt ein jahr nachdem alle massnahmen aufgehoben sind und so gut wie niemand sich seine boosterimpfung erneuert und die schutzperiode der impfung verflogen ist,
Zeigt sich doch das die meisten massnahmen schlicht unnötig waren.
Es haben sich so zimlich alle entschieden covid zu ignorieren, obwohl es weder eingedämmt geschweige denn verschwunden ist und doch sehen wir weder gross negative auswirkungen irgendeiner art noch ernormer anstieg von todesfällen.
 
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Er hat doch recht damit, dass die meisten Maßnahmen unnötig waren nachdem Omikron dominant war & bekannt war, dass Omikron drastisch weniger tödlich war.

Zu diesen unnötigen Maßnahmen gehörte aus meiner Sicht:
  • Schließung von Restaurants
  • Schließung von Schulen
  • Maskenpflicht für junge Kinder in der Schule
  • Impfpflicht
Andere Maßnahmen wie Bewerbung von Impfungen oder Maskenpflicht im ÖPNV & in öffentlicher Verwaltung kann man verteidigen. Aber eben nicht alle.
 

parats'

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What? Sorry, aber besonders zur zweiten und dritten Welle waren es immer wieder einzelne Bundesländer, die rechtzeitige und wirksame Gegenmaßnahmen zugunsten eines zu kleinen und zu späten gemeinsamen Nenners blockiert haben.
So aus der Hüfte geschossen würde ich schon sagen, dass wir ein paar zehntausend Tote und einige Milliarden hätten sparen können, wenn die Bundesregierung hätte durchregieren können.
Das ist halt dasselbe wie häufig mit der EU: Näher am Bürger zu sein bringt wenig für gute Politik, wenn diese darin besteht, das objektiv Richtige zu tun.
Ohne das jetzt in Richtung Corona zu derailen, aber wir hatten im anderen Thread öfter die Diskussion Föderalismus vs Zentralistisch und afair sind da beide Formen nicht besser oder schlechter bei weggekommen. Nun ist das Thema schon "etwas" her, aber wenn du was handfestes hast, dass den Föderalismus als spezielles Problem ausmacht, kannst du den anderen Thread ja beleben.
Ich gebe dir aber Recht, dass die Bundesländer (hallo Bayern) zu oft nicht auf der Regierungswelle mitgeschwommen sind und sich lieber profilieren wollten. Das ist per se aber kein Problem des Föderalismus, sondern einzelner Egozentriker wie Markus Söder.
Ansonsten bin ich bei dir, dass man über bestimmte Kompetenzen und Zuständigkeiten nochmal sprechen muss. Speziell Corona müsste dann nochmal politisch aufgearbeitet werden, um Lehren für die Zukunft in Richtung Pandemiemanagement/Abgrenzung Verantwortlichkeit zu ziehen.
 
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Also dass wir uns während der Herbstwelle 2020 ewig und drei Tage Zeit gelassen haben, effektive Maßnahmen zu ergreifen, lag sicher nicht an der Bundesregierung, ebenso wenig wie der Fail im Frühjahr 2021, der auch nur gelöst wurde, nachdem man sich viel zu spät zur Bundesnotbremse durchringen konnte. Omikron usw. kam doch viel später, als die Messe im Wesentlichen gelesen war. Dass ein Drittel der Bevölkerung zu dämlich sind, sich impfen zu lassen, kann man schwerlich der Regierung anlasten.

Letztlich hatten wir eine sehr günstige Konstellation, um gut durch die Pandemie zu kommen mit Merkel als überdurchschnittlich wissenschaftsaffiner Kanzlerin, für die keine Wiederwahl mehr anstand, und einer mehrheitlich sehr auf Sicherheit fokussierten Bevölkerung. Besser gehts eigentlich nicht. Dass wir trotzdem mehrfach unnötig ins Messer gelaufen sind, war imo ein klares Scheitern unserer föderalistischen Institutionen.
Unabhängig von diesem empirischen Befund ist es imo ein relativ trivialer A-priori-Claim, dass eine Pandemie zu managen als nationale Aufgabe allein in die Hände der Bundesregierung gehört und nicht der Ministerpräsidenten.
 
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Sehr gutes Beispiel: Es gibt keinen Grund, der Produktion von Fernsehern in Deutschland nachzutrauern. Aus irgendeinem Grund ist es in Deutschland immer noch gang und gäbe, mit der Handelstheorie des 17. Jahrhunderts zu argumentieren, nach der wir möglich alles herstellen und dann an andere verkaufen sollten. Mit der durchschnittlichen Tätigkeit bei der Herstellung von Fernsehern lässt sich in Deutschland sowieso kein unsubventionierter Lebensunterhalt bestreiten. Fernseher sollten dort gebaut werden wo der komparative Vorteil am größten ist und das ist mit SICHERHEIT nicht Deutschland (und war es auch schon nicht, als wir noch deutlich mehr Arbeitslose hatten). Es ist für eine hochentwickelte Volkswirtschaft wie Deutschland weder notwendig noch wünschenswert, dass das hier passiert, Fernseher kann man sehr leicht importieren.
Genau dasselbe mit den Strompreisen: Wenn einige sehr energieintensive Produktionsprozesse sich in Deutschland nicht mehr lohnen, dann ist das halt so. Das ist für Deutschland vernachlässigbar, aber dass bei BASF et al. die Krokodilstränen rollen ist natürlich kein Wunder. Man muss allerdings nicht alles glauben, was deren Chefs so in den Diskurs werfen.

Mal ne einfache Frage, da Du ja anscheinend aus dem Elfenbeintrum eine sehr gute Übersicht über die wirtschaftlichen Dinge hast: Was sind denn die Bereiche, die Deutschlands Wohlstand finanzieren sollen? Ich möchte gerne nicht nur lesen, was wir alles nicht (mehr) können sollen, sondern die good news!
 

Gustavo

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Mal ne einfache Frage, da Du ja anscheinend aus dem Elfenbeintrum eine sehr gute Übersicht über die wirtschaftlichen Dinge hast: Was sind denn die Bereiche, die Deutschlands Wohlstand finanzieren sollen? Ich möchte gerne nicht nur lesen, was wir alles nicht (mehr) können sollen, sondern die good news!

Wie gesagt: Die Idee, dass irgendwie besonders exponierte Exportsektoren Deutschlands Wohlstand "finanzieren" müssen ist halt ökonomisch auch schon ziemlich dünn. Es gibt haufenweise Länder auf der Welt, deren Exportbilanz negativ ist, von denen denkt niemand dass sie nicht "wohlhabend" seien. Diese ganze Standortdiskussion ist zu einem nicht unbeträchtlichen Teil eine Interessendebatte zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern, nicht zwischen Ländern.
 
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Also sehen wir dabei zu, wie gutbezahlte Industriejobs ins Ausland gehen und am Ende geht es uns trotzdem besser, oder wenigstens nicht schlechter?
 

Gustavo

Doppelspitze 2019
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Also sehen wir dabei zu, wie gutbezahlte Industriejobs ins Ausland gehen und am Ende geht es uns trotzdem besser, oder wenigstens nicht schlechter?

Wie gesagt: Der Denkfehler ist zu glauben, dass "gut bezahlte Industriejobs" irgendwo hin abwandern. Viele der Jobs wandern ab, weil sie aufhören zu existieren oder weil sie nicht mehr gut bezahlt ausgeübt werden müssen. Die Autoindustrie ist ein gutes Beispiel für Ersteres, die hier ins Spiel gebrachte Fernseherproduktion Letzteres: Viele der Arbeitsplätze im Zuliefererbereich werden wegfallen, nicht weil die Teile dann billiger irgendwo anders hergestellt werden, sondern weil E-Autos halt weniger intrikate Fahrzeuge sind als Fahrzeuge mit Verbrennermotoren. Und Fernseher werden heute nicht statt von gut verdienenden Deutschen von einer gleichen Zahl gut verdienender Japaner oder Koreaner gebaut, sondern viel stärker automatisiert, von schlecht verdienenden Chinesen und einer *deutlich* geringeren Zahl an halbwegs gut verdienenden Koreanern.
Das heißt aber wie gesagt nicht, dass Deutschland deshalb "ärmer" wird. Deutschland ist die Ausnahme unter entwickelten Nationen, dass es den Grad der Wertschöpfung, der in der Industrie anfällt, in den letzten 25 Jahren halbwegs konstant gehalten hat. Die ganzen Länder, die das nicht getan haben, sind aber auch so gut wie alle deutlich wohlhabender als vor 25 Jahren*.




*und die, die es nicht sind, stagnieren nicht wegen einem Einbruch der Industrie, sondern aus ganz anderen Gründen (man denke bspw. an Italien)
 
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Ganz gleich wie "gut bezahlte Industriejobs" wegfallen, ob durch Abwanderung (nach Gustavo eher unwahrscheinlich) oder schlicht dadurch dass sie obsolet werden, um den "Wohlstand" zu erhalten müssen sie gleichwertig ersetzt werden.

Da wir keine Massenarbeitslosigkeit haben, noch die Kaufkraft der Deutschen in den Keller rauscht weil alle nur noch Tagelöhner sind, hat es wohl bisher ganz solide geklappt mit dem gleichwertig ersetzen.

Dennoch kann man aus den Erfolgen der Vergangenheit keine Zukunftsprognose ableiten. Wichtig ist dass die Rahmenbedingungen für zukünftige Wertschöpfung erhalten bleiben und verbessert werden und da sehe ich ehrlich gesagt etwas Nachholbedarf.
 
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Die anderen Länder haben aber ihre Industriejobs nicht nur mit Inlandskonsumorientierten Dienstleistungen ersetzt, sondern eben auch mit jenen, die Geld am Weltmarkt erzielen. Software, Entertainment, Finanzdienstleistungen, Universitäten, R&D, Lizenzen (bspw Pharma).

Wenn wir da irgendwo geile Wachstumsperspektiven hätten wäre es ja schön. Ist aber IMO nicht wirklich so.
 
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Fand es mal interessant, ein paar ganz konkrete Beispiele zu Überbürokratisierung zu lesen. So gern die FDP bei dem Thema auf die Kacke haut: Nach zwei Jahren an der Regierung demnächst mal einen Referentenentwurf vorlegen zu wollen zeugt nicht eben davon, dass man bis auf Sprechpuppenphrasen wirklich mit handfesten Konzepten in die Regierung gestartet ist. Das ist bei einem vermeintlichen Kernthema dann imo schon etwas peinlich.
Aber klar, Priorität hat natürlich Habeck kleinzumachen, dessen Ministerium gefühlt als einziges was auf die Reihe bringt. :rolleyes:

Davon abgesehen, dass ein paar Beispiele etwas Mimimi sind, zeigt sich auch hier offenbar der Föderalismus von seiner besten Seite.
 
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Die anderen Länder haben aber ihre Industriejobs nicht nur mit Inlandskonsumorientierten Dienstleistungen ersetzt, sondern eben auch mit jenen, die Geld am Weltmarkt erzielen. Software, Entertainment, Finanzdienstleistungen, Universitäten, R&D, Lizenzen (bspw Pharma).

Wenn wir da irgendwo geile Wachstumsperspektiven hätten wäre es ja schön. Ist aber IMO nicht wirklich so.

hach stell Dich doch nicht so an, ist doch kein Problem. dann importieren wir halt einfach diese internationalen Sachen und sind halt Nettoimporteur. in den volkswirtschaftlichen Gesamtstatistiken sind die Unterschiede dann doch nicht so gross und Schulden gleichen sich eh irgendwie aus. bei den Italienern, Spaniern und Griechen klappt das auch super :deliver:
 

Gustavo

Doppelspitze 2019
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Die anderen Länder haben aber ihre Industriejobs nicht nur mit Inlandskonsumorientierten Dienstleistungen ersetzt, sondern eben auch mit jenen, die Geld am Weltmarkt erzielen. Software, Entertainment, Finanzdienstleistungen, Universitäten, R&D, Lizenzen (bspw Pharma).

Wenn wir da irgendwo geile Wachstumsperspektiven hätten wäre es ja schön. Ist aber IMO nicht wirklich so.

Das ist alles irgendwo zwischen "nicht ganz falsch, aber" und ökonomischer Viersäftelehre. Deutschlands Problem ist nun wirklich nicht, dass es zu wenig Waren exportiert (oder gar noch mehr Waren exportieren sollte), sondern dass der Binnenkonsum zu niedrig ist. So zu tun als könnte man durch magisches Denken wie "Standortwettbewerb" Industriejobs erhalten, die in Wahrheit schlicht nach und nach automatisiert werden, ist nicht viel mehr als Arbeitgeberpropaganda auf den Leim gehen. In derselben Zeit seit Mitte der 1990er, die ich oben beschrieben habe, in der Deutschland den Anteil der Wertschöpfung an der Industrie konstant gehalten hat, hat die Zahl der Arbeitsplätze in der Industrie um 15% abgenommen, obwohl die Zahl der Arbeitnehmer in Deutschland insgesamt im selben Zeitraum um 20% zugenommen hat. Ich kenne absolut niemanden, der nicht denkt, dass dieser Trend anhalten wird.



Fand es mal interessant, ein paar ganz konkrete Beispiele zu Überbürokratisierung zu lesen. So gern die FDP bei dem Thema auf die Kacke haut: Nach zwei Jahren an der Regierung demnächst mal einen Referentenentwurf vorlegen zu wollen zeugt nicht eben davon, dass man bis auf Sprechpuppenphrasen wirklich mit handfesten Konzepten in die Regierung gestartet ist. Das ist bei einem vermeintlichen Kernthema dann imo schon etwas peinlich.
Aber klar, Priorität hat natürlich Habeck kleinzumachen, dessen Ministerium gefühlt als einziges was auf die Reihe bringt. :rolleyes:

Davon abgesehen, dass ein paar Beispiele etwas Mimimi sind, zeigt sich auch hier offenbar der Föderalismus von seiner besten Seite.


Na ja, letztendlich ist die FDP halt wirklich eine Klientelpartei. "Bürokratie" klingt abstrakt blöd, aber von den meisten Regeln profitiert halt irgendwer. Freier Markt bitte immer für die anderen.
 
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Ich glaube nicht, dass die Bewältigung der Pandemie ohne Föderalismus besser gelaufen wäre.

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ich kann jetzt nur aus dem blaulichtbereich berichten. leitstellen sind hier in bw weiterhin kreissache, d.h. jeder landkreis entscheidet hier munter alleine welche software eingesetzt wird und entwickelt die fröhlich eigenständig vor sich hin, bin bei zwei ffw in zwei unterschiedlichen landkreisen und das kommt mir stellenweise so vor, als ich in zwei unterschiedlichen ländern wäre, der eine voll digitalisiert bis runter ins 2m band, der andere selbst 4m noch analog (soll 2024 endlich final digital werden) und schickt zur alarmierung nur den code der aoo und die straße als zweizeiler: da kannst du dir dann zusammenreimen was dich da wohl erwartet, im anderen kreis wird dir das aufs fahrzeug-tableau des gruppenführers gebeamt mit routen und gps-übersicht wo die mitalarmierten fahrzeuge z.b. vom rettungsdienst gerade sind. feuerwehr das gleiche spiel, ansich sind die fahrzeuge in normen festgehalten, das stellt allerdings nur den mindeststandard dar, d.h. jede kleine dorffeuerwehr konfiguriert sich das ding zu einem unikat zusammen: preise mittlerweile für ein kleines lf10 > 600.000 EUR.

verstehe hier wirklich nicht, warum es hier keine deutschlandweiten maßstäbe gibt, pro bundesland 3-5 integrierte leitstellen (das argument der ortskenntnis zieht schon lange nicht mehr) mit standardisierten schnittstellen und leitstellen-infrastruktur. gleiches für einsatzfahrzeuge: verstehe nicht, warum das ausschreibungsgedöns derart aufgeblasen sein muss (fahrgestellt muss gesondert ausgeschrieben werden, aufbau ebenso und natürlich beladung ebenso eine eigenständige ausschreibung). die dinger sind normiert, verdammte axt. bawü soll als sammelauftrag die jahresbeschaffungen meinetwegen in 6 paketen vergeben (100x lf10, 50x lf20, 150x hlf10, 100x hlf20, 500x tsf-w, 750x mtw, 50x dlk-23-12). die sind fix normiert und ausgestattet mit 10-20% freien flächen für eigene verlastungen, dafür massiv günstiger, weil in serie produziert. und nein, ihr braucht in eurer fw hinterdupfingen keine fpn 10-2000 verlastet, euer verrostetes wassernetz von 1972 gibt diesen durchsatz ohnehin nicht her, also stfu.

gleiches für einsatzkleidung: mittlerweile hat jede dorf-feuerwehr ihren eigenen helm, die einen signalgelb, die anderen noch mit den alten (nicht mehr zugelassenen) DIN 14940 wehrmachts-mützen, die einen dreiviertel-schale, die andere halb, die dritten wieder angelehnt an die wehrmachtsmütze allerdings aus kunststoff. dann kleidung ebenso, manche haben nun beige, die anderen grau, die dritten orange mit schwarzer hose und der neuste schrei ist grün. dafug wird das nicht zentral beschafft?

förderalismus öffnet genau so viele türen wie es sie schließt.
 
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