Naja das ist halt der Unterschied zwischen Demokratie und Ochlokratie (zumindest fast). Es geht nicht darum was der einzelne Bürger für eine Präferenz hat und dass jedem nach seiner Nase getanzt wird. Das geht logischerweise bei konträren Interessen innerhalb einer Gesellschaft nicht. Es ist daher auch NICHT Aufgabe einer demokratischen Regierung ständig darauf zu schielen was denn nun die Umfragen sagen oder was Partikularinteressengruppe XYZ jetzt möchte, sondern nach bestmöglchem Wissen und Gewissen den für das Gemeinwohl besten Weg einzuschlagen. Völlig egal, ob es der Mehrheit gefällt oder nicht. Und in einer pandemischen Notsituation ist mE country first nunmal eindeutig der bessere Weg.
Zu der Prämisse hast du natürlich recht, wir wissen weder das eine noch das andere mit Gewissheit. Wobei: wir wissen, dass dieses "Hurhur EU first, Gemeinsame Lösung blabla" uns das Ergebnis beschert hat, das wir haben. Ob es anders besser gegangen wissen wir nicht, aber wir wissen, dass es so auf jeden Fall extrem scheisse gelaufen ist.
Zum einen ist das massive Hindsight-Bias, weil man im Voraus nicht wusste, wie es laufen würde.
Zum anderen unterstellst du einen Automatismus, dass es ohne EU besser gelaufen wäre. Darauf sehe ich wenig Hinweise. Deutschland hätte unbeschadet der gemeinsamen EU-Bestellung und der fairen Verteilung ein Investitionsprogramm für mehr Impfstoffproduktion starten können, gern auch mit anderen Staaten zusammen. Das steht überhaupt nicht in Konkurrenz zueinander.
Dass Deutschland das nicht gemacht hat bzw. später als möglich, lässt mich nicht vermuten, dass man es ohne EU viel besser hingekriegt hätte.
Außerdem zweifle ich an dem Narrativ, dass Deutschland first zu einem besseren Ergebnis geführt hätte. Das funktioniert gut für die USA, deren Pharmaindustrie größer ist als die der gesamten EU. Für UK funktioniert es bisher, weil sie sich als einzige egoistisch verhalten, alle anderen nicht.
Diese Rechnung muss nicht aufgehen. Würde die EU bspw. sofort den Hahn zudrehen, säße UK erstmal auf dem Trockenen.
Ich behaupte: Eine Strategie, die sich darauf verlässt, dass man den anderen ohne Reziprozität übervorteilen kann, ist keine verlässliche und erfolgversprechende Strategie.
Wenn Deutschland sich gegenüber anderen EU-Staaten maximal egoistisch verhielte, wer sagt dir, dass die uns das nicht mit gleicher Münze heimzahlen würden? Die Motivation ist sogar bedeutend größer, als wenn die EU das mit UK macht. Denn die EU hat verhältnismäßig wenig zu gewinnen, wenn sie sich an UKs Supply bereichert, aber Deutschland ist im Vergleich zu allen anderen EU-Ländern groß, so dass da sehr viel effektiver wäre.
Unser Biontech-Impfstoff kommt bisher aus Belgien, Astra auch, soweit ich weiß - mit Beteiligung weiterer Standorte in Europa.
Es ist eine m spekulative Behauptung, dass Deutschland es bis heute geschafft hätte eine autarke Produktionskette aufzubauen, die uns mehr Impfdosen brächte, als wir sie jetzt haben.
Die beteiligten Konzerne hätten dabei ja auch noch mitspielen müssen.
Wir wären also höchst wahrscheinlich so oder so auf Kooperation angewiesen.
Das Einzige, was ich bei einer Nicht-EU-Lösung für plausibel halte, wäre, dass - Stand heute - die Länder, die skeptisch gegenüber Biontech waren, jetzt schlechter da stünden und wir dafür etwas besser - das wären bspw. die Osteuropäer.
Lauterbach hat gestern bei Lanz nochmal bestätigt, dass die im Vorfeld große Bedenken gegenüber den mRNA-Impfstoffen hatten und Deutschland zugesagt hatte, eventuell übrig bleibende Dosen auf jeden Fall abzunehmen. Als sich dann rausstelle, dass die mRNA-Impfstoffe am besten wirken, durften sie aber trotzdem wieder zugreifen - was sie dann trotzdem nicht in vollem Umfang getan haben und deswegen kommt jetzt die Beschwerde von Kurz und anderen, die Impfstoffe würden nicht nach Bevölkerungsproporz verteilt.
Ich halte weiterhin für plausibel, dass die EU/Deutschland mit zeitigen Investitionen hätte bewirken können, dass wir früher mehr Produktion in Europa gehabt hätten.
Das Werk in Marburg hat Biontech afaik im September/Oktober zugekauft und ab da hat auch die Bundesregierung unterstützt nach Aussage von Helge Braun. Was hätte dagegen gesprochen sowas im April, Mai, Juni einzuleiten? Das Werk soll ab April immerhin durchschnittlich 250 Mio. Dosen pro Quartal ausspucken. Man stelle sich vor, das wäre ab Januar passiert.
Ebenso sehe ich nicht, warum man kein verstärktes Interesse daran gehabt zu haben scheint eine angemessene Produktionslinie von Moderna in Europa hochzuziehen. Moderna hat afaik vieles from scratch aufgebaut, aber halt nur in den USA in nennenswertem Umfang.
Novavax (deren frühe Studienergebnisse die stärksten nach Biontech und Moderna waren) hat man afaik erst dieses Jahr überhaupt erst vorbestellt.
Warum verzögert es die J&J-Auslieferung, dass man kurzfristig die Produktionskette umstellen muss, um außerhalb der USA abzufüllen? Dass die USA Exporte beschränken, war auch bereits das gesamte letzte Jahr über abzusehen. Hat man sich in der EU dafür nicht interessiert?
Insgesamt fällt auf, wie viele Kooperationen zwischen Pharmaherstellern gerade erst in den letzten Wochen und Monaten aus dem Boden gesprossen sind. Wäre nichts davon früher möglich gewesen bei entsprechender Absicherung durch öffentliche Investitionen?
Für mich sind das insgesamt zu viele Fragezeichen, um zu akzeptieren, dass da einfach nicht mehr drin war.