FAZ-Podcast mit Jens Spahn zur Maskenbeschaffung. Hintergrund der Geschichte: Ganz am Anfang der Pandemie hat das Gesundheitsministerium ein "Open House"-Verfahren angestrengt, was effektiv bedeutet sie geben einen Preis und ein Datum aus und garantieren, dass alle diejenigen, die bis zu dem Datum liefern können, garantiert den Preis gezahlt bekommen, egal was Angebot und Nachfrage sonst hergeben würden. Soweit, so nachvollziehbar. Der Aufreger ist wohl, dass es einen Vermerk aus dem Ministerium gab, dass die Fachebene den Preis gerne auf drei Euro netto pro Maske festgelegt hätte. Letztendlich hat Spahn dann aber den Preis auf 4,50€ Netto angehoben. Am Ende des Verfahrens hatte man dann letztendlich viel zu viele Masken, definitiv zu viele als dass die Logistik, die bis zu dem Zeitpunkt organisiert war, damit klargekommen wäre, aber wie viele genau ist nicht klar: Spahn geht offensichtlich von einer sehr hohen Zahl aus, die gewünscht gewesen wäre, die aber sein Mandat vielleicht nicht hergegeben hätte, Spahns Kritiker gehen von einer geringeren Zahl aus. Klarheit besteht jedenfalls darüber, dass es letztendlich 20x mehr Masken waren, als der Wert, mit dem sie gerechnet hatten. Viele davon konnten nicht gelagert werden und letzten Endes kamen viele dann nicht zum Einsatz und mussten entsorgt werden. Weil das Verfahren so aus dem Ruder gelaufen ist hat das Ministerium wohl irgendwann die Reißleine gezogen und sich geweigert, weitere Kaufverträge abzuschließen, wofür sie mittlerweile von verschiedenen Anbietern verklagt wurden. Wie hoch die Kosten genau sind ist noch nicht klar, minimum wohl ein neunstelliger Millionenbetrag, möglicherweise aber auch ein einstelliger Milliardenbetrag.
Soweit, so gut. Die Sendung hat mindestens drei Mal Spahns "wir werden uns noch viel verzeihen müssen" eingespielt und dann Spahn auch direkt interviewt. Als ich den ersten FAZ-Artikel zu dem Thema vor einer Woche oder so gesehen hatte, fand ich das alles etwas undurchsichtig, weil nicht so richtig klar war unter welche der beiden gängigen Arten von "Geldverschwendung"* dieser Vorgang fiel:
(1) Projekt war von Anfang an eine dumme Idee und ziemlich offensichtlich Geldverschwendung (meist irgendwelche "Prestigeprojekte", wo sehr viel öffentliches Gut für sehr wenig Mensch bereitgestellt wird)
(2) Projekt hätte zu Beginn funktionieren können, hat es dann letztendlich aus unterschiedlichen Gründen nicht
Gerade bei Corona, vor allem ganz am Anfang der Pandemie, waren ja erst mal alle relativ eindeutig in Panik und es wurde für alles Mögliche (und von allen möglichen Ländern) durchaus Fabelpreise bezahlt, dementsprechend ist es jetzt nicht ganz abwegig dass Deutschland da auch mitgemacht hat und wir wissen ja heute auch, dass Masken tatsächlich, gerade am Anfang der Pandemie, als es noch keine Impfung gab, für medizinisches Personal dringend notwendig waren. Es ist im Nachhinein ein bisschen billig, mit dem Wissen von 2024 zu kritisieren, wie die Pandemiepolitik April 2020 gemacht wurde, zumal viele der Sachen, die man heute vielleicht als "Geldverschwendung" ansehen würde, damals eine übergroße Mehrheit der Bevölkerung gehabt hätten. Insofern hätte ich mir vorstellen können, dass Spahn da mit der ex post Betrachtung etwas Unrecht getan wird. Aber seit ich das Interview gehört habe, muss ich sagen, dass ich da jetzt nicht mehr so sicher bin. Ich hätte gedacht, Spahn könnte jetzt irgendwelche Sachgründe vorbringen, warum er den Preis hat ändern lassen, aber alles was von Spahn kam war so abstrakt und vage und zielte so offensichtlich darauf, das Projekt rhetorisch wie Kategorie (2) erscheinen zu lassen, ohne dabei irgendeinen guten Grund dafür vorbringen zu können, dass mir das doch sehr Spanisch vorkommt. Spahn hatte nur zwei Arten von Argumenten:
(a) Die Sondersituation, in der sie sich befanden
(b) Ein logischer Ausschluss "Warum hätte ich ohne Not mehr zahlen sollen?"
Das Problem an der Argumentation ist aber eben, dass der Preis, den seine Fachabteilung festgelegt hatte, ja unter GENAU DENSELBEN Bedingungen festgelegt war wie sein Preis: Drei Euro pro Maske ist ja nicht der normale Handelspreis, sondern der Preis unter den extremen Bedingungen vom April 2020. Wenn man dann gefragt wird "ja, aber warum haben sie gegen die Empfehlung ihres Fachpersonals dann doch 4,50 zahlen lassen" kann man sich ja wohl schlecht mit derselben Notsituation rausreden, unter der auch schon der Preisvorschlag von drei Euro zustande kam. Und das zweite Argument erscheint mir relativ klar beantwortet: Spahn wollte auf jeden Fall nicht zu wenige Masken haben, weshalb er lieber keinerlei Risiko eingegangen ist. Kann man wohl aus seiner Sicht verstehen, denn letztendlich sind Ministerialbeamte nun mal nicht direkt dem Wähler verantwortlich und müssen ihren Kopf nicht dafür hinhalten, wenn es schief läuft und Spahn als gewählter Politiker halt schon. Wenn man dann aber die Rahmenbedingungen zu dem Verfahren sieht (20x so viele Masken zum Stückpreis wie erwartet, Logistikkapazitäten völlig überfordert, auffallend wenig Dokumentation innerhalb des Ministeriums die normalerweise erfolgen sollte), kommt es zumindest mir auf einmal gar nicht mehr so unwahrscheinlich vor, dass wir es hier doch eher mit Geldverschwendung nach Kategorie (1) zu tun haben, deren Kosten die PKW-Maut vermutlich übersteigen wird.
*btw ein beliebter Trick, die beiden zu vermischen indem man die Summen für beide Arten aufsummiert, dann eine riesige Zahl angibt, und als Beispiele kommen dann nur aus Kategorie (1)