Naja, wir hatten die Diskussion oft genug. Dass die deutsche Bevölkerung mit ihrem Hang zur Esoterik und ihren Parallelgesellschaften jetzt nicht die besten Voraussetzungen geliefert hat, okay. Schwerer wiegen für mich die Fehler der politischen Chefetage. Das war über weite Strecken einfach Plankosigkeit, Uneinigkeit und vor allem sehr schlechte Kommunikation.
Na ja, ich bin auch nicht ganz frei von dem Hang, die Dinge durch die Brille zu sehen, die ihm am bekanntesten vorkommt. Für mich ist das dann, wie sehr sich unsere politische Kultur dem annähert, was man in den USA schon seit einer langen Zeit beobachten kann. Umso weiter wir in diese Richtung gehen, umso weiter entfernen wir uns in meinen Augen von Lösungen für jegliche politischen Probleme: Wir haben zwar nicht das krasse politische Cleavage wie die amerikanische Gesellschaft (die Rassenfrage), aber prinzipiell sind unsere Institutionen auf der Achse "Mehrheitsentscheidungen <--> Aushandlung von Konsens" sogar noch weiter in Richtung Konsensdemokratie zu verorten als die in den USA, weil es dort eine klarere Trennung zwischen Bundesstaaten und der nationalen Ebene gibt, während das bei uns alles ineinander verschachtelt ist.
Ich vermute unser politisches System würde, wenn es mit einer auch nur annähernd so krassen Polarisierung konfrontiert wäre wie die USA, vollständig gelähmt und dann kriegst du irgendwann den typischen Feedback-Loop "Staat kann nichts für mich tun --> ist eh egal, wen ich wähle, also wähle ich halt einfach denjenigen der mir den blauesten Himmel verspricht". Da sind wir glücklicherweise noch nicht, aber im Gegensatz zu den USA ist unser System auch einfach weniger flexibel, weil bei uns ein ganz entscheidender Teil der politischen Elite denkt, es gibt eine "normativ richtige" Art von Demokratie für die BRD und die sieht so aus, wie es das Grundgesetz vorschreibt, ganz egal ob dieses System in der Wirklichkeit noch funktioniert. Meine These ist, dass es lange ziemlich egal war, ob demokratische Prozesse wirklich so funktioniert haben wie man sich das in der Zeit vor empirischer Forschung so vorgestellt hat, weil die tatsächlichen Funktionsweise isomorphe Ergebnisse produziert haben. Ich habe allerdings meine Zweifel das das auf absehbare Zeit noch funktionieren wird und so wie ich Deutschland aktuell sehe gibt es einen Haufen Leute, die sich auf den Standpunkt stellen, wenn die Wirklichkeit nicht den Regeln entsprechend funktioniert, muss sich halt die Wirklichkeit an die Regeln anpassen.
Im Nachhinein muss ich btw sagen: Im Vergleich dazu, was wir bei der Ampel regelmäßig sehen, war sowohl Kommunikation als auch Einigkeit in der GroKo bei dem Thema doch relativ stabil. Klar, Planlosigkeit war offensichtlich, allerdings halt auch bei einem Thema bei dem am Anfang relativ wenig gesichertes Wissen vorhanden war.