Was man natürlich nicht ist, denn wie jeder weiß ist Gewaltenteilung und Verfassungsrecht für einen funktionierenden Staat egal. Wobei...das stimmt sogar, wenn man eben in China oder Nordkorea leben möchte, insofern hast du absolut recht
Ansonste: man ist als Verfassungsrichter unfassbar wichtig für einen funktionierenden Staat, jedenfalls wenn es ein demokratische Rechtsstaat sein soll. Papier ist aber im Übrigen, wie oben ja auch steht, kein Vefassungsrichter mehr. Insofern verstehe ich nicht, warum dich seine Äußerung überhaupt interessiert. Ist halt seine private fachliche Meinung ohne Funktion.
Nichts für ungut, aber ich sehe jetzt keinen großen Sinn darin, mit dir über etwas zu diskutieren, von dem du ziemlich offensichtlich Null Ahnung hast. Diese Behauptungen, die du da aufstellst, sind, wie ich es von Juristen leider gewohnt bin, eben gerade nicht durch irgendeine empirische, vergleichende Analyse unterschiedlicher Staaten zustande gekommen, sondern eben axiomatisch. Daneben sind sie halt auch noch für sozialwissenschaftliche Verhältnisse erstaunlich unbedarft, weil die alte "Korrelation ist nicht gleich Kausalität"-Regel mehr oder weniger ignoriert wird. Um auf den Gedanken zu kommen, dass eine funktionierende Verfassungsgerichtsbarkeit nicht den demokratischen Rechtsstaat garantiert, sondern der demokratische Rechtsstaat die Verfassungsgerichtsbarkeit, müsste man halt auf mehr als nur ein Land schauen.
Da würde nebenbei auch klar, dass sich die Eingriffstiefe und Stellung in der Gewaltenteilung auch innerhalb von Staaten, die die Politikwissenschaft alle als klassische Demokratien sieht, stark unterscheidet: Die "Verfassungsgerichtsbarkeit" (wenn man es überhaupt so nennen will) in Großbritannien ist quasi nicht existent, die Verfassungsgerichtsbarkeit in Frankreich und Japan sind schwach, obwohl das alles klassische Demokratien sind; das Verfassungsgericht in Indien ist stark, obwohl die Demokratie dort eher so mäßig funktioniert*, ähnlich den USA mittlerweile. Von den Fällen wie Polen oder Ungarn gar nicht zu reden. Aber gut, dass du mir "erklärst", Papier ist kein Verfassungsrichter mehr. Cool starry bra.
*im Vergleich zu westlichen Ländern oder Japan, im Vergleich dazu wie andere Länder die Indien ähnlich sind "Demokratie" verstehen ist die indische Demokratie natürlich eine beeindruckende Erfolgsgeschichte
Richtig, da wäre doch die Frage erlaubt, wer dir oder irgendwem anderes das Recht gibt über die Entscheidung der Bürger hinwegzuentscheiden. Du bist doch immer groß im Fordern normativer Einigungen auf deren Grundlage man gesellschaftspolitische Entscheidungen treffen soll. Du bist ständig der Meinung, dass man eh auf alles scheissen kann, solange man nur genug "Konsens" hat. Aber wenn der Konsens dir nicht passt, ist es auch wieder doof. Du könntest ja auch einfach feststellen, dass die Menschen in Gro zwar angeben, dass Corona ganz furchtbar ist und die Maßnahmen super sinnvoll. In der Praxis halten sie sich aber nur insoweit daran, wie es ihnen so einfällt. Das ist ein bisschen wie mit dem Datenschutz. Finden Deutsche auch suuuuuuper wichtig, aber eben nur mit Worten, nicht mit Taten. Da hast du doch deinen normativen Konsens, dann lass doch laufen und es stirbt halt wer stirbt, warum die Panik?
Du scheinst nicht so richtig zu verstehen, was mein Ziel ist: Normative Einigungen sind mir gleichgültig, ich bin im Herzen durch und durch Technokrat. Aber selbst wenn das nicht so wäre war mein Punkt dass es halt überhaupt nicht möglich ist, anhand von Einzelhandlungen revealed preferences für eine Gesellschaft rauszulesen. Tatsächlich dürfte es viel eher so sein, dass wir es hier mit DEM klassischen Problem zu tun haben, wofür wir überhaupt irgendwelche politischen Institutionen haben, dem free rider Problem: Die Präferenz der meisten ist, dass man selbst machen kann was man will (da der Beitrag jedes Einzelnen zur Pandemie natürlich verschwindend gering ist), während sich alle anderen möglichst penibel an die Regeln halten, damit man nicht unter den negativen Konsequenzen einer außer Kontrolle geratenen Pandemie leidet. Da das aber nicht als allgemeinverbindliche Regel taugt, bleiben eben nur zwei Optionen: "Jeder ist eben so vorsichtig, wie er/sie es für richtig hält; wir leben dann mit den daraus resultierenden Infektionszahlen unabhängig davon wie hoch sie sind" oder "alle müssen sich an die Regeln halten, die wir danach bestimmen, was für ein Infektionsgeschehen wir unter Berücksichtigung der durch die Regeln verursachten Kollateralschäden für vertretbar halten". Daraus, dass man am liebsten selbst die Regeln nicht so genau nehmen würde kannst du noch lange keinen irgendwie gearteten "Konsens" rauslesen, dass man sich eher für Option 1 entscheiden würde.
Effektiv sieht man ja eher das Gegenteil: Bürger haben wenige feste Präferenzen†, die dazu noch eher von der Politik übernommen werden als andersherum, insofern sollte man sowieso nicht viel auf sie geben, aber das wenige was man zu Covid bisher sehen konnte sagt doch ziemlich klar, wie oben bereits erwähnt, dass anscheinend in keiner Demokratie der Welt (vielleicht mit Abstrichen die USA und Brasilien) die Bürger wirklich dazu bereit waren, die Pandemie einfach laufen zu lassen, sobald die negativen Konsequenzen erst mal tatsächlich eintreffen. Der Trick an der (funktionierenden) Technokratie ist halt, das zu machen, was die Bürger wirklich wollen würden wenn sie alle Informationen hätten und diese vorausschauend beurteilen würden; wenn man Glück hat ist das identisch mit dem, was sie sagen das sie wollen, aber das ist keineswegs immer der Fall und insbesondere wenn du Menschen Optionen vorsetzt, bei denen sie keinen tradeoff zwischen zwei Gütern machen müssen, kriegst du häufig völlig widersinnige Wünsche raus☨. Dafür ist dann halt die Demokratie wieder nützlich: Wenn du als Technokrat dauerhaft daneben liegst was die Präferenzen der Bevölkerung angeht kann man dich auch wieder abwählen und jemand anders kann es versuchen, das ist der Charme daran die beiden Elemente zu verbinden.
Im schlimmsten Fall (und ich will damit keineswegs sagen, dass das immer so ist, aber so wie sich bspw. eine Kubicki das in diesem Fall vorstellt, noch bevor das BVerfG sich irgendwie zu der Lockdown-Problematik geäußert hat, kommt es dem hier schon sehr nah) sind Verfassungsgerichte das Gegenteil davon: Dort urteilen Richter, die nicht die nötige Expertise haben und abwählen kann man sie auch nicht, weil sie, zumindest wenn sie die Grundrechte auslegen, die in ihrem Wesensgehalt ja nicht geändert werden dürfen, angeblich ziemlich zwingende und nicht korrigierbare Entscheidungen treffen. Aber dir geht anscheinend wirklich nicht in den Kopf, dass man die Antworten auf hochkomplexe Fragen wie die der Pandemie halt nicht anhand von extrem allgemein gehaltenen Klauseln treffen sollte, die vor 70 Jahren ein kleiner Kreis von Leuten für eine gute Verfassung hielten, als unsere Gesellschaft noch eine völlig andere war, dementsprechend können wir es von mir aus auch dabei belassen.
†ich bin immer wieder erstaunt, wie wenig sich Leute bspw. damit auseinandersetzen, dass man in Umfragen komplett unterschiedliche Ergebnisse auf exakt dieselbe Frage bekommt, je nachdem wie man die Frage oder die Antwortmöglichkeiten formuliert; dazu kommt btw noch, dass du, wenn du innerhalb einer bestimmten Zeit dieselben Leute nochmal fragst, eine ENORME Fluktuation herrscht, die sich nie im Leben durch veränderte Umstände erklären ließe
☨Das paradigmatische Beispiel ist hier Staatsquote im Verhältnis zu staatliche Ausgaben: Wenn man sie jeweils nach der Ausgaben- _oder_ Einnahmenseite fragt, denken sie alle dass der Staat ihnen mehr von ihrem Lohn lassen sollte, wollen aber auch nicht auf staatliche Leistungen verzichten, weil sie glauben sich diese zu verdienen und/oder über ihre Steuern zu erkaufen. Aber natürlich geht mit langem Zeithorizont nicht beides: Es können nicht alle weniger Steuern zahlen und trotzdem alle Leistungen bekommen, die sie wollen.
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Aus der FAS:
Der Lockdown ist also auch eine Frage des Menschenbilds. Je weniger die Politiker den Bürgern vertrauen, umso pauschaler muss er sein. Die meisten Politiker glauben, dass die Leute klare Anweisungen brauchen, weil sie sonst Fehler machen.
Wieso gibt es immer noch Leute, die sowas schreiben? Wir hatten doch jetzt neun Monate ein extrem großen natural experiment, das exakt das belegt hat. Mir kann niemand erzählen, dass nicht mitterweile so ziemlich JEDER in Deutschland weiß, was man tun kann um Ansteckungen zu vermeiden und wie man sich leichter ansteckt. Trotz dieses Wissens hatten wir in den letzten drei Monaten stark steigende Zahlen. Mir kann niemand erzählen, dass das eine unvermeidbare Folge dessen war, was die Politik NICHT beschlossen hat (Homeoffice-Pflicht etc.), es ist einfach eine Folge der Tatsache, dass sich die Leute ohne Anweisungen eben nicht so verhalten, wie es nötig wäre. Man kann der Politik natürlich anlasten (und das tue ich ja auch), nicht früher diese Anweisungen gemacht zu haben, aber man sollte auch nicht so tun als wäre das Grundproblem die Politik und nicht die Tatsache, dass die Bürger sich von sich aus nicht so verhalten, wie sie es sollten.
Noch ein wichtiger Punkt im selben Artikel
Viel Komplexität wird den Bürgern nicht zugetraut. „Die Psychologen sagen uns, dass die Regeln jetzt schon zu differenziert sind“, sagt der Modellierer Nagel. „In Museen mit Maskenpflicht finden laut unseren Modellen kaum Ansteckungen statt. Wenn man aber die eine Freizeiteinrichtung öffnet und gleichzeitig eine andere schließt, dann ist das kommunikativ eine Herausforderung.“ Der Lockdown ist so pauschal, weil gezielte Maßnahmen politische Unruhe schaffen. Dann gibt es Debatten, Nachfragen, Streit, Verstöße.
Das ist ein Punkt, der absolut konsequent von allen Lockdown-Gegnern ignoriert wird. Da wird immer völlige Rationalität vorausgesetzt und dann ist der Schwarze Peter bei der Politik, weil sie unzureichende Regeln beschlossen hat, aber wenn die Rationalität tatsächlich so da wäre, dann bräuchte es ja auch die Regeln nicht.
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Aus dem Spiegel:
https://www.spiegel.de/wirtschaft/s...ollten-a-29347315-e555-471d-80f4-f9f225f9c160
Schlägt in die exakt gleiche Kerbe, die Benrath hier vor neun Monaten schon erwähnt hat. Sehr guter Artikel imho.
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Edit:
https://blogs.lse.ac.uk/europpblog/...off-between-economic-damage-and-loss-of-life/
Using the data available, the question of whether supressing the virus is a better strategy than trading off sacrificing lives versus sacrificing the economy remains unanswered. Moreover, it is by no means clear that the trade-off between greater emphasis on sacrificing lives or sacrificing the economy is as real as has been suggested. If such a trade-off does exist, it is, at best, a weak one.
Es ist ermüdend, immer und immer wieder dieses Argument zu hören, obwohl es keinerlei Belege dafür gibt.