Hier ist eine Chronik, die vergleicht, was EU/Deutschland und USA in puncto Impfstoffe so gemacht haben. Liest sich ganz interessant.
https://www.sueddeutsche.de/wirtschaft/impfstoffentwicklung-usa-eu-1.5166546
Ich vermute, dass die "~2 Mrd." sich hierauf beziehen:
Im Rahmen des ESI stellt die EU nun 2,7 Milliarden Euro bereit. Finanziert werden sollen Therapeutika, Diagnostika, Impfstoffe, aber auch medizinisches Personal, Einrichtungen und Transportkosten. Die EU-Verordnung 2020/521 des Rates sieht eine Aktivierung vom 1. Februar 2020 bis Ende 2022 vor.
Dass das nicht reicht, wird der Kommission bewusst gewesen sein. Darum hat man ja am Anfang erstmal nur reserviert und lange und offenbar besonders preisbewusst verhandelt. Dabei hat es wohl mehrfach Rücksprache mit den Mitgliedsstaaten gegeben.
Die rote Linie, die sich in meinen Augen durch die Beschaffung zieht, ist, dass man zuerst bei großen, namhaften Herstellern mit einer bewährten Technik (Vektor) bestellt hat: AstraZeneca, J&J, GSK/Sanofi. Vielleicht fand man die neue RNA-Technik zu riskant und teuer. Von den drei Kandidaten wirkt Curevac politisch am genehmsten. Deutschland war schon eingesteigen. Bei Biontech hat man Pfizer im Hintergrund, die angeblich die Verhandlungen durch wiederholten Reingrätschen verkompliziert haben - wohl weil sie wegen der Haftung lieber eine Notzulassung gehabt hätten. Moderna ist ein recht junges Unternehmen und eng mit Operation Warp Speed verknüpft.
Es scheint auch eine offensichtliche Bias zugunsten europäischer gegenüber amerikanischen Herstellern gegeben zu haben. Bei Novavax hat man afaik bis heute nicht bestellt, obwohl deren Impfstoff bisher auch gut aussieht und noch in diesem Quartal kommen könnte.
Umgekehrt scheinen die Amerikaner sich sehr ähnlich verhalten zu haben. Ich kann auf dieser Grundlage nachvollziehen, dass die EU meint, man hätte einfach Pech gehabt: Dass gleich beide großen europäischen Hersteller Rückschläge erleiden, wobei GSK/Sanofi quasi aus dem Rennen sind, war so natürlich nicht abzusehen.
Insgesamt fällt auf, dass die USA einfach insgesamt schneller und drastischer agiert haben: Im Frühjahr/Sommer fing man an hier und da mal ne Milliarde zu geben, um Prodution hochzuziehen. Das fehlt laut dieser Quelle in Europa fast vollständig. Durch Sparsamkeit ist das nicht rational erklärbar angesichts der gesamten Pandemiekosten. Aber es scheint irgendwie den Gesetzen der Politik zu entsprechen: Meines Wissens hat kein Industriestaat die Strategie verfolgt im Sommer einfach bei jedem Hersteller, der in 2020 Phase III startet, gleich mal genug für die gesamte Bevölkerung zu kaufen.
Warum man im November, als Biontech und Moderna kurz vor der Zulassungsreife standen, dann trotzdem da nicht noch ordentlich zugegriffen hat, obwohl die deutlich mehr angeboten haben, bleibt ein Rätsel. Klar, vielleicht waren die logistischen Ansprüche für einige Mitgliedsstaaten zu hoch, aber man hätte sich ja locker darauf einigen können, dass die dann weniger zahlen und dafür später mehr von anderen Impfstoffen kriegen etc.
Es fehlt leider ein Einblick in die zeitliche Komponente der Verträge: Biontech und Moderna sagen, sie hätten da noch mehrere hundert Mio. Dosen angeboten, aber entscheidend ist ja: Zu wann hat man die Lieferung zugesagt? Wenn das erst zweite Hälfte 2021 war, dann wäre schon wieder verständlich, dass man dachte, da wären dann schon genug andere Hersteller am Start, bei denen man eh bereits bestellt hat.
Es bleibt ein fader Beigeschmack, insbesondere aufgrund der unsäglichen Intransparenz. Aber ob es nun tatsächlich einen so großen Unterschied macht, wird man wohl frühestens in ein paar Monaten wissen.
Zur Situation in Deutschland:
Je mehr ich darüber nachdenke, desto weniger klar ist mir, was die Politik glaubt verlieren zu können, wenn sie einfach mal für ein paar Wochen in die Vollen geht. Bspw. beim Stichwort Betriebe und Home-Office. Es wirkt, als fürchte man sich vor dem Unmut der Unternehmen mehr als vor dem der Bevölkerung. Der wird mit den verschärften Kontaktbeschränkungen nochmal mehr aufgebürdet.
Das Problem sehe ich vor allem in der Effektivität: Betriebsschließungen bzw. HO-Pflicht ist erprobt und die Wirksamkeit empirisch belegt. Bei den Kontaktbeschränkungen ist völlig unklar, was sie bringen, da man die Einhaltung quasi nicht kontrollieren kann. Im Zweifel halten sich einige daran und sind die Dummen, während andere einfach weitermachen und am Ende bringt es nur wenig.
Ich kann den aktuellen Drosten-Podcast empfehlen. Er geht ausführlich auf die UK/SA-Mutationen ein.
Zusammengefasst ist es mittlerweile überwiegend wahrscheinlich, dass die Variante tatsächlich deutlich ansteckender ist, um die 50% scheinen derzeit die plausibelsten Schätzungen zu sein. Sie ist inzwischen mehrfach in Deutschland und unseren Nachbarländern nachgewiesen.
Wiederum habe ich das Gefühl, dass die Entscheider das noch nicht ganz verstanden haben: Wenn unsere Inzidenz nicht schnell sinkt und diese Variante in den nächsten Wochen und Monaten hier auch dominiert, dann könnte das bedeuten, dass wir selbst in einem Lockdown wie jetzt noch exponentielles Wachstum hätten.
Man scheint sich aktuell sehr darauf zu verlassen, dass der Frühling es schon ab März/April irgendwie richten wird. Das halte ich für riskant. Letztes Jahr sind wir mit absoluter Niedriginzidenz, geschlossenen Schulen und Kitas in den Sommer gestartet und hatten trotzdem ab Juli/August wieder exponentielles Wachstum.
Ein Artikel dazu:
https://m.tagesspiegel.de/wissen/be...schaft/impfstoffentwicklung-usa-eu-1.5166546m
Abschließend noch zwei Anekdoten:
In den Berliner Kitas herrscht offiziell Notversorgung. Es ist aber so geregelt, dass die Kitas mit den Eltern aushandeln müssen, wer diese in Anspruch nimmt. Es darf prinzipiell jeder, der einen dringenden Bedarf glaubhaft macht (aka behauptet), weil man diesmal explizit keine Beschränkung auf "systemrelevante Berufe" o.ä. wollte.
Unsere Kita ist (imo richtigerweise) sehr streng und hat klar gemacht, dass eigentlich niemand kommen soll. Bei Freunden von uns hat die Kita die Eltern durchtelefoniert und gefragt, ob sie die Kita denn dringend benötigen. Ergebnis: Minus 1 bis 2 Kinder pro Gruppe sind aktuell einfach alle da. Selbst unsere Freundin hätte ihre Tocher bringen dürfen, obwohl sie grad arbeitslos zu Hause ist.
Nebenbei an der Charité:
Die Oma einer Schulfreundin wohnt im Pflegeheim und ist vor einigen Tagen - kurz vor ihrem Impftermin - an Covid erkrankt. Als sie wegen einer anderen Sache ins Krankenhaus sollte, hat man sie dort wegen Covid nicht angenommen. Der Tochter (Mutter der Freundin) hat der Arzt durch die Blume gesagt, dass die Dame wahrscheinlich sterben werde und man sie auch bei einer Verschlechterung nicht aufnehmen könne.
Seitdem ist sie wieder im Heim und die Familie erhält keine genauen Infos über ihren Zustand. Erst wenn sie im Sterben liegt, dürfe man nochmal besuchen.
[edit]
Und grad noch aus dem Tagesspiegel-Checkpoint mitgekriegt: Ab Montag gibt es in Berlin wieder Präsenzunterricht (Wechselmodell: halbe Klassengröße, 3 Stunden am Tag) für gymnasiale Oberstufen und Klassen 9 bis 13 an Sekundarschulen. Begründung: abschlussrelevant.
In den folgenden zwei Wochen sollen stufenweise die Grundschulen folgen.