Also weil es demjenigen egal ist, der die Entscheidung auch so gut findet, ist es egal, ob sie verfassungswidrig ist? HÄ? Und wer sie nicht gut findet, der hat Pech gehabt? Wofür überhaupt zB ein Verfassungsgericht? Manche finden ein Gesetz halt toll, warum sollte man das dann überprüfen. Richter sind auch keine Architekten. Oder Pathologen. Trotzdem entscheiden die komischerweise über Morde und Baupfusch. Wie machen die das bloß? Was könnte ihr Geheimnis sein?
Der Post ist mir damals entgangen und ich wollte im Zuge der Ereignisse nochmal darauf zurückkommen: Wie machen sie das wohl? Die Gesellschaft hat entschieden, dass Mord bestraft werden muss, deshalb hat die Politik das in Gesetze gegossen, genau wie wir im Grunde genommen eine ziemlich breitflächige Übereinkunft haben, dass der Bauträger nicht irgendeinen Scheiß in die Landschaft stellen kann. Wenn die Gerichte das nicht selbst beurteilen können, dann ziehen sie Gutachter hinzu, die das fachgerecht beurteilen können.
Hier liegt die Situation aber vollständig anders: Wir haben überhaupt keine Übereinkunft darüber, wie sehr wir prospektiv Grundrechte einschränken wollen, insbesondere wenn wir dafür später noch größere Einschränkungen verhindern können. Dazu ist das noch ein tradeoff, der mit großer Unsicherheit behaftet ist, weil wir (was völlig normal und erwartbar ist) auf die schnelle keinen Konsens der Virologen, Epidemiologen, Ökonomen etc. vorweisen können, wie weit man runterfahren sollte, um Schlimmeres zu verhindern. Letztendlich also ein tradeoff, der ein hohes Maß sowohl an Unsicherheit als auch Werturteil beinhaltet. Willst du mir allen Ernstes erzählen, das beste Szenario ist dass das irgendein Verwaltungsrichter entscheidet, der weder über die fachliche Expertise noch über die demokratische Legitimation verfügt? Du tust so als würde die Politik die Rettung von Leben gegenüber der wirtschaftlichen Entwicklung absolutieren, dabei ist völlig unklar, ob das Äquilibrium zwischen dem R das man zulässt und dem gesamtwirtschaftlichen Wachstum nicht eben doch bei R unter 1 liegt.
Diese Abwägung ist doch völlig offensichtlich keine, die Gerichte treffen können. Mein Punkt war, dass sie das eben auch nicht tun, solange die Situation tatsächlich bedrohlich wirkt. Da Gerichte aber ihre Legitimation daraus ableiten, Gesetze lediglich auszulegen, nicht ihre eigenen moralischen Maßstäbe anzulegen, läuft diese Art des Urteils ins Leere, weil Gerichte eben weder die Expertise haben, um genaue Voraussagen zu treffen, noch die Legitimation, irgendwelche allgemeinverbindlichen Regeln bzgl. dem Umgang mit dem Virus zu setzen, die sowohl bei Infektionszahlen um die 200 pro Tag (wie Anfang Juli) genauso gelten wie bei Infektionszahlen um die 20000 (wie gestern), da das nun mal unweigerlich einen tradeoff zwischen Gütern betrifft, den man sowohl moralisch als auch mit fachlicher Expertise treffen muss. Das kann die Bundesregierung unter Zeitdruck und vielleicht noch das Parlament, aber bei einem Verwaltungsrichter in Saarbrücken stehen halt nicht direkt Drosten und co. auf der Matte, wenn es darum geht sich zu fragen, was noch verhältnismäßig ist und was nicht.
Der Punkt war allerdings auch ein anderer: Die Leute, die inhaltlich klagten, verstecken sich jetzt hinter prozessualen Argumenten. Das war als ich den Post geschrieben habe schon kaum noch haltbar und heute ist es absolut unhaltbar, konsequenterweise wurde damit auch aufgehört. Konsequenterweise höre ich davon jetzt auch nichts mehr, sondern es wurde dazu übergegangen, sich darüber zu beklagen, dass die Bundesregierung sich nicht gut genug auf die zweite Welle vorbereitet hat, von der dieselben Leute vor einem Monat noch meinten, selbst wenn sie komme könne man keine großen Einschränkungen mehr dulden. Aber siehe da: Wenn die Gesellschaft denkt, dass man sollte, dann kommen sie halt doch. Das ist, was ich bemängelt habe: Wenn man politisch nicht gewinnen kann, dann versteckt man sich hinter fadenscheinigen Argumenten wie dem politischen Prozess oder einer vermeintlichen Verfassungswidrigkeit.