Mit dem ersten Absatz hast du prinzipiell Recht: Die Zahl der bestätigten Fälle ist ein Blick in die Vergangenheit. Die Inkubationszeit beträgt zwar nicht 14 Tage, sondern im Durchschnitt 5 Tage. Aber da es in der Regel mit leichten Symptomen losgeht, vergehen ja nochmal ein paar Tage, bis man wo anruft, bis eine Probe genommen, ins Labor geschickt und bis der bestätigte Fall dem zuständigen Amt und von dort dem RKI gemeldet wird, das die offizielle Statistik herausgibt. Man kann also durchaus davon ausgehen, dass die heute bekannten Fälle die tatsächlichen Fälle von vor 10 bis 12 Tagen sind, zuzüglich Dunkelziffer.
Jetzt gehen wir mal 11 Tage zurück zum 3. März. Da gab es 188 bestätigte Fälle. Heute (Stand 15 Uhr) gab es 3800. In 11 Tagen hat sich die zahl als um den Faktor 20 erhöht. Wenn wir der Einfachheit halber annehmen, dass die Verbreitungsrate konstant ist, dann hätten wir gegenwärtig mehr so 76.000 Fälle.
Die nächste Frage ist: Wie viele Fälle kann unser System verkraften? Angenommen, wir haben ca. 28.000 Intensivbetten und 25.000 Beatmungsgeräte, wovon etwa 5000 frei sind (Zahlen irgendwo aufgeschnappt).
Angenommen, man kann noch 5000 mehr räumen und für Covid-19 freihalten - keine Ahnung, wie realistisch das ist. Dann hätten wir 10.000 Plätze zur Verfügung.
Die Frage ist nun, wie viele der Infizierten beatmet werden müssen und wie lange. Über Italien hab ich mal was von 10% und 7 Tagen gehört. Bei den 10% muss man sich klarmachen, dass Italien die Anzahl der Infizierten in Anbetracht ihrer Sterberate wohl um einen Faktor von mindestens 10 unterschätzt.
Wenn wir also von 1% Infizierten ausgehen, die im Durchschnitt für 7 Tage beatmet werden müssen, dann können wir etwa 1400 neue Intensivfälle pro Tag aushalten oder 140.000 Fälle insgesamt.
Jetzt stellt sich noch die Frage, wie man die Zahl der geschätzten Infektionen zu der der erwarteten Neuinfektionen ins Verhältnis setzt. Hier wirds etwas tricky. Wenn wir davon ausgehen, dass ein Kranker 10 Tage lang ansteckend ist und er im Durchschnitt 3 andere Leute ansteckt, dann benötigt er im Durchschnitt gut 3 Tage, um einen anzustecken. Unsere geschätzten 76.000 Fälle würden also innerhalb eines Tages etwa 25.000 Neuinfektionen erzeugen.
Das liegt noch scheinbar deutlich unter den 140.000, die wir aushalten können, aber man sieht, dass es nicht mehr weit weg ist, wenn wir von weiterem Wachstum dieser Größenordnung ausgehen.
Dazu muss man aber sagen, dass diese Annahme vom ungebremsten exponentiellen Wachstum für längere Zeiträume nicht haltbar ist, weil sich kein natürlicher Prozess tatsächlich über einen längeren Zeitraum so vollzieht. Leider wissen wir nicht, welche dämpfenden Faktoren sich wie schnell und wie stark auswirken und das Wachstum von allein bremsen. Darum ergibt es Sinn, dass wir diese Dämpfung durch effektive Maßnahmen erzwingen.
Leider haben wir bis vor Kurzem tatsächlich kaum effektive Maßnahmen ergriffen haben, um die Verbreitung der Krankheit einzudämmen. Wie effektiv die Maßnahmen sind, die wir jetzt ergreifen, wissen wir wiederum erst in frühestens zwei Wochen.
Nebenbei eskaliert Berlin weiter:
Der Senat dreht den Regler des öffentlichen Lebens noch weiter und noch schneller herunter: Am Samstagnachmittag wurde eine Rechtsverordnung öffentlich gemacht, die mit sofortiger Wirkung alle „öffentlichen und nichtöffentlichen Veranstaltungen ab 50 Teilnehmern“ untersagt. [...]
Wie die Senatskanzlei mitteilte, muss bei Veranstaltungen mit weniger als 50 Personen eine Anwesenheitsliste geführt werden, auf der Name, Adresse und Telefonnummer aller Teilnehmenden festgehalten werden. Diese Liste muss mindestens vier Wochen aufbewahrt und auf Verlangen dem Gesundheitsamt ausgehändigt werden.
Damit nicht genug: Die „Verordnung über Maßnahmen zur Eindämmung der Ausbreitung des neuartigen Coronavirus SARS-CoV-2 in Berlin“ (kurz: SARS-CoV-2-EindV) verfügt die ebenfalls sofortige Schließung von Kneipen und Bars, Kinos, Clubs, Theatern, Konzertsälen und Ausstellungen, aber auch von Spielhallen, Wettannahmestellen und „Prostitutionsstätten“.
Einzige Ausnahmen von diesem fast vollständigen Shutdown: „Restaurants und Gaststätten“, also Orte, in denen „vor Ort zubereitete Speisen verabreicht werden“. Auch hier gelten jedoch Einschränkungen: Die Lokale dürfen nur öffnen, wenn die Tische mindestens 1,5 Meter Abstand voneinander haben.
Weiterhin untersagt ist ab sofort der Sportbetrieb auf allen öffentlichen und privaten Sportanlagen, in Schwimmbädern und Fitnessstudios. [...]
Für viele Menschen weitaus schwerer zu verschmerzen als eine geschlossenen Kneipe sind die restriktiven Besuchsregelungen, die mit sofortiger Wirkung für Krankenhäuser und Hospize gelten: PatientInnen dürfen grundsätzlich keinen Besuch mehr empfangen. Ausnahmen gibt es nur für Kinder unter 16 Jahren und Schwerstkranke – sie dürfen einmal am Tag für eine Stunde von einer Person besucht werden, allerdings nicht von Menschen mit Atemwegsinfektionen.
Dieselbe Ausnahmeregelung gilt für Menschen, die in Pflegeheimen leben. Alle diese äußerst weitreichenden Einschränkungen kann der Senat auf Grundlage des Infektionsschutzgesetzes treffen. Sie gelten vorerst bis einschließlich 19. April.
https://taz.de/Shutdown-in-Berlin/!5671724/
Etwas über 200 bestätigte Fälle in Berlin ...