Das scheint so eine rote Linie bei dir zu sein: Die Bevölkerung / die Masse ist "zu dumm", am größeren System Politik kann man wenig bewegen, ergo ist da wenig Schuld zu suchen.
Das würde ich überhaupt nicht als meine rote Linie sehen. Ich sage es mal so: Ich beschäftige mich akademisch mit Methoden der sozialwissenschaftlichen Forschung; ich bin jetzt kein Umfrageforscher in dem Sinn dass das ist womit ich mich inhaltlich beschäftige, aber weil Umfragedaten schon ein großer Teil der Daten sind, mit denen wir im Alltag arbeiten, habe ich schon eine ziemlich gute Vorstellung davon, was der durchschnittliche Bürger versteht und weiß und was eher nicht. Und tatsächlich ist das meistens relativ wenig, aber nicht weil die Bürger alle so dumm sind, sondern weil sie sich einfach nicht sonderlich für Politik interessieren und das auch nicht müssen, einfach weil es insgesamt auch so ganz okay läuft. Wenn die Aufmerksamkeit erst mal auf einem Thema ist, sind die Bürger normalerweise eigentlich gar nicht schlecht darin, zu erkennen was das beste für sie wäre. Nur reicht es halt normalerweise, wenn eine Mehrheit das tut, weil man für politische Entscheidungen keine Einstimmigkeit braucht oder 95% Zustimmung, sondern 60% häufig reichen. Hier aber halt nicht und es rächt sich jetzt, dass es bei uns eben keine 90% sind, die das Richtige tun, sondern nur 75%.
Und von da aus wird argumentiert. Bei allem Unfug, den tzui hier postet, diese Sicht ist simplifiziert, auch wenn du es in Teilen schlüssig argumentierst. Dennoch nervig immer von diesem Ross zu Geschriebenes zu lesen und fühlt sich der Realität der Durchschnittsbürgers auch nicht angemessen. Die uneinheitliche Kommunikation vom System "Politik" und die recht absurden Auswüchse der Gesetze/Verordnungen inklusiver nicht-vorhandener Kontrolle würde ich nicht "nur" _der_ Bevölkerung anlasten, noch kann sich der 0815-Bürger den ganzen Tag im universitären Umfeld in Studien vergraben, wie es hier die Experten machen, noch hätten sie die Fähigkeit diese zu deuten (oder würde sich anmaßen diese zu interpretieren oder aus der mangelnden Fähigkeit würde Dummheit schließbar sein). Dass daraus ein riesiger Frust erwächst sollte selbst evident sein. Abgesehen davon, dass "die" Bevölkerung doch durchaus Impfungen in Anspruch genommen hat.
Ich behaupte ja auch nicht, dass NUR die Bürger Schuld sind. Aber mittlerweile tragen sie den Hauptteil der Schuld, weil sie ALLE Instrumente an der Hand haben. Was du schreibst geht doch letztendlich einfach am Thema vorbei: Niemand muss sich zuhause an den Schreibtisch setzen und medRxiv in Heimarbeit studieren oder irgendwelche komplexen ODEs lösen, um zu klären was genau der eigene Beitrag zum Pandemiegeschehen ist. Die Handlungsoptionen sind für so gut wie jeden einzelnen Bürger, der ein Impfangebot bekommen hat, völlig eindeutig: Die Impfung ist die bessere Option. Für einen selbst, für andere, für die Wirtschaft, für das soziale Leben.
Jeder weiß mittlerweile genau, was gesellschaftlich passieren kann, wenn Covid wieder grassiert, weil jeder die Lockdowns erlebt hat, selbst wenn man keine Tragödien im persönlichen Umfeld hat wie bspw. YNC. Wenn das als Grund nicht reicht, weiß ich auch nicht. Da noch auf die "Kommunikation" der Politik zu verweisen ist doch der pure Hohn: Alle Parteien bis auf die AfD haben sich ganz eindeutig für die Impfung ausgesprochen, immer und immer wieder. Die Medien haben ohne Unterlass rauf und runter erklärt, dass die Impfung nur Vorteile hat und warum die Nachteile lediglich vermeintliche Nachteile sind. Dagegen damit zu kommen, dass die Verordnungen auf Landesebene nicht immer einheitlich waren oder nicht immer alle mit dem gleichen Nachdruck darauf verwiesen haben, dass impfen wichtig ist oder sogar, dass die Politik nicht genug kontrollieren lässt, ob Bürger das tun, WOVON JEDER MITTLERWEILE WISSEN MÜSSTE DASS ES DAS RICHTIGE FÜR EINEN SELBST IST, ist doch absurd.
Jeder hatte alle nötigen Informationen: Die wenigsten aus Primärquellen, was auch völlig unnötig ist*, aber nun wirklich absolut jeder aus vielfältigen, glaubhaften, gut informierten Sekundärquellen. Glaubt hier wirklich jemand, dass es in Frankreich oder Italien oder Spanien so viel einfacher ist, gute Informationen zu bekommen oder das Impfangebot wahrzunehmen? Sehe einfach NULL Anhaltspunkte dafür, dass das der Fall ist. Hier gibt es einfach mehr Leute, die sich gegen die Impfung entschieden haben. Klar könnte die Politik mehr tun um mehr Leute zum Impfen zu bewegen (saistaed hat eine gute Liste geschrieben), aber ich sehe ehrlich gesagt einfach nicht, dass es die Schuld der Politik sein soll, dass es hier einfach zu viele Deppen gibt, die zum Jagen getragen werden müssen, teilweise 25% und mehr in manchen Bundesländern.
*ich käme im Leben nicht auf die Idee, zu behaupten, man müsse sich zu allem über Primärquellen informieren, macht auch niemand den ich kenne so
Ach was ist denn auf einmal aus "man muss auf Sicht fahren" und "ging halt nicht anders" geworden?
Geil, wie du einfach mal unterschlägst oder vermutlich einfach vergessen hast, dass ich gesagt habe, auf Sicht fahren wäre besser als zu glauben, man könne von obersten Prinzipien ableiten was man tun oder lassen sollte ("Schulen werden nie wieder geschlossen"), nicht etwa dass auf Sicht fahren besser wäre als vorausschauendes Handeln. Zugegebenermaßen überrascht mich das natürlich mittlerweile nicht mehr. Aber ...
Zumindest sind dem Pressesprecher noch nicht die Ausreden ausgegangen, jetzt kann die Politik halt einfach nix machen, weil die Bevölkerung zu dumm ist
... letztendlich ist es nur recht und billig, dass wir mit dir auch etwas von der betroffenen Gruppe "Dummdeutsche" hören.