Da die Studie nichtmal single-blind war, halte ich die Aussage "gut gemacht" für etwas übertrieben; die Aussagekraft ist teilweise fraglich, und darauf als Mediziner nicht hinzuweisen finde ich schon ziemlich behindert.
Das mit den Krankenhauseinweisungen ist schön und gut, aber man kann halt nicht einer Gruppe täglich mehrmals Corticosteroide in die Lunge drücken und der anderen nichts, und dann den Leuten für die Hälfte des Ergebnisses Fragebögen zum Ausfüllen schicken. Die untersuchte Gruppe ist auch viel zu klein um das Behandlungsrisiko (short-term use führt gerne mal zu bakteriellen Atemwegsinfektionen, gepaart mit COVID wohl nicht so witzig) ins Verhältnis zu stellen.
tl;dr: Man sollte das natürlich Anwenden und dadurch dann auch mehr Daten sammeln. Bildzeitungsmäßig "Game-Changer" zu brüllen weil bei 73(!) Leuten nichts Schlimmes passiert ist halte ich für etwas voreilig, aber wird er wohl vom Trump gelernt haben.
Was macht die Aussagekraft fraglich? Der Studie konnte sogar früher abgebrochen werden, weil das Ergebnis so überwältigend gut war (Power>99%). Dass daran ein Placeboeffekt etwas substantiell ändert, kann man wohl ausschließen. Die Autoren gehen auch auf die Gründe ein, weshalb man kein Doppelblinddesign gewählt hat - Schnelligkeit, was in Anbetracht der Umstände eine völlig übliche Vorgehensweise zu sein scheint.
Sorry, aber da wirkt deine unsubstantiierte Kritik gegenüber der Expertise einer Oxford-Forschungsgruppe und den Lancet-Reviewern etwas - sagen wir: überflüssig.
Insbesondere entspringt die Studie ja der klinischen Vorerfahrung, dass Asthmatiker, die Glukokortikoide inhalieren, überraschend gut mit Covid zurechtkommen.
Selbst deine Bedenken bezüglich der Risiken entpuppen sich eher als Pseudoexpertise: bakterielle Infektionen (im Gegensatz zu Pilzinfektionen) stehen bei dem verwendeten Inhalat nicht mal im Beipackzettel. Das lässt die Behauptung "führt gerne mal zu" fragwürdig erscheinen.
Laut meinen bisherigen Informationen sind die paCs-Patienten größtenteils Leute mit praktisch symptomlosen Verlauf, die (Informationen) sind allerdings auch schon eine handvoll Monate alt. Die Studie selbst ist ja viel zu neu um irgendwelche Aussagen über paCs machen zu können.
Afaik gibt es eine klare Korrelation zwischen Long Covid und der Anzahl und Schwere der Symptome in der Akutphase. Das dürfte der Grund sein, weshalb positive Effekte auf Long Covid für plausibel gehalten werden.
Na ja, das Problem das ich bei der Frage sehe ist einfach, dass ich zumindest für andere politische Fragen weiß wie das normalerweise läuft. Ich will jetzt keineswegs sagen, das wäre alles 1:1 vergleichbar; das ist es sicher nicht. Letztendlich waren wir noch nie in einer ähnlichen Situation, zumindest nicht zu einer Zeit als es in Deutschland Demokratie, Umfragen und ähnliches gab. Aber meine Sorge wäre halt Folgendes gewesen: Die Compliance verhält sich "thermostatisch". Solange es richtig schlecht läuft, ist die Compliance hoch (und ich denke weiterhin, dass sie in Deutschland wohl auch höher ist als in anderen Ländern). Die Frage ist, was passiert, wenn es lange Zeit richtig gut läuft, ohne dass wirklich große Lockerungsschritte stattfinden können, bevor nicht große Teile der Bevölkerung geimpft sind. Nun hatten wir die Impfungen schneller als viele Experten erwartet hatten*, aber das war ja keineswegs ausgemacht.
Es wird immer auf die Zahlen verwiesen, dass die Leute insgesamt für die Maßnahmen waren und das ist tatsächlich auch positiv und hat mich auch positiv überrascht, aber ich glaube einfach nicht dass das gehalten hätte, wären wir irgendwann bei 20 oder 25 angekommen und alles wäre immer noch geschlossen gewesen. Imho hat man es schon Ende Februar Anfang März gesehen, als die Zustimmung Anfing abzuschleifen, weil man das Gefühl hatte die Inzidenzen gingen ja die ganze Zeit runter und werden auch schon irgendwie weiterhin runter gehen. Das mit dem "Ziel" ist ja prinzipiell eine noble Idee, aber ich bin einfach nicht sicher ob die Bevölkerung das "Ziel", das man sinnigerweise hätte formulieren können, mitgemacht hätte.
Ich will das gar nicht so sehr als Publikumsschelte verstanden wissen, das ist halt einfach wie es in anderen Gebieten funktioniert. Beispielsweise ist es in der Politik so, dass man in vielen Ländern einen klassischen Meinungszyklus sieht: Regierungen fangen mit hohen Zustimmungswerten und hoher Nachfrage nach ihrer politischen Richtung an, dafür wurden sie gewählt. Dann fangen sie an Gesetze zu machen und die Wünsche zu erfüllen, die an sie gestellt wurden und die Popularität sinkt langsam aber relativ stetig, während die Nachfrage nach Politik von der anderen politischen Seite steigt. Die Leute bekommen was sie wollten, merken dass das alles gar nicht so genau das ist, was sie sich eigentlich vorgestellt haben und dass viele der Probleme, von denen sie sich versprochen hatten dass sie gelöst werden, eben weiterhin ungelöst sind (einfach weil Politik häufig nicht die Mittel hat irgendwelche politischen Großthemen einfach so abzuräumen) und suchen dann nach neuen Lösungen. Wenn man nicht zufällig in einem Land lebt, wo die demografischen Voraussetzungen für eine Partei so gut sind, dass sie mehr oder weniger erlauben kann, Stimmen zu verlieren ohne eine Mehrheit zu verlieren, dann ist das die häufigste Art, wie politischer Wandel zustande kommt. Meine Befürchtung ist, dass man das in Deutschland mit dem Virus so auch gesehen hätte: Man kann den Menschen politisch keine 20er-Inzidenz verkaufen, wenn wir von 100 auf 50 runter sind, genau wie man ihnen am Anfang der Pandemie nicht die heutigen Inzidenzgrenzen hätte vermitteln können (200er-Inzidenz, bis Schulen auf Distanzunterricht gehen müssen?) Insofern ist mein Problem nicht so sehr, dass ich nicht auch gerne langfristige Pläne hätte (die sollte die Politik imho in jedem Fall im Kopf haben), sondern dass man sie der Bevölkerung halt einfach nicht hätte verkaufen können. Dass das *jetzt* vielleicht ginge stimmt zwar, aber jetzt sind wir halt auch einfach schon in der dritten Welle nach einem sehr langen nur so semi-harten Lockdown, insofern hat jetzt jeder halbwegs vernünftige Bürger Anschauungsmaterial bekommen, dass die bisherigen Maßnahemn einfach nicht genug waren. Aber dass man sowas auch im November hätte beschließen können, als es wirklich nötig war, wenn man es nur als langfristige Strategie herausgegeben hätte? Daran habe ich meine Zweifel. Ich bin da keineswegs sicher btw, aber es fällt mir bisher schwer zu glauben, einfach weil die Maßnahmen bisher eigentlich fast immer endogenous zur Inzidenzentwicklung waren. Dass diese Art von Denken auch in der Pandemie ganz gut anhält, kann man imho bspw. gut an den Umfragewerten von Spahn sehen: Bis vor einem halben Jahr aus dem Stand einer der beliebtesten Politiker Deutschlands, ohne dass irgendwie klar war, was genau er denn jetzt zur Pandemiebewältigung beigetragen hat. Seit es schlechter läuft sinken die Umfragewerte rapide, ohne dass wirklich klar ist, ob er wirklich nennenswert hätte beitragen können, dass die Pandemie einen glimpflicheren Verlauf nimmt.
*wobei ich da auch die leise Vermutung habe, dass die viel im Dunkeln gestochert haben. Wenn ich solche Sachen sage wie "im unwahrscheinlichen Bestfall ist eine Impfung innerhalb eines Jahres (seit Beginn der Pandemie) denkbar" und neun Monate später sind bereits drei Impfstoffe zugelassen, dann muss ich mich schon fragen ob das Anfangs nicht einfach etwas pessimistisch war
Das würde ich in der Tendenz alles so unterschreiben. Aber insgesamt ist es mir bei weitem zu apologetisch. Ich sehe kaum Hinweise darauf, dass die Bevölkerung entscheidend gegen eine optimale Strategie aufbegehrt hätte. Es gibt international imo einen recht eindeutigen Trend, dass die Bevölkerung ziemlich lange hinter der Linie ihrer jeweiligen Regierung steht. Starke Abweichungen davon sehen wir erst, seit die Regierungen einen sehr schlechten Job machen.
Ich will gar nicht in Abrede stellen, dass Querdenker, AfD, FDP, Grundrechtsschützer und nicht unbedeutende Teile der Presse trotzdem ihr Haar in der Suppe finden würden. Aber wen würde das in einem kontrafaktischen Szenario ernsthaft tangieren, wo wir im Oktober/November/Dezember die Infektionslage wesentlich im Griff haben, während um uns herum Länder abschmieren, ohne dass es dort weniger Einschränkungen gibt?
Selbst der softe November-Lockdown hat ja schon gereicht, um die Infektionslage auf hohem Niveau zu stabilisieren. Wenn wir ähnliche Maßnahmen - oder in einem Zwischenschritt noch mildere deutlich früher - 4 bis 8 Wochen früher eingeführt hätten, dann wären wir damit bis zum Auftauchen von B117 ganz gut durch den Winter gekommen.
Eine hervorstechende Eigenschaft unserer Politik in dieser Pandemie ist Trägheit. Das galt über weite Strecken bei Verschärfungen und Lockerungen. Schau dir an, wie lange wir im Frühjahr im Vergleich zu anderen Ländern gebraucht haben, um essentielle Teile der Gesellschaft wieder zu öffnen - Schulen und Kitas bspw. Der Flip, den die Politik bei diesem Thema hingelegt hat, von "Schulen und Kitas 3 Monate zu? Np, sicher ist sicher" zu "Bildung ist Menschenrecht und koste es zehntausende Tote!" ist für mich immernoch atemberaubend.
Der richtige Zeitpunkt, eine Niedriginzidenz-Strategie festzulegen, wäre natürlich der Sommer gewesen, also ein Zeitpunkt, wo wir eine absolute Niedriginzidenz hatten. Man hätte ja schon damals ins Gesetz schreiben können, dass niedrige Inzidenzen die Prämisse der Pandemiekontrolle sind und der Bund die entsprechenden Maßnahmen verantwortet.
Politisch durchsetzbar? Keine Ahnung, aber auf den Versuch hätte man es schon mal ankommen lassen können.
Spätestens im Herbst wäre die Situation reif gewesen das nachzuholen: Die Länder hatten offensichtlich in Ausübung ihrer gesetzlichen Pflicht versagt. Man wusste inzwischen, dass Impfstoffe da sind und es eine Frage von Monaten ist, bis die einen Unterschied machen usw.
Btw, obwohl ich Streeck schon vor langem eher als Windbeutel einsortiert hab, schafft es immer mal wieder einen Vogel abzuschießen:
In der aktuellen Debatte um Ausgangssperren in Deutschland spricht sich der Virologe Hendrik Streeck gegen härtere Maßnahmen aus. Es sei nicht die Lösung, dass die Menschen sich in private Räume zurückziehen, „wo keiner sehen kann, ob die Regeln eingehalten werden“. Stattdessen schlägt er vor...
www.rnd.de
Diesmal im Angebot: Ausgangssperren bringen nicht nur zu wenig, sie befeuern das Infektionsgeschehen sogar, weil sie u.a. den Neuköllner Prolls und ihren Großfamilien die Möglichkeit nehmen sich an der frischen Luft pandemiekonform miteinander zu treffen.
Es soll wohl sympatisch wirken, dass er immerhin klar macht, das sei nur deine persönliche Meinung. Aber als jemand, der in der Öffentlichkeit nach wie vor - auch wenn man es inzwischen besser wissen sollte - als wissenschaftlicher Experte wahrgenommen wird und zu Laschets wissenschaftlichem Expertenrat gehört, kann man imo überdurchschnittliche Standards an die Formung oder ersatzweise wenigstens die öffentliche Äußerungen von exotischen Spezialmeinungen stellen.