Imo versteifst du dich etwas auf die zwei Punkte, ob mehr Engagement seitens EU/Deutschland tatsächlich zu bedeutend mehr Impfstoff geführt hätte (wissen wir nicht) und ob die USA im Vergleich zur EU auch einfach Glück hatten (hatten sie).
Nee, das ist nicht der entscheidende Punkt imho. Der entscheidende Punkt ist, dass ich mittlerweile vemrute, Operation Warp Speed hat einfach nicht die große Rolle gespielt, die hier angenommen wird. Ich habe seit ich neulich den GAO Report dazu aus Februar gelesen habe gezielt gesucht, irgendwas dazu zu finden, aber ich bin nicht wirklich fündig geworden. Nach allem was ich lese haben sie hier und da geholfen, auf einen Vertragsproduzenten aufmerksam zu machen, auf bestehende Produktionskapazitäten aufmerksam zu machen, einzugrenzen für welche Produkte aus der Lieferkette es einen Ausfuhrstopp wird geben müssen und bei der Logistik bzgl. Verteilung der einmal produzierten Impfstoffe geholfen. Das ist alles gut und schön, aber letztendlich ist das nicht, warum die Amerikaner jetzt wesentlich mehr Impfstoff haben als die Europäer. Moderna hatte schon ein Phase 1 Trial mit dem Impfstoff laufen, der heute verimpft wird, bevor sie IRGENDWELCHES Geld von der US-Regierung bekommen haben. Natürlich wissen wir nichts über die kontrafaktischen Szenarios wenn ein anderer Impfstoffhersteller Erfolg gehabt hätte, vielleicht wären die ohne OWS deutlich langsamer gewesen als mit. Aber so weit den game tree schaut doch offensichtlich hier niemand runter. Fakt ist: 98% der Amerikaner, die Stand heute geimpft sind, wurden mit BioNTech oder Moderna geimpft. Ich habe einfach keine Anhaltspunkte dafür gefunden, dass OWS tatsächlich nennenswert zur tatsächlichen Produktion beigetragen hat. Dass es in einer weltweiten Pandemie, wie sie spätestens im April 2020 für alle erkennbar war, für Impfstoffproduzenten nicht möglich gewesen wäre, in nennenswertem Umfang Risikokapital anzuziehen um dieselbe Vertragsproduktion aufzuziehen, die sie jetzt auch aufgezogen haben, halte ich einfach für unrealistisch. Moderna ist heute das siebenfache dessen Wert, was sie Anfang 2020 wert waren. Ich glaube man muss jetzt kein harter Fama-Gläubiger sein um zu vermuten, dass Kapital nicht der Flaschenhals war. Vielleicht wäre hier und da etwas langsamer passiert, aber alles kein Vergleich zu dem Unterschied, den der zweite funktionierende Impfstoff gemacht hat.
An (4) ist es wohl kaum gescheitert. Sowohl Deutschland als auch Deutschland im Verbund mit Frankreich, Italien und Holland oder die gesamte EU hatten locker genug Finanzmittel, um eine optimale Strategie ohne finanzielle Engpässe zu fahren.
(1) und (2) hätte man auf EU-Ebene prinzipiell auch machen können, wenn auch nicht in dem Ausmaß, wie die USA das tun. Aber wenn man bspw. 20 Mrd. Euro in den Ausbau von Produktionskapazitäten und gegeben hätte, dann hätte ich es für legitim gehalten, sich auch den Ertrag dieser Mehrproduktion - sofern sie zustande kommt - exklusiv zu sichern.
(3) kann ich nicht beurteilen, was das Erpressungspotential angeht. Mag sein, dass die USA da grundsätzlich am längeren Hebel sitzen - ob sie der EU im Zweifelsfall nach Belieben hätten Bedingungen aufzwingen können, halte ich erstmal für spekulativ. Und dass der Pharma-Sektor in der EU groß genug ist, um deutlich mehr Produktionskapazität bereitzustellen, als wir zwischen 11/20 und 03/21 hatten, steht ja wohl außer Frage.
Ich wollte gar nicht sagen, dass Deutschland diesen Betrag nicht hätte geben können: Klar hätten wir, wenn nötig sogar alleine. Das Problem ist nur, dass Deutschland, im Gegensatz zu den USA, eben nicht den kompletten Ertrag bzgl. mehr Impfdosen bekommen hätte, sondern eben immer nur den Teil, der uns nach EU-Verteilungsschlüssel zugestanden hätte, also irgendwas zwischen 18 und 19 Prozent. Das schmälert den Ertrag dann doch deutlich. Es ist immer leicht zu sagen, mit dem Wissen von heute hätte man da unendlich Geld reinbuttern können und trotzdem hätte man selbst bei geringer Beschleunigung einen positiven Return bekommen, aber das war damals schwer zu sehen. Aber wie gesagt: Ob es jetzt wirklich einen großen Unterschied gemacht hätte, ob Deutschland einer Firma, die effektiv einem der reichsten Deutschen gehört, ein paar Hundert Millionen Euro einen oder zwei Monate früher gegeben hätte, ist wiederum etwas, was ich für fragwürdig halte. Im Grunde genommen ist DIE große Frage, ob es irgendwie möglich gewesen wäre, auch in Europa mehr Moderna zu produzieren, aber darüber wissen wir effektiv Null.
Die letztlich entscheidende Frage ist und bleibt für mich, inwiefern man mit politischen Mitteln eine signifikante Steigerung des Outputs hätte erreichen können. Und dazu habe ich von keiner Seite irgendetwas wirklich Substantielles gehört.
Wenn ich mir die öffentlich einsehbaren Timelines angucke, dann erweckt es für mich durchaus den Anschein, als seien einige Schritte nicht so zeitig und in dem Maßstab erfolgt, wie es möglich gewesen wäre. Aber wissen tu ich es nicht, weil ich natürlich keine Ahnung habe, welche Voraussetzungen für die einzelnen Schritt erforderlich waren, was davor bereits im Hintergrund ablief, wo die Engpässe waren usw.
Ich denke man muss bei der Beurteilung effektiv unterscheiden, was für "politische Mittel" man meint. Caveat emptor, folgendes ist ein bisschen Spekulation: Ich denke in der EU versteht man darunter hauptsächlich marktwirtschaftliche Mittel, die der Staat bereitstellen kann, aber für mich weist alles darauf hin, dass die USA gerade deshalb so erfolgreich produzieren, weil sie bereit waren, die Marktwirtschaft komplett über Bord zu werfen und vollständig protektionistisch zu handeln, was Impfstoff und Material angeht. Da war die EU natürlich naiv darauf zu vertrauen, dass andere einen so behandeln wird wie man selbst andere behandelt, aber das ist auch kein Wunder, wenn man Bürokraten verhandeln lässt, die sich effektiv niemals dem Wahlvolk stellen müssen. Es gibt einfach keine ernsthafte europäische Identität, die es irgendwem erlauben würde, glaubhaft mit der Drohung in eine Verhandlung zu gehen, die EU würde im Zweifelsfall lieber die globale Lieferkette zum Erliegen bringen als anderen Staaten gegenüber Konzessionen zu machen. Ich vermute das wussten die Briten genau, weshalb sie sich auch in der Lage sahen bei AZ komplett unfair zu spielen und trotzdem zu wissen, dass Europa weder die Lieferungen stoppt noch die Ausfuhr von BioNTech-Impfstoff an sie stoppt. Das ist aber halt auch kein Problem, das man einfach so in der Krise lösen könnte. Meine Vermutung ist: Falls es möglich gewesen wäre, mehr Impfstoff zu bekommen, dann nur über die nationale Ebene oder auf Kosten der innereuropäischen Solidarität. Aber wenn man selbst JETZT, Stand April 2021, auf 500k Dosen von Pfizer verzichtet, damit die Osteuropäer, die davon anfangs zu wenig bestellt haben weil der Impfstoff ihnen zu teuer war, jetzt mehr bekommen, dann bezweifle ich dass das hier jemals jemand im Sommer 2020 in Erwägung gezogen hat, als die Infektionszahlen extrem niedrig waren.