Natürlich ist es denkbar Aspekte aus einem Verhandlungspaket auszuklammern, das ist kein Problem und das steht auch so wörtlich in einem meiner letzten Postings. Das Problem liegt darin politische Mehrheiten für so eine Lösung zu finden. Da nicht alle exakt das gleiche wollen, sondern unterschiedliche Pakete präferieren, gibt es einen Paketbeschluss der alle Wünsche so berücksichtigt, dass alle dem Paket zustimmen. Ohne allgemeine Zustimmung kein Beschluss. Die Freiheiten sind deshalb verbunden, weil es ohne diese Verbindung keine Mehrheit für das Paket gibt.
Ich weiß ehrlich gesagt nicht, ob das stimmt. Die vier Säulen des Binnenmarktes stehen ja schon seit Jahrzehnten in den Verträgen und sie haben sich halt immer weiter entwickelt. Mir ist nicht bekannt, dass darüber mal verhandelt wurde und irgendwelche Länder gesagt haben: "Ich gewähre aber nur Warenverkehrsfreiheit, wenn ich Kapitalverkehrsfreiheit bekomme".
Also haben wir jetzt einen Status Quo, der ist wie er ist und die EU hat Angst, dass ihr der Laden um die Ohren fliegt, wenn man das Paket aufschnürt. Das kann ich verstehen, aber ich glaube trotzdem, dass ein weniger ambitionierter Ansatz der bessere für die EU ist. Warum nicht eine EU mit verschiedenen Geschwindigkeiten und Integrationstiefen?
Zum Gegenentwurf: Es könnte doch einfach jedes Land mit allen anderen Ländern beliebige Abkommen schließen? Ja könnten sie, es wäre halt drölfzig mal so teuer, weswegen es eben multilaterale Abkommen gibt.
Man muss ja nicht immer bei Null anfangen. Wenn GB den freien Warenverkehr haben wollen, übernehmen sie automatisch alle entsprechenden Gesetze und den Rest halt nicht. Koordinierungsaufwand nahe Null.
Was wäre schlechter durch ein Zerpflücken? Nunja, wie schon ausgeführt: Wenn man zwei Leute die grundsätzlich auf dem gleichen Level stehen unterschiedlich behandelt, dann muss man damit leben, dass derjenige der schlechter behandelt wird eine äquivalente Besserbehandlung fordert. Bei Nichtbeachtung folgt dann eben politischer Druck, Sanktionen usw.––Man tut sich damit eben keinen Gefallen weil man Handelspartner vergrault. Man kann es machen, aber es ist eben eine unilaterale "Politik der Stärke" mit der man jeglichen Kooperationswillen derjenigen Partner untergräbt, welche man schlechter behandelt.
Und das Trittbrettfahrerproblem so von der Hand zu weisen … well, okay. Wenn Du das nicht so problematisch findest gehörst Du wohl zu einer sehr exklusiven Gruppe von Menschen. Zahlst Du auch immer die Kinokarten für Deine Freunde und wunderst Dich nicht wenn einer Dir kein Geld zurückgibt? Würdest Du so ein Verhalten als okay empfinden und akzeptieren? Falls Du jetzt nicht mit "ja" antwortest hast Du Dich in einen Widerspruch verstrickt.
Wenn GB genau das selbe anbietet, was es an Rechten einfordert, sehe ich keine Trittbrettfahrerproblematik.
Beide Seiten geben Warenverkehrsfreiheit, meinetwegen zahlen die Briten noch ein bisschen was für die dafür nötige EU-Verwaltungstätigkeit und fertig.
Du könntest auch noch erklären was der ökonomische Vorteil von weniger Arbeitnehmerfreizügigkeit wäre.
Die Vorzüge liegen wohl eher auf gesellschaftlicher Ebene, als auf ökonomischer. Ich denke, dass eine Wirtschaft ohne Abeitnehmerfreizügigkeit langsamer wächst. Aber vielleicht ist das für das jeweilige Land trotzdem besser (Besserer sozialer Zusammenhalt, vielleicht höhere Löhne o.Ä.). Zumindest fände ich es interessant zu sehen, wie sich GB damit entwickelt.
Dein Argument gegen weitere Integration. Okay. Was verstehst Du denn unter Integration? Geht es Dir mehr um die Verlagerung von Kompetenzen oder geht es Dir um die Harmonisierung?
Ich finde beides problematisch. Die Übertragung von Kompetenzen empfinde ich als das problematischere, weil man die Kompetenzen realistischerweise nie mehr zurückholen wird. Die Harmonisierung in so einem großen Wirtschaftraum halte ich ebenfalls für schwierig und gerade aus deutscher Sicht ist sie nachteilig, weil wir immer diejenigen sein werden, die den ganzen Zauber bezahlen werden.
Was spricht denn nun in einer globalisierten Welt dafür, dass jedes europäische Land bis zur russischen Grenze für sich selbst steht anstatt eine Gruppe zu bilden? Welche Vorteile hat das? Warum sollte ein Haufen bilateraler Abkommen hier besser funktionieren als ein multilaterales wenn man sieht, dass viele Interessen ohnehin sehr ähnlich sind?
Ähnlich kann man auch gleich fragen warum man Deutschland nicht gleich wieder auf den Stand von ungefähr 1834 zerteilt. Immerhin hat da doch auch alles funktioniert, man hatte den Zollverein, man hatte den allgemeinen Landfrieden, jeder Regionalstaat konnte im Wesentlichen tun und lassen was er wollte. Und trotzdem führte die Handelsintegration nach einer Weile zur politischen Integration ins erste Deutsche Reich, und zwar weil es offensichtlich wurde, dass es sich lohnt sich enger abzustimmen. Gut es gab zwischendrin noch etwas Knatsch wegen verletzter Gefühle, aber die Richtung war eindeutig eine Vergrößerung der Fläche auf der die gleichen Regeln gelten. Ähnliches lässt sich auch als Napoleons Strategie beobachten, der Kontinentaleuropa ein auf dem Code Civil basierendes harmonisiertes Rechtssystem brachte.
Ich habe wirklich nachgedacht, aber ich finde kein ökonomisches Argument für eine möglichst kleinteilige Regelung von Dingen.
Ich verstehe nicht, warum du aus meiner Ablehnung einer weiteren Integration der EU und mein Eintreten für alternative Formen der Zusammenarbeit gleich ins andere Extrem verfällst und mir unterstellst, dass ich für Kleinstaaterei und "möglichst kleinteilige Regelung von Dingen" bin.
Ich halte die Ebene der Nationalstaaten schon für die richtige um die meisten und wichtigsten Entscheidungen zu treffen. Ein Zusammenschluss von Nationalstaaten zur wirtschaftlichen Zusammenarbeit und zur Verteidigung ist meiner Meinung nach ebenfalls eine gute Sache. Aber die Integration der Nationalstaaten zu einer gemeinsamen Regierung, die alle wichtigen Politikfelder an sich zieht, lehne ich ab. Dafür sind die Völker und Interessen in der EU zu unterschiedlich und das ganze Gebilde wird viel zu intransparent. Das ist aber Ansichtssache und nicht Gegenstand der Diskussion hier.