Gustavo
Doppelspitze 2019
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@Benrath: Es ist ja auch nur mein Gefühl, aber dass sagt, dass die Scheu der Politik vor einer Impfpflicht wenig mit den Impfverweigerern zu tun hat. Irgendwie scheinen die Juristenberater der Politik das nicht so leicht zu sehen wie heat0r hier im Forum. Dazu finde ich, dass die Diskussion von beiden Seiten sehr moralisierend geführt wird.
Ich habe ehrlich gesagt nicht das Gefühl, dass wir es hier mit irgendwas anderem als einer politischen Frage zu tun haben. Die FDP will keine Impfpflicht und SPD/Grüne will sie nicht unter Zugzwang setzen, weil sie sich nicht mehr sicher sind ob sie wirklich so viel bringt. Wir haben gesehen dass die Zahlen bzgl. Zustimmung zur Impfpflicht sprunghaft nach oben geschnellt sind, insofern ist es auch nicht völlig ausgeschlossen, dass sie wieder deutlich nach unten gehen könnten, sollten wir demnächst in der Endemie sein. Ich glaube die Politik missversteht hier mal wieder den Wählerwillen weil sie zu viel Rücksicht auf Minderheiten nimmt, aber das ist halt wie es in einem System mit so vielen Vetopunkten häufig genug läuft.
Ich sehe mich als Geimpfter ja auch in der vernünftigen Position, aber gerade dieses "Solidaritäts"-Argument nervt mich schon. Ich kenne keinen, der sich aus Solidarität hat impfen lassen, sondern letztlich aus zweierlei Gründen: 1.) Schutz der eigenen Gesundheit oder von Risikogruppen in der Verwandtschaft (Großeltern) und 2.) Um möglichst wieder zum Normalitätszustand einer offenen Gesellschaft zurückzukommen. Beides sind imo eigennützige Gründe. Wenn sich jemand wirklich mit dem Personal im Gesundheitswesen solidarisiert, dann ist es mit einer Impfung sicherlich nicht getan.
Na ja, ist aber auch schwierig das festzustellen, weil die Beweggründe nahezu völlig epiphenomenal sein könnten. Klar geht sich niemand primär aus Soldarität impfen, wenn die Impfung ihm auch selbst einen deutlichen Nutzen bringt. Allerdings vermute ich, dass die meisten Leute durchaus wissen, dass der potenzielle Schaden einer Impfung so enorm gering ist, dass auch ohne den persönlichen Nutzen immer noch eine Mehrheit der Menschen bereit wäre, sich impfen zu lassen, um Solidarität gegenüber anderen Mitgliedern der Gesellschaft zu üben. Das ist aber natürlich Spekulation meinerseits.
Natürlich ist eine Impfverweigerung irgendwo "dumm", aber warum muss man die Leute so sehr dafür haten? Die Leute können doch nichts dafür, dass sie nicht sonderlich intelligent sind oder bisher in ihrem Leben nicht beigebracht wurde, wie man (wissenschaftliche) Informationen verarbeitet.
Als ob die Menschen irgendwann aufgewacht wären und sich gesagt hätten "heute entscheide ich mich mal dafür, ein Idiot zu sein, obwohl ich auch kluk sein könnte." (es gibt sicherlich auch einige wenige, die aus persönlichen, sinisteren Gründen öffentlich gegen Impfungen wettern, aber ich meine jetzt erstmal Ottodoof).
Es geht ja nicht darum, den Impfverweigerern zuzustimmen, sondern deren Meinung einfach nur mal anzuerkennen. Und dann auch ruhig abzulehnen.
Fun fact: man kann Menschen widersprechen ohne sie direkt zu hassen. Verstehe da diese Emotionen nicht so sehr (nicht, dass die andere Seite besser wäre).
Aber vielleicht bin ich da auch einfach unnormal, weil mich weder eine Impfpflicht, noch Lockdown, noch tote Menschen emotional sonderlich berühren.
Ich glaube, dass wir vielleicht langsam davon wegkommen sollten, über Impfen so zu reden als ginge es da wirklich primär ums Impfen. Neulich war die sächsische Gesundheitsministerin bei Lanz, die die Nichtimpfwilligen in jeweils gleiche 1/3-Gruppen (Leute die Angst haben, Leute die sich nicht impfen lassen können, Impfverweigerer) eingeteilt hat, das halte ich für völlig illusorisch. Die Leute, die wirklich Probleme mit dem Impfen an sich haben sind imho ein ziemlich geringer Anteil und diejenigen, die sich nicht Impfen lassen können, sind ein verschwindend geringer Anteil. Ich vermute bestenfalls gibt es noch einen größeren Teil an Leuten, die einfach zu faul oder nicht genug in die Gesellschaft integriert sind, um ein für sie eigentlich attraktives Impfangebot anzunehmen. Aber ich vermute der überwiegende Teil derjenigen, die sich nicht Impfen lassen wollen, sind Leute deren Probleme viel tiefer liegen als bei einem Ja/Nein zu einer Impfung. Ich vermute das sind Leute, die aus (vermutlich sehr verschiedenen) Gründen das Vertrauen in die Gesellschaft als Gemeinschaft verloren haben. Ich weiß natürlich nicht, ob das wirklich stimmt, aber ich befürchte selbst wenn es teilweise stimmt spricht es dafür, dass wir ein Problem mit "gesellschaftlicher Spaltung" haben, das größer ist als wir denken und sich ganz sicher nicht auf ein paar Spritzen reduzieren lässt.