Wir tasten die Würde des Menschen aber an, wenn wir ihr zur Liebe ein System erschaffen, in dem seine Würde keinen Bestand hat. Und auf solch ein System könnten wir uns zubewegen, wenn wir die Ursachen nicht bekämpfen.
Ich sage nicht, dass es so kommen muss, aber wir müssen die Möglichkeit anerkennen in den Diskurs einbeziehen. Denn das Bekenntnis zur Menschenwürde verkehrt seine Botschaft ins Gegenteil, wenn sie als Rechtfertigung für Denkverbote herhalten muss.
Und Sigmar Gabriel läuft in meinen Augen gefährlich nahe an diesem Weg.
Sigmar Gabriel scheint der einzige zu sein, der einem solch schwierigem Thema gewachsen zu sein scheint. Seine Argumentation war schon bei Illner sehr gut, was selbst die nicht unbedingt SPD nahe FAZ dazu gebracht hat, von einer "Sternstunde Gabriels" zu schreiben.
Die FAZ täte nach ihrer peinlichen Berichterstattung zum Thema Sarrazin gut daran, ne Weile die Klappe zu halten.
Ich empfand Gabriels Auftritt bei Illner als gewohnt schleimig und scheinheilig. Er ist doch schon auf den Anti-Sarrazin-Zug aufgesprungen und hat dessen Parteiausschluss nahegelegt, als er das Buch noch gar nicht gelesen hatte - jetzt bestreitet er, dass Sarrazin rassistisch sei und schiebt dafür eine andere Begründung für dessen Parteiausschluss nach. Das Motto scheint hier eher gewesen zu sein: "Der Wind dreht, jetzt brauchen wir sogar einen Grund, um Sarrazin rauszuwerfen, schauen wir doch mal, wo wir den finden."
Gabriel interpretiert Sarrazins Buch bewusst böswillig, um seine ohne Tatsachen gefasste Meinung zu rechtfertigen:
Für Sarrazin beruht die Schichtung einer Gesellschaft somit ganz überwiegend auf natürlicher biologischer Auslese. Einflussfaktoren wie Einkommensverhältnisse, Bildung, Sozialstatus, kulturelle Prägung, Integration oder Desintegration in den Arbeitsmarkt sind für ihn zu vernachlässigende Restgrößen.
http://www.zeit.de/2010/38/SPD-Sigmar-Gabriel?page=2
Wer immer das Buch vorurteilstfrei liest, kann unmöglich zu solch einer Behauptung gelangen. Das Buch gibt sie nicht her: Sie ist eine Erfindung im Dienste der politischen Meinungsmache.
Ich bin wie viele der Ansicht, dass Sarrazin die Genetik an manchen Stellen überschätzt, aber die Kultur regiert Seine Argumentation. Gabriel behauptet hier das Gegenteil und lügt.
Gabriels Schmähschrift hier zerstückeln will ich nicht. Stattdessen greife ich mir
ein Beispiel heraus, das volle Klarheit schafft über sein Verhältnis zur Wahrheit:
Das gleiche gilt für ihn auch für den Länderfinanzausgleich zwischen dem Süden und dem Norden Deutschlands, weil » die in Schwaben lebenden Menschen durchschnittlich einen höheren Intelligenzquotienten haben als jene in der Uckermark (…)«. (S. 24) Nicht die Deindustriealisierung des Nordostens nach der Wiedervereinigung ist also schuld am hohen Anteil von Hartz-IV-Empfängern, sondern die genetisch bedingt weniger tüchtige Bevölkerung (vgl. S. 77).
Wer denen im Norden oder im Nordosten Geld gibt, der schmeißt für Thilo Sarrazin nur Geld zum Fenster heraus, denn Geld macht nicht klüger. Es führt nur dazu, dass die Dummen weiter unter sich bleiben können. Aber eigentlich ist das Ganze noch viel schlimmer, denn selbst die Abwanderung aus dem Norden in den Süden ist kein Ausweg: Wenn sich nämlich die Norddeutschen mit den Süddeutschen durch Abwanderung und Heirat vermischen, sinkt die durchschnittliche Intelligenz der Süddeutschen. Wohlgemerkt: Dieser absurde Unsinn stammt nicht aus einer Aschermittwochsrede in Bayern, sondern aus dem medial wie kein zweites Buch gehypten angeblichen »Integrations«-Bestseller Thilo Sarrazins.
Ebenda.
Schauen wir uns an, was Sarrazin schreibt:
Das vielfältige Scheitern entwicklungspolitischer Ansätze hat gezeigt, dass man Gesellschaften und Volkswirtschaften nicht einfach »machen« kann. Die wirtschaftliche und kulturelle Entwicklung nimmt in Zentralafrika und in den islamischen Ländern des Nahen Ostens einen anderen Verlauf als in Ostasien. Der kommunistisch beherrschte Teil Europas schlug einen anderen Weg ein als die westlichen Marktwirtschaften. Auch unter diesen gab und gibt es große Unterschiede, und zwar nicht nur zwischen den Ländern, sondern auch innerhalb derselben. Norditalien funktioniert auf andere Weise als Süditalien. In Schwaben wird es immer mehr Maschinenbau und mehr Unternehmertum geben als in der Uckermark - und damit auch deutlich mehr Wohlstand. Dieser Wohlstand hat Wanderungsbewegungen ausgelöst und dazu geführt, dass die in Schwaben lebenden Menschen durchschnittlich einen höheren Intelligenzquotienten haben als jene in der Uckermark - wenn man glauben kann, was die Tests der Bundeswehr an ihren Rekruten ergaben haben.
Zwar gibt es keine wissenschaftlich vertretbare Methode, Gesellschaften mit unterschiedlichen Entwicklungswegen und unterschiedlichen Kulturen in ein Ranking zu bringen, doch es lässt sich wohl leicht Einigkeit darüber herstellen, dass die Verhältnisse in Deutschland generell denen in Rumänien vorzuziehen sind, und auch darüber, dass das Leben in Rumänien gegenüber dem Leben im Sudan vorzugswürdig ist. Ferner wissen wir, dass die Lebensbedingungen im Sudan gar nicht so schlecht sein können, dsas sie nicht noch besser wären als in Somalia.
Setzt man voraus, dass die Menschen - abgesehen von genetisch bedingten Unterschieden in Intelligenz und Temperament - mit grundsätzlich ähnlichen Dispositionen zum Leben geboren werden, dann sind die Möglichkeiten, Institutionen und Systeme zu gestalten, nicht schrankenlos. Mit Edward O. Wilson kann man davon ausgehen, dass die biologische Evolution eine angeborene Disposition und Verhaltensbreite mitgegeben hat, die sich nur langsam auf dem Wege der weiteren biologischen Evolution ändert, dass aber innerhalb dieses der menschlichen Natur von der Biologie gesetzten Rahmens eine sehr variationsreiche kulturelle Evolution stattgefunden hat und weiter stattfinden wird. Eine Erklärung des menschlichen Verhaltens und seiner Entwicklung ist nur möglich, wenn man beide Elemente betrachtet, denn menschliche Gesellschaften und der Mensch als Gattung beeinflussen ihr Schicksal vor allem über die Steuerung der kulturellen Evolution.
Was sagt Sarrazin?
Der schwäbische Wohlstand hat dazu geführt, dass Schwaben heute intelligenter sind als Leute der Uckermark, der Wohlstand mehrt also die Intelligenz. Abgesehen von gewissen genetischen Unterschieden erben alle Menschen ähnliche Veranlagungen. Diese Veranlagungen ändern sich kaum und setzen den für alle Menschen gemeinsamen Rahmen der kulturellen Evolution.
Was liest Gabriel?
Die genetische Überlegenheit der Schwaben erzeugt ihren Wohlstand, stat umgekehrt: Geld macht nicht klüger. Kreuzte man Über-Schwaben mit Norddeutschen, käme ein minder begabter Naja-Schwabe heraus, weil menschliche Evolution sich nach Sarrazin vorwiegend biologisch vollzieht.
Nun darf sich jeder selbst ein Bild davon machen, wie gut Sigmar Gabriel lesen kann oder lesen will.