Aber für dich poste ich nochmal zwei (von mehreren) zentralen Aussagen und Kritiken meinerseits:
Danke.
Zu 1:
"dann wurde von zwei Leuten schon erwähnt, dass der Nationalitätenbegriff, ebenso wie Volk und "Rasse", von Kultur mal zu schweigen, extrem problematisch sind. Wir stimmen wohl alle überein, wenn wir sagen eine Population kann genetisch bestimmt werden und sich bestimmte Merkmale vererben. Man kann auch einen genetischen Stammbaum anlegen.
Aber das moderne "Volks" hat damit nichts zu tun. Es ist keine Population, sondern eine politische Konstruktion von Populationen. Hier wird quasi ein "biologischer Korps", politisch definiert. Aber eben nicht nach den Regeln der Biologie. Was heißt das an unserem Beispiel?
An dem deutschen Volk. Es geht ja um dessen Abschaffung, auch demographisch und genetisch. Dazu sollte man aber erst einmal nicht über die Ab- sondern "Anschaffung" dieses "Volkes" oder der Nation sprechen.
Zentral sind dafür das 19. Jahrhundert. Vorher gab es flächendenken nämlich kein "deutsches Volk". Es gab eine Population, die aber politische in viele Völker (Bayern, Preußen etc.) oder Herrschaften unterteilt war. Manche haben von Reich oder einer "geistige Nation" gesprochen, aber das sind andere Dinge. Deshalb ist es mir völlig schleierhaft, wie man etwas durch eine genetische Population definieren will, die vor 140 Jahren als "Volk" noch gar nicht vorhanden war. Zumal man doch nur im Ruhrgebiet ins Telefonbuch schauen muss und die vielen Wurzeln polnischer Erbmasse zu sehen....
Ich sehe hier gar keinen Unterschied zwischen unseren Standpunkten. Mein Problem ist nur, dass ich nicht sehe, wo Sarrazin ein Volk mit einer Population identifiziert und das auch noch genetisch verankert.
Ich zitiere Sarrazin aus seinem Buch, S. 419, Fußnote 78 zu Kapitel 3:
Die Intelligenzforschung der Gegenwart dominieren Wissenschaftler aus den USA. Dort wird die Diskussion durch die Interpretation der ermittelten Unterschiede zwischen den verschiedenen ethnischen Gruppen belastet. Dabei ist diese Diskussion angesichts der großen Varianz von Intelligenz in jeder ethnischen Gruppe völlig überflüssig, denn entscheidend sind allein die Eigenschaften des Individuums. Sähen alle Menschen gleich aus, käme niemand auf die Idee, vorhandene Inteligenzunterschiede mit ethnischer Herkunft in Verbindung zu bringen.
Sarrazin hat außerdem an mehreren Stellen betont, dass die
ethnische Herkunft für ihn keinen Einfluss auf die Integrationsfähigkeit hat:
Angesichts der unterschiedlichen Herkunft der Muslime habe ich aber ganz klar gesagt, dass ethnische Gründe für dieses Anderssein nicht in Frage kommen.
http://www.faz.net/s/Rub594835B6727...228A9988CC60A45522~ATpl~Ecommon~Scontent.html
Der Einflussfaktor, den er in seiner Analyse festgestellt hat, ist der Islam - eine kulturelle Gruppe, zu der viele verschiedene Ethnien gehören.
Falsch ist auch, dass er alle Muslime in eine Schublade steckt. Er weist explizit darauf hin, dass es große Unterschiede gibt und "die Muslime" keine homogene Gruppe bilden. Zitat aus seinem Buch, S. 268, Absatz 2:
Liberale Muslime wehren sich dagegen, "dem Islam" als solchem bestimmte Eigenschaften zuzuschreiben, und damit haben sie Recht.
Einen Absatz weiter erklärt er, warum er im Islam dennoch einen negativen Einfluss auf die Integration sieht:
Leider ist nicht zu bestreiten, dass unter den vielen teils uneindeutigen, teils widersprüchlichen Strömungen des Islam ein Gesellschaftsbild dominiert, bei dem die Trennung von Religion und Staat weitgehend noch nicht angekommen ist, die Gleichberechtigung der Geschlechter kaum existiert, wo vormoderne Lebensformen eine weitere deutliche Vermehrung der sowieso jungen Gesellschaften, auch bei den Migranten, begünstigen und insgesamt zu unseren Lebensformen eine große kulturelle Distanz besteht.
Zu 2:
ZITAT2
"Also: er will GENERELL jede Einreise unterbinden, aus Ländern die er vorher benannt hat: dem Nahen/Mittleren Osten/Afrika
Warum?
Weil er wohl irgendwie meint
die seien dümmer
durch: Gene (Intelligenzdebate/Vererbung)
oder haben keine Motivation und sind gewaltätig wegen ihrer Religion
Wie gesagt er fährt hier doppelgleisig. Ist ne geschickte Ausweichstrategie.
Verzeih meine drastischen Worte, aber das ist eine polemische Fehldeutung, die nur jemandem passieren kann, der das Buch tatsächlich nicht gelesen hat oder Sarrazin in die Pfanne hauen will.
Ja, er macht auf Seite 372 die Aussage:
Die einzige sinnvolle Handlungsperspektive kann daher nur sein, weitere Zuwanderung aus dem Nahen und Mittleren Osten sowie aus Afrika generell zu unterbinden.
Die Begründung setzt zwei Seiten früher (S. 370) so an:
Wer aus Afrika, Nah- und Mittelost nach Deutschland einwandert, will seinen Lebensstandard verbessern. Das garantiert ihm das deutsche Sozialsystem auch ohne Arbeit. Wer dagegen in die USA oder nach Kanada einwandert, weiß genau, dass ihm nur seine Hände und sein Kopf zu einem besseren Leben verhelfen können. Wer sich wenig zutraut oder Anstrengungen nicht auf sich nehmen will, wird in diese Länder nicht einwandern. Die Einwanderer stellen dort also eine positive Auslese dar. Das ist in Deutschland und Europa nicht der Fall. Nach Deutschland einzuwandern lohnt sich auch für Unfähige und Faule, sofern ihr Heimatland nur arm genug ist.
Das ist eine streitbare Analyse. Ich schließe mich ihr nicht an. Und ich finde die Schlussfolgerung in ihrer Pauschalität nicht zwingend. Aber die Beweggründe, die Sarrazin hier anführt, sind sozialer Natur, nicht genetischer, nicht religiöser. Wer ihm anderes unterstellt, bewegt sich nicht auf der Grundlage von Fakten.
Was die Religion angeht, sagt Sarrazin selbst auf Seite 329:
- Für die weitere Zuwanderung gelten äußerst restriktive Bedingungen, die im Prinzip nur noch Spezialisten am obersten Ende der Qualifikationsskala erfüllen. Wer über die Qualifikationsvoraussetzungen verfügt, die in Deutschland unter dem Stichwort >>Greencard<< diskutiert werden, kann selbstverständlich auch aus einem muslimischen Land kommen.
Also er stempelt sie als dumme Inzestgemeinde ab. Nein das ist keine Wertung und spielt auch nicht auf ihr Genmaterial an. Er schließt sogar das Unterschichtenmodell implizit fast aus.
Das von dir vorgebrachte Zitat besteht aus zwei Teilen mit jeweils einer Fußnote dazu. Erster Teil:
Die kulturelle Fremdheit muslimischer Migranten könnte relativiert werden, wenn diese Migranten ein besonderes qualifikatorisches oder intellektuelles Potential verhießen. Das ist aber nicht erkennbar. Anzeichen gibt es eher für das Gegenteil, und es ist keineswegs ausgemacht, dass dies ausschließlich an der durchweg bildungsfernen Herkunft liegt.
Dieses Zitat steht am Ende einer längeren Ausführung über die
kulturellen Probleme bei der Integration von Muslimen.
Es ist eine Nebenbemerkung, die für Sarrazins eigentliche Argumentation keinerlei Relevanz besitzt. Wie sie in den Medien ausgeschlachtet wird, um ihn in ein bestimmtes Licht zu rücken, finde ich nicht gerecht.
Ich verstehe sein "keineswegs ausgemacht" hier nicht als Mittel der Suggestion. Es ist eine jener kühnen Bemerkungen, von denen er einige macht, die er besser unterlassen hätte - nicht weil sie unbedingt falsch ist, sondern weil sie schlecht belegt und an dieser Stelle irrelevant ist.
In diesem Fall bezieht er sich auf ein umstrittenes Buch von Richard Lynn:
http://en.wikipedia.org/wiki/IQ_and_the_Wealth_of_Nations
Der zweite Teil des Zitats:
So spielen bei Migranten aus dem Nahen Osten auch genetische Belastungen – bedingt durch die dort übliche Heirat zwischen Verwandten – eine erhebliche Rolle und sorgen für einen überdurchschnittlich hohen Anteil an verschiedenen Erbkrankheiten.
Ob diese Belastungen nun eine "erhebliche Rolle" spielen, ist eine Frage der Auslegung. Auch diese Bemerkung finde ich hier weder zielführend noch nötig. Aber Sarrazin hat sie gemacht. Und ebenso wenig zielführend oder nötig ist es, ihm daraus einen Strick zu drehen.
Er spricht hier ein Thema an, das von den Medien immer wieder mal aufgenommen wird, ohne dass dem ein Entrüstungssturm folgt:
http://www.spiegel.de/spiegel/print/d-66696026.html (Sarrazins Quelle)
http://www.welt.de/vermischtes/article732888/Wenn_der_Cousin_mit_der_Cousine_schlaeft.html
Ich hoffe, meine Erläuterungen zeichnen ein differenziertes Bild.
Ich war vorhin bei der Podiumsdiskussion in der Berliner Urania, an der Thilo Sarrazin teilgenommen hat. Bis auf wenige interessante Aussagen war es ein polemischer Schlagabtausch.
Sarrazin hat dabei einiges getan, um diplomatisch zu sein, ohne sich zu verbiegen. Zum Beispiel bekräftigte er nochmals, dass er die Migration kulturell und nicht ethnisch betrachtet und dass für ihn jeder ein Deutscher ist, der die deutsche Staatsangehörigkeit hat und nach dem Grundgesetz lebt - eine ähnliche Aussage macht er auch im Buch, ich habe nur die Seite nicht zur Hand.
Es gab Momente, wo Sarrazin auf mich unsympathischer wirkte als in seinen Fernsehauftritten, was ich auf zwei Gründe zurückführe:
1. Das Publikum war für ihn und hat ihn angespornt. Das hat ihn so selbstbewusst gemacht, dass er nicht immer so konsequent sachlich war, wie ich ihn zuvor erlebt habe.
2. Die wochenlangen Angriffe scheinen an ihm gezehrt zu haben. Er hat das Wenige, das an fundierter Kritik kam, manchmal zu persönlich genommen und daher nicht immer angemessen reagiert. Ich kann das menschlich nachvollziehen, aber schade wars - vor allem, weil Jürgen Neffe die intelligenteste Kritik an Sarrazin geübt hat, die ich bisher gesehen habe. Sie deckt sich nahezu mit dem, was mir an Sarrazin negativ aufgefallen ist: Er beruft sich zur Vererbung auf zweifelhafte Quellen, was er gerade als Laie auf diesem Gebiet tunlichst unterlassen sollte, und zieht ein paar spekulative Schlussfolgerungen, die nichts nützen, aber viel kaputt machen, weil sie ihn von seinem eigentlichen Thema wegführen. Zudem versteht er es nicht, diese inhaltlichen Schwächen zu relativieren, sondern nimmt sie und damit sich selbst etwas zu wichtig - Er ist ein Sturkopf und will in jedem einzelnen Punkt Recht behalten, statt mal zu sagen: "Ja, dieser Ausflug war kühn und ich hab mich da etwas verrannt. Doch in der Hauptsache bleib ich bei meinem Standpunkt."
Dass er über diese Bescheidenheit verfügt, hat er angedeutet, indem er betonte, dass auch seine Sicht der Dinge keine objektive sei, dass er aus den Fakten bestimmte Schlüsse gezogen habe, doch ein anderer mit einem anderen Blickwinkel zu anderen Schlüssen gelangen könne.
Es wäre besser für ihn, diese Milde öfter durchscheinen zu lassen. Aber ich verstehe gut, dass ihm das schwerfällt bei all der unberechtigten Feindlichkeit, die ihm entgegenschlägt.