SPIEGEL: 141 von 193 Staaten haben sich in den Vereinten Nationen an die Seite der Ukraine gestellt, nur 4 haben mit Russland gestimmt, 35 haben sich enthalten.
Mishra: Wenn Sie die Länder zählen, die sich enthalten haben oder es ablehnen, sich den Sanktionen gegen Russland anzuschließen, dann haben Sie es mit der breiten Mehrheit der Weltbevölkerung zu tun. Die Gründe dieser Länder sind ganz unterschiedlich – von
Südafrika, deren führende Politiker während der Apartheid von der Sowjetunion unterstützt wurden, bis Indien, das es sich nicht leisten kann, auf Amerikas Seite zu stehen, falls Washington eines Tages gegen Iran oder Russland vorgehen sollte.
Mexiko,
Argentinien,
Brasilien – alle haben ihre eigenen Motive, die Sanktionen nicht mitzutragen und die Invasion nicht zu verurteilen. Über China sprachen wir schon. Die Vorstellung, die gesamte internationale Gemeinschaft wäre gegen Russland geeint, ist jedenfalls eine Selbsttäuschung.
SPIEGEL: Sie sprechen von Ländern. Sollte man in diesem Fall vielleicht besser zwischen den Regierungen, die in der
Uno abstimmen, und ihren Völkern unterscheiden?
Mishra: Da kann ich nur für Indien und vielleicht auch für
Indonesien sprechen, wo Putin erstaunlich populär ist. Es ist verstörend, aber für viele Menschen gilt er als jemand, der gegen ein Land vorgeht, das vom Westen unterstützt wird. Allein das reicht manchen aus, ihn zu unterstützen – Menschen, die wenig Zugang zu Informationen haben..
SPIEGEL: ... oder auch gezielten Desinformationskampagnen ausgesetzt sind.
Mishra: In Indien gehören dazu viele, die auch Premier
Narendra Modi unterstützen. Auch hier haben wir es mit einer fragmentierten Öffentlichkeit zu tun, in der es sehr schwierig ist, selbst im Angesicht des absolut Bösen der Invasion der Ukraine Einigkeit zu erzielen. Es ist wichtig, diese Vielfalt an Motiven zu verstehen, anstatt zu moralisieren und Entscheidungen zu treffen, die sich als voreilig und destruktiv erweisen könnten.