Mittlerweile scheint leider schon so, dass eine deutliche Mehrheit den Krieg unterstützt. Wieviele davon leidenschaftlich vs aus Prinzip/Pflichtgefühl scheint sekundär.
Na ja, Legitimation ergibt sich politiktheoretisch aus dem aufgeklärten Volkswillen. Den hier als gegeben anzunehmen erscheint mir zumindest mal eher zweifelhaft:
- Man kann überhaupt nicht wirklich messen, wie Russen über den Krieg denken, weil es keine wirklich unabhängigen Umfragen gibt und in den Umfragen, die es gibt, musst du mit preference falsification rechnen. Wenn Leute keine Exit-Option haben, kann man ihre stillschweigende Toleranz zu den Zuständen nicht einfach zur Zustimmung umdeuten. (Bsp.: In den ehemaligen Sovietrepubliken gab es auch praktisch keine Anzeichen dafür, dass die Bevölkerungen lieber unabhängig geworden wären, bis es auf einmal möglich wurde das offen zu zeigen und auf einmal stellte sich heraus, dass die das alle wollten.)
- Man kann in Angesicht der Medienlandschaft in Russland auch überhaupt nicht davon ausgehen, dass es sich hier um eine aufgeklärte Meinung handelt. Wenn ich dir zwei Optionen gebe, A oder B, aber du nur extrem vage oder vielleicht auch völlig falsche Vorstellungen davon hast, was A bzw. B bedeuten, kann ich aus deiner Entscheidung imho nicht wirklich ableiten, dass du die Option präferierst, für die du dich entschieden hast. Und bei der Berichterstattung über diesen Krieg wurde auf russischer Seite die eigene Bevölkerung ja zu jeder Zeit in allen Kategorien vollumfänglich gelogen: Motive, Verlauf, Aussichten.
- Bei dem Punkt kann ich verstehen, wenn man es anders sieht, aber ich persönlich tue mir auch ein bisschen schwer damit, die Zustimmung zu einem Krieg, der nun mal begonnen wurde, mit der hypothetischen Zustimmung zum Beginn des Krieges gleichzusetzen. Es ist natürlich immer schwerer, einen Krieg mal abzulehnen, sobald rally round the flag einsetzt. Dazu gibt es ja jetzt auch vermeintliche (sunk cost fallacy) als auch reale Fragen darüber, was eine Niederlage in diesem Krieg für die Bevölkerung bedeuten würde. Gerade in Russland ist das Wissen darum, dass eine stabile Autokratie im Zweifelsfall erst mal sehr viel lebenswerter ist als eine auseinanderbrechende (mit ungewissem Ausgang, was danach kommt), ja durchaus weit verbreitet.
@kritiker: Es ist völlig unplausibel, dass ein Land wie die Ukraine sich in so einem Krieg selbst verteidigen könnte, wenn dieser Volkswille nicht existiert.