Auch wenn ich wenig Lust darauf habe, hier eine Scheindiskussion auszulösen, denn schließlich skizziere ich nicht meine eigene Meinung, möchte ich versuchen, ein paar Punkte zusammen zu tragen, die in meinen Augen die Diskrepanz in der Unterstützungsbereitschaft zwischen Ost- und Westdeutschland erklären.
Ich fang gleich mal mit einem häufig vertretenen Motiv an, für das man in Westdeutschland wohl am wenigsten Verständnis zeigen dürfte. Da haben wir die nicht kleine Schar jener, die, von der Wende enttäuscht (in unterschiedlichen Graden der Berechtigung) es einfach toll findet, wenn es da irgendwie "gegen den Westen" geht. Das sind nostalgische Menschen, die aus eigener Erfahrung oder durch Erzählungen der Eltern- und Großelterngeneration noch immer keine positive Einstellung zur Wiedervereinigung gefunden haben, wobei es in großer Mehrzahl nicht die Wiedervereinigung selbst ist, die ihnen im Magen liegt, sondern die Art und Weise wie sie erfolgte. Diese Leute fühlen sich "vom Westen" übergangen und nicht anerkannt und hegen in sich einen tiefen Groll, den sie hier ausleben können, wenn einer wie Putin "es dem Westen mal richtig zeigt".
Ein weiteres Puzzleteil ist Angst - nackte Angst, wie ja auch schon von der Soziologin im Faz-Podcast angeführt. Kein edles Motiv, aber menschlich vielleicht schon nachvollziehbarer. Ostdeutschland hat unter der sowjetischen Besatzung enorm gelitten. Eine Erfahrung, die man in Westdeutschland schlicht und einfach und Gott sei Dank nicht hat machen müssen. Schon die kleinste Gefahr, dass sich das wiederholen könnte, ist für derart gestrickte Leute ein schwerer Stein im Magen. Da kommt dann auch eine Fehleinschätzung der Kräfteverhältnisse hinzu (ohoh die Rote Armee ist durch niemanden zu stoppen). Das Angstmotiv splittet sich in zwei unterschiedlich ausfallende Reaktionen auf: "Das ist nicht unser Krieg; wir sollten uns raushalten" und "Wir müssen unbedingt liefern; die Ukraine verteidigt auch uns".
Dann haben wir das Lager jener Leute, die zum Beispiel wie Gregor Gysi argumentieren. Hier kann man Erklärungsansätze finden, warum in Ostdeutschland so eine andere Stimmung herrscht als im Baltikum oder in Polen. Gysi sagt ja, Waffenlieferungen sind notwendig, aber bitte nicht aus Deutschland. Unsere Aufgabe in diesem Krieg muss eine andere sein. Kann man den Kopf dazu schütteln, ist aber eine häufig anzutreffende Auffassung. Man bezieht sich hier also auf die eigene Geschichte oder schiebt sie vor; je nachdem wie man das betrachten mag.
Nächster großer Punkt: Die Unterschiede in den wirtschaftlichen Verhältnissen zwischen Ost und West. Während man in Westdeutschland Einschnitte durch die Sanktionspolitik überwiegend sehr gut kompensieren kann, stoßen hier ostdeutsche Unternehmen und Privathaushalte an Grenzen, die ihre eigene Existenz bedrohen. Ostdeutsche Unternehmen waren vor dem Krieg sehr viel enger mit Russland im Austausch als das bei westdeutschen Unternehmen der Fall gewesen ist. Die verhängten Sanktionen sind im Osten also deutlicher zu spüren, oft steht eine komplette Neuausrichtung des eigenen Unternehmens an.
Die Privathaushalte sind im Osten schwächer aufgestellt als im Westen. Eine Sanktionspolitik, die auch die eigenen Geldreserven angreift, ist für Ostdeutschland bedrohlicher als für Westdeutschland. Man muss sich nur die Benzinpreise anschauen. Da zahlst du im Osten gerne mal 20 Cent mehr für den Liter als im Westen, während das vorhandene Kapital ohnehin schon geringer ist.
Und abschließend möchte ich noch den in meinen Augen wichtigsten Punkt anführen. Das ist das Misstrauen gegenüber der amerikanischen Politik. Es ist hier eine weit verbreitete Ansicht, dass die Ukrainepolitik im Vorfeld des Krieges keine europäische Politik gewesen ist, sondern eine von Amerika den Europäern übergestülpte, deren Folgen wir (auf tragische Weise in erster Linie die Ukraine) nun auszubaden haben. Es gibt im Osten nicht das Vertrauen in den guten Ami, der nur das Beste für uns will, wie es historisch bedingt in Westdeutschland aufzufinden ist.
Das ist sicher nicht alles, ganz bestimmt habe ich Punkte übersehen und ausgelassen, aber es ist eine Teilmenge der Gründe, aus denen sich die großen Unterschiede in der Auffassung dieses Krieges in West und Ost erklären lassen.