Ich denke, das gehört doch größer aufgesplittet. Ich gehe einmal von Süden nach Norden:Wenn wir zurückblicken, gab es bisher 5 grössere Aktionen in dem Krieg:
1. Die Offensive aus dem Süden, Russland bisher größter Sieg. Die Einnahme von Kherson sowie das ganze rechte Ufer des Dnieper in der Region. Eine gelungene Eröffnung, die den gesamten Konflikt bisher prägt.
2. Die Offensive in das weitere Hinterland, die bei Mikolaiv hart gestoppt wurde. Wäre die russiche Armee bis Odessa oder weiter in den Norden marschiert, hätte das den weiteren Kriegsverlauf entscheidend beeinflusst. Sowas wie eine Gegenoffensive wurde erst durch diesen Erfolg in den ersten Kriegswochen möglich.
3. Die Einkesselung von Mariupol und die Vereinigung der beiden Frontabschnitte. Schließlich die Einnahme von Mariupol. Strategisch wichtig, wenn auch vor allem in Mariupol sehr kostspielig für Russland.
4. Patt in Donetsk. Die Linie zu halten ist in meinen Augen ein Achievement. Marinka war im Februar Frontlinie und ist es bis heute. Klarer Punkt für die Ukraine.
5. Der Oblast Luhansk wurde zum größten Teil vollständig genommen, die Städte Sievierodontesk und Lysychansk mussten mühsam erkämpft werden. Den Punkt gebe ich an Russland dafür, dass das tatsächlich gelungen ist, die Schlacht um die beiden Städte war aber auch wieder sehr kostspielig und den Preis möglicherweise nicht wert.
6. Die Schlacht um den Siverskyi Donets war ein grauenhafter Fehlschlag der russischen Armee. Wärhend die Eroberung von Izium und später auch Lyman ein bedeutender Meilenstein der russischen Offensive war, ist die erfolgreiche Verteidigung des Donets vor Sloviansk gleichzusetzen mit der Verteidigung von Mikolaiv.
7. Bei Charkiv war die russische Offensive ein harter Fail. Keine einzige Siedlung wurde genommen, Widerstandszentren wurden einfach umgangen und der ganze Nachschub blieb ständigen Angriffen ausgesetzt, da musste der Angriff einfach stecken bleiben.
8. Das gleiche bei Kiev nur schlimmer. Chance verspielt, die Hauptstadt einzunehmen. Der Konvoi vor Kiev ist das Sinnbild des russischen Scheiterns. Kiev war in von zwei Seiten bedroht und beide Flanken wurden einfach gehalten. Punkt für die Ukraine.
9. Der Rückzug der Nordfront. Peinlichkeit hoch drei. Wegen der verfahrenen Situation war das unumgänglich geworden. Totale Konsequenz auf Punkt 7 und 8, aber dennoch ein deutlich Erfolg für die Ukraine und eine Zäsur.
10. Die Gegenoffive bei Kupiansk habe ich nicht kommen sehen. Nicht nur wurden gewaltige Geländegewinne erzielt, es wurde enormes Material erbeutet und Gardetruppen geschlagen. Das hätte nicht passieren dürfen und ist für Russland eine unglaubliche Katastrophe. Wie auch immer der Plan für das weitere russiche Vorrücken auf Sloviansk gewesen sein mag, damit ist jetzt erstmal Schluss. Seitdem ist die Ukraine am Zug und Russlands Nordflanke wackelt.
11. Die Gegenoffive bei Kherson wurde lange gehyped, bis sie jetzt endlich erfolgreich abgeschlossen wurde. Das Ausmaß der russischen Niederlage ist noch nicht erkennbar, aber selbst wenn alle Russen sich mit kompletten Matgerial zurückziehen konnten, ist das eine sehr deutliche Aussage über die Oberhand, die die Ukraine gerade ausspielt.
12. Im Seekrieg hat Russland die Schlangeninsel genommen. Dafür würde ich jetzt keinen Punkt vergeben, aber der Verlust der Moskva sowie die Rückeroberung der Insel ist mir durchaus einen Punkt für die Ukraine wert. Schon der Propagandawert rund um die Geschehnisse ist pures Gold.
13. Die Tatsache, dass die Ukraine weiterhin eine Luftflotte unterhält, ihren Luftraum verteidigt und gezielte Luftschläge gegen Russland ausführen kann, ist mir auch einen Punkt wert. Dass damit von Tag 1 an Schluss gewesen wäre, war meine volle Erwartung. Dass die Ukraine ihre Luftwaffe trotzdem weiterhin effektiv nutzt, ist ein Strich auf Russlands Schwarzer Liste.
Damit zähle ich 3,5 Punkte für Russland und 10 Punkte für die Ukraine. Das mag zuerst verblüffen, aber die Ukraine ist allem Recht nach die unterlegene Partei, dass sie noch steht und erfolgreich kämpft muss ja eigentlich auch auf mehr Punkte auf ihrer Seite zurückzuführen sein. Hab ich was vergessen oder war ich zu großzügig?
Achja: ich rechne mit einer Neuordnung der Kräfte aus Kherson auf beiden Seiten, gefolgt von neuen Frontbewegungen. Ein Artillerieduell auf einer 1000km oder so langen Front halte ich für weniger wahrscheinlich.