Ich beneide euch ja alle für euer klares Weltbild.
Die eine Hälfte findet, der Putin ist ein fieser Mörder, der widerrechtlich einfach so in andere Länder einmarschiert.
Die andere Hälfte findet, die Nato sei ein imperialistischer Schweineladen, die seit Jahrzehnten eine Invasion gegen die Ex-Sowjetunion führen, und jetzt wehrt sich halt zum ersten Mal jemand.
Ich vertrete hier, wie üblich, die Position, die im bisherigen Diskurs unterbelichtet ist. Diese Position ist nicht, dass Putin im Recht ist, oder dass das OK ist, was er tut. Diese Position ist, dass Putin das nicht in einem Vakuum macht, sondern dass der Westen ihm systematisch die anderen Optionen weggenommen hat.
Euer Völkerrecht ist ja schön und gut, aber das Völkerrecht hat dem Irak nicht geholfen, als die Amis kamen. Hat Israel nicht geholfen, als Ägypten kam. Hat Jugoslawien nicht geholfen, als die Nato kam. Ihr dürft nicht vergessen, dass die Russen sich noch an den 2. Weltkrieg erinnern, der auf ihrem Grund und Boden stattfand, während die Amis aus der Ferne Soldaten schickten. Die Russen haben noch ganz andere Erinnerungen daran, wie sich ein Krieg zuhause anfühlt. 27 Millionen Sowjetbürger kamen im 2. Weltkrieg um.
Dasselbe Sicherheitsbedürfnis, dass es euch wünschenswert erscheinen lässt, zur Stabilitätssicherung die Nato nach Osten zu schicken, besonders wenn die Länder das freiwillig wollen, das haben auch die Russen, aber in die andere Richtung.
Wäre das nicht am besten, wenn einfach alle der Nato beiträten? Die Nato schafft dann Frieden. Hey, lasst doch einfach Russland der Nato beitreten, dann können wir zusammen Militärübungen machen und niemand bedroht irgendjemanden!
Jetzt ist glaube ich der richtige Zeitpunkt, nochmal daran zu erinnern, dass
Putin versucht hat, Russland der Nato beitreten zu lassen. Und die Nato hat gesagt: No, fuck you.
Damit hat die Nato sich leider alle Argumentationslinien zerschossen, die ihr gerade bringt. Die Nato bringt weder Stabilisierung noch Frieden. Die Nato dient dem Einkesseln des Russen.
So und jetzt erzählt mir mal, wie ihr euch fühlen würdet, wenn eine Organisation, die euch als praktisch Einzigen explizit nicht reinlassen will, über Jahrzehnte der Reihe nach alle eure Nachbarn übernimmt und bei denen Selbstschussanlagen installiert. Und dann einen auf Friedensrhetorik macht, wenn ihr nervös werdet.
Russland hat es erst mit Beitritt, dann mit Frieden versucht.
Ich sage nicht, dass Krieg gerechtfertigt ist. Aber verstehen, wie es dazu kam, kann ich.
Leute, die Putin was von Wertegemeinschaft und Frieden erzählen, nachdem sie seine Nachbarn gegen ihn in Stellung gebracht haben und gemeinsame Kriegsübungen vor seiner Haustür machen, kann ich überhaupt nicht ernst nehmen.
Ich persönlich bin philosophisch ein Pazifist und würde lieber noch eine Wange hinhalten. Lieber dafür sorgen, dass es niemand einen Grund für Krieg gegen mich hat und dass es sich wirtschaftlich niemand leisten kann. Es wurmt mich zutiefst, dass meine Seite stattdessen Provokation und Kriegstreiberei macht, weil sie hoffen, dass Russland zu schwach ist, um sich zu wehren. Ich werde hier gerade von meinem Land in die Rolle von einem Bully gezwungen und das finde ich überhaupt nicht hinnehmbar.
Ihr tut alle so, als habe der Putin hier unilateral einen Speer rausgeholt und ihn auf uns gerichtet. Aus Putins Sicht ist das unser Speer, der seit Jahren immer tiefer in sein Fleisch eindringt. Er hat nur die Richtung ein bisschen geändert. Das Unwohlsein, das ihr gerade spürt, dass es zu Krieg kommen könnte und Menschen sterben müssen, das haben die Russen
die ganze Zeit schon. Vielleicht solltet ihr mal die nötige Empathie aufbringen, euch jetzt hier nicht als Opfer zu sehen, sondern zu realisieren, dass der Druck hinter dem Speer die ganze Zeit schon von eurer Seite kommt.