Da wiederholst du jetzt einfach nur das Extrembeispiel von oben und tust so als gäbe es allgemein keine Abstufungen sondern immer nur 0 und 1. Aber es gibt z.B. 1 (Plausibelste Position), 0,5 (ein Logiksprung irgendwo aber nicht komplett verstrahlt oder leicht anderes Wertesystem) und 0 (Faschismus ist toll heil putin, ich würde gerne Ukrainer mit meinem Messer skalpieren)
Das war erst mal nur ein Gegenbeispiel für die Behauptung, man könne falsche Ausgewogenheit nur auf naturwissenschaftliche Themen anwenden. Ich wollte nicht sagen, dass die Brief-Unterzeichner mit Faschisten vergleichbar sind oder so. Gerade bei dem Themer finde ich den Vergleich mit falscher Ausgewogenheit treffend. Im Vergleich dazu war die Corona-Diskussion ja sogar fast heilsam: Da wurden Leute wie Streeck oder Aschenberg-Dugnus eingeladen, deren Argumente letztendlich auf "wir müssen mit dem Virus leben lernen" hinaus liefen, aber nicht jemand wie Sucharit Bhakdi, der halt einfach behauptet das Virus sei eigentlich kein Problem. Insofern gibt es über die Werte keine Übereinstimmung, aber über die Fakten größtenteils schon. Bei den Unterzeichnern dieser Aufrufe kommt es mir aber vor, als wäre das Gegenteil der Fall: Über die Werte herrscht Klarheit, alle wollen das Beste für die Ukraine, nur streitet man sich über die Fakten, wie das erreicht werden kann. Da finde ich das Argument aber dann näher an 0 als an 0,5, einfach weil NIE jemand erklärt, warum "wann sollte die Ukraine aufgeben?" eine Frage ist, die Deutschland entscheiden soll und nicht die Ukraine. Das einzige Argument, das ich je von einem dieser Leute dazu gehört habe, war Guerot, die mehr oder weniger ultra-individualistisch argumentierte und der Ukraine vorwarf, Männer in den Kriegsdienst zu zwingen und die Schwächsten der Gesellschaft dazu zu verdammen, ohne eigene Mitsprache von dem Krieg terrorisiert zu werden. Da muss man allerdings nicht unbedingt promovierter Sozialwissenschaftler sein um zu merken, dass ein Staat, der unter dieser Prämisse handelt, nie in der Lage sein wird sich selbst zu verteidigen, weil es bis auf die wenigen Mackias der Welt für die meisten Leute eine gewisse Art von Zwang braucht, bevor sie für ihr Land in den Krieg ziehen.
Btw: Ich hätte ja gerne deine Zuversicht, dass sich "das bessere Argument" durchsetzt. Imho zeigt das Internet deutlich, dass es eine nicht zu vernachlässigende Minderheit der Bevölkerung gibt, die lieber glaubt was sich richtig anfühlt und der man am besten damit begegnet, offensichtlich falsche Behauptungen so weit wie möglich zu marginalisieren.
Weil es offensichtlich ist, dass diese komplett unmoralische Positionen vertreten, korrekt. Analog möchte ich auch keine Leute überrepräsentiert sehen, die z.b den USA die Schuld am Krieg geben oder die Aufgabe der Ukraine a la Precht fordern.
Aber man kann auch im Spektrum der skeptischen Meinungen differenzierter argumentieren anhand z.b. folgender Fragen, die eigentlich dringend geklärt werden müssen, z.b.
- Bis wohin sind wir effektiv bereit und auch moralisch verpflichtet,die Ukraine zu unterstützen? In welchem finanziellen Umfang, wie viele Waffen?
- welche Belastungen sind wir dafür bereit zu tragen? Energiesparen ok, wirtschaftlicher Abschwung, wenns Gas ganz ausbleibt; bis zu welchem Punkt?
-was sind unsere strategischen Interessen?
Daraus dann folgend schlußendlich: bis zum erreichen welcher Kriegsziele unterstützen wir? Das Scholzsche “ Russland darf nicht gewinnen, die Ukraine nicht verlieren“ ist herrlich unpräzise. Bis zur Rückeroberung Stand 24.02? Bis zur Rückeroberung Stand vor 2014?
Ich finde es gibt eine Positionen aus dem “Gegenlager“ über die sich zu sprechen lohnt und was auch dringend notwendig wäre jenseits von Prechts Unsinn.
Aus genuinem Interesse: Fallen dir auf die Schnelle Leute ein, die man dazu einladen könnte? Mir kommt es vor als wären die meisten Unterzeichner dieser Aufrufe gegen Waffen-Lieferungen Leute, die sich selbst in der Rolle des Nonkonformisten sehen und ansonsten alle dieselbe eine große, aber irgendwie nicht zuende gedachte Idee haben, wie man den Menschen in der Ukraine am besten hilft. Wenn ich dann höre, dass Leute wie Harald Welzer, denen du die Kriegsdienstverweigerung schon am Haarschnitt ansehen kannst, über militärische Strategie und die Erfolgsaussichten der Ukraine zur Rückeroberung von Gebieten schwadronieren, kommt es mir dann doch eher hoch. Mit fallen auf die Schnelle aber auch keine Beispiele für Leute ein, die sich ernsthaft mit den Fragen aus deinem Post beschäftigen und zu ähnlichen Handlungsempfehlungen kommen.
Gerade neulich war im Spiegel eine Erwiderung auf Fücks, da hat Hartmut Rosa (dessen Kram ich sonst gerne lese) allen Ernstes mit der Umweltproblematik argumentiert, warum der Krieg beendet werden soll, dazu noch unter der völlig unrealistischen Prämisse, dass die Teil-Ukraine (und Moldau und Georgien) dann direkt in die NATO aufgenommen werden müssten, damit garantiert wird dass Russland nicht einfach bei der nächsten Gelegenheit weitermacht. Wenn selbst vernünftige Leute nach solchen Strohhalmen greifen ist mir nicht klar, wen man zu dem Thema überhaupt einladen könnte, um die Gegenseite zu vertreten. Und ich persönlich vermute moralisch sind wir sowieso auf verlorenem Posten mit unserem seltsamen "wir liefern der Ukraine Waffen (aber auch nicht so viele), während wir weiter von Russland Gas kaufen" auf verlorenem Posten. Ich hatte vor einer Weile einen Freund gefragt, den ich aus der Grad School kannte, was denn die politische Theorie in (Form von just war-Theoretikern) zu der Frage zu sagen hätte und mir scheint, da wäre die Bewertung ziemlich eindeutig: Nur wenn die Ukraine gar keine Chance hätte sich zu verteidigen wäre es moralisch zu rechtfertigen, ihnen Waffenlieferungen, die sie wollen und die wir erfüllen könnten trotzdem zu verweigern. Der Zug ist allerdings längst abgefahren scheint mir, dafür hätte die Ukraine im Februar zusammenbrechen müssen.