Wir müssen reden. Über Tom Buhrow.
Ja, die gesamte Debatte um #Omagate, #Umweltsau und #Nazisau ist verstörend, ermüdend, zermürbend und im Wesentlichen völlig bescheuert. Und nein, es ist noch nicht alles gesagt. Es ist bei Weitem noch nicht alles gesagt.
Nachdem sich Tom Buhrow, Intendant des WDR und baldiger ARD-Vorsitzender, erst heldenhaft und voller Rückgrat von dem Satire-Lied eines Kinderchors distanziert hat, bekräftigte er nun seine Kritik mit der Frage, was wohl gewesen wäre, wenn die Kinder anstelle von “Oma” von “Ali” gesungen hätten [1]. Bei dem bisherigen Diskursverlauf sind wir wohl nur noch eine Woche davon entfernt, dass Tom Buhrow der Bild-Zeitung erklärt, der Kinderchor sei nur ein Vogelschiss in über 1.000 Jahren erfolgreicher ARD-Geschichte gewesen.
Das Traurige an diesem Oma-Ali-Rechtfertigungsunfall ist leider: Er stimmt nicht einmal. Gerade der öffentliche Rundfunk war in der Vergangenheit beeindruckend konsequent damit, rechte Grenzüberschreitungen zu verteidigen und linke Meinungsäußerungen im Nachgang zu bedauern und zu löschen.
Beispiele:
- Als während eines Interviews mit Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble ein Kameramann mit einer Jacke der Punkband Slime zu sehen war, reagierte das ZDF umgehend auf die Kritik der AfD [2] und bedauerte öffentlich, dass dieser Aufdruck zu sehen war [3].
- Als während einer Folge der Serie “Polizeiruf 110” an der Bürowand der linken Filmfigur ein “FCK AFD”-Aufkleber zu sehen war, reagierte das NDR Fernsehen umgehend auf die Kritik der AfD, sprach von einem Versehen und retuschierte den Aufkleber für weitere Ausstrahlungen weg [4].
- Als während der WDR-Sendung “live nach neun” ein Kaffee-Experte mit dem T-Shirt-Aufdruck “Barista, Barista! Antifascista!” zu sehen war, reagierte der WDR umgehend auf die Kritik der rechtsextremen und AfD-nahen Organisation “Ein Prozent” und retuschierte das T-Shirt für weitere Ausstrahlungen weg [5]. Es dauerte nicht lange bis dem WDR auffiel, dass der T-Shirt-Spruch satirisch gemeint und völlig unpolitisch war, sodass die Verantwortlichen ein zweites Mal ihren Fehler bedauern und das T-Shirt wieder in die Mediathek hineinretuschieren mussten.
- Als während der Übertragung eines AfD-Parteitags auf PHOENIX ein Gerätekoffer mit den Worten “Say no to racism”, “Schöner Leben ohne rechten Hass” oder “Bunt statt braun” zu sehen war, reagierte phoenix umgehend auf die Kritik der AfD und bedauerte öffentlich, dass dieser Aufdruck zu sehen war [6]. Was genau an einem Aufkleber zu bedauern ist, der Rassismus und Hass verurteilt, konnten die Verantwortlichen allerdings nicht konkret benennen.
Erst gestern schrieb ich, dass “Asylkritiker” und “besorgte Bürger” einen besonders kurzen Draht in die Chefredaktionen der öffentlich-rechtlichen Sender hätten [7]. Dabei soll nicht unterschlagen werden, wie exklusiv er auch ist. Es ist nämlich bei weitem nicht so, dass die Verantwortlichen des öffentlichen Rundfunks auf jede Art der Kritik mit Einsicht, Bedauern und Löschung reagieren.
Beispiele:
- Als Frank Plasberg mit Uwe Junge einen Politiker der AfD einlud, kritisierte sogar der Rundfunkrat, dass dem rechtsradikalen Studiogast zu viel Zeit eingeräumt wurde [8]. Tom Buhrow hingegen stellte sich hinter Plasberg und verteidigte die Einladung [9].
- Als Frank Plasberg in seiner Sendung “Hart aber Fair” eine Gesprächsrunde mit “Heimat Deutschland - nur für Deutsche oder offen für alle?” [10] betitelte, verteidigte der WDR Plasberg mit den Worten: “Die Diskussion zeigt, wie kontrovers das Thema “Heimat” wahrgenommen wird. Genau diese Diskussion wollen wir mit unseren Gästen in der Sendung führen und abbilden” [11].
- Als der Kabarettist Uwe Steimle mit Verschwörungstheorien, Antisemitismus und Rechtspopulismus von sich reden machte[12] und mit einem “Kraft durch Freunde” T-Shirt posierte [13], verteidigte der MDR Steimle mit den Worten “Uwe Steimle ist Kabarettist und Satiriker. In den Sendungen, die der MDR mit ihm als freiem Mitarbeiter produziert, achten wir darauf, dass seine Satire auch als solche erkennbar ist” [14].
- Als der Kabarettist Dieter Nuhr über mehrere Sendungen hinweg die 16-jährige Greta Thunberg beleidigte, verteidigte das rbb Fernsehen Nuhr mit den Worten: “Satire ist aus unserer Sicht nicht zuletzt dann relevant, wenn sie aneckt, Widerspruch auslöst und polarisiert. Dieter Nuhr buhlt nicht um Zustimmung und hält deshalb, ebenso wie sein Sender, Widerspruch aus.” [15].
Gerade diese unerträglich überhebliche Selbstbeschreibung, wonach Satire anecken und polarisieren solle und öffentlich-rechtliche Sender nicht um Zustimmung buhlen, sondern Widerspruch aushalten würden, erscheint angesichts des Duckmäusertums der vergangenen zwei Tage, wie eine eigene Form der Satire.
Was glaubt Tom Buhrow eigentlich, welches Bild er als Intendant vermittelt, wenn er ausgerechnet in einer Zuschauersendung (!) anruft, um vom Krankenbett seines Vaters aus in den Telefonhörer zu tröten, sein Papa sei nun wirklich keine Umweltsau, weil er sein Leben lang hart gearbeitet habe. Angesichts der Tatsache, dass das Lied von Omas und nicht von Opas handelt, Tom Buhrows Vater (hoffentlich) nicht Tom Buhrows Großvater ist, man selbstverständlich sein ganzes Leben lang hart arbeiten und trotzdem die Umwelt verwüsten kann, ist man erstaunt wie ein Mann mit einer derartigen Lesekompetenz es an die Spitze des WDR geschafft hat.
Immerhin hat es nur wenige hunderte Nazis gebraucht, die vor den Privatwohnungen und Redaktionsbüros der WDR-Journalisten aufmarschierten, bis sich Tom Buhrow dazu aufgerafft hat ein 1-minütiges Video auf Twitter hochzuladen, wo er sich ernsthaft noch einmal (!) von dem Video distanziert, in einem lauwarmen Halbsatz seine Mitarbeiter in Schutz nimmt und anschließend 27 von 60 Sekunden darüber lamentiert, “was eigentlich mit unserem Land los ist, dass ein missglücktes Video zu Morddrohungen führt?” [16].
Äm ja.
Nun muss man Tom Buhrow zugute halten, dass ihn die Angriffe auf seine Journalistinnen und Journalisten scheinbar ernsthaft schockieren und erschüttern. Das wiederum macht es eigentlich nur noch alles schlimmer, weil man sich fragen muss, auf welchem Planeten der Journalist Tom Buhrow die vergangenen 20 Jahre verbracht hat. Orchestrierte Angriffe von Rechtsextremen und Neonazis auf Journalisten sind seit Jahrzehnten an der Tagesordnung und leider trauriger Alltag für alle, die ins Visier der Nazis geraten.
Beispiele:
- Im Jahr 2006 berichtet Andrea Röpke für die Bundeszentrale für politische Bildung (bpb) beispielhaft davon, wie sie bei Ihrer Arbeit von Neonazis bedroht und verprügelt wird [17].
- Im Jahr 2012 häufen sich die rassistischen Kommentare, Zuschriften und Leserbriefe an Journalisten mit Migrationshintergrund derart, dass Mely Kiyak, Yassin Musharbash, Deniz Yücel, Özlem Topçu, Hasnain Kazim und Özlem Gezer beschließen mit einer “Hate Poetry” auf Tour zu gehen und die Leserbriefe einem Publikum vorzulesen [18].
- Im Jahr 2018 entkommen zwei Journalisten schwer verletzt einem Neonazi-Angriff mit Schraubenschlüsseln und Messern, als sie die Vorbereitungen einer Nazidemo dokumentieren [19]. Der Angriff hätte tödlich enden können.
Und dann sind da noch die Morddrohungen gegen Journalisten wie Georg Restle [20], Dunja Hayali [21] und Anja Reschke [22], die die Bedrohungslage durch den rechten Mob seit Jahren wie ein Hintergrundrauschen ertragen. Oder das weiße Pulver, das man Journalisten des WDR zuschickte, die sich schwerpunktmäßig mit Rechtsextremismus befassen [23].
All diese Kollegen sind auf den Schutz und die Unterstützung ihres Arbeitgebers angewiesen, allen voran der Chefredakteure und Intendanten. Wenn allerdings der Eindruck entsteht, dass die Senderverantwortlichen beim leisesten Hauch von rechts einknicken wie Strohhalme, wenn der zukünftige ARD-Chef in zwei Tagen Mediensturm kein vernünftiges Wort der Rückendeckung herausbekommt, wenn der WDR immer und immer wieder betonen muss, dass dieser oder jene Mitarbeiter "nur" ein freier Redakteur sei, ist der öffentlich-rechtliche Rundfunk in seinen Grundfesten morsch. Und das wäre schlecht für die Demokratie und letztlich für uns alle.
Ich hoffe, dass noch nicht alles gesagt und das letzte Wort noch nicht gesprochen ist. Die Hoffnung stirbt bekanntlich zuletzt.
Die Wahrheit hingegen stirbt zuerst.