Etwa 98 Prozent aller Texte, die man zum Fall Tönnies lesen und hören durfte, befassten sich damit, ob die Äußerung des Unternehmers "rassistisch" gewesen sei, was angeblich die Mehrzahl der Deutschen für erwiesen hält. Von ihnen meinen wiederum die meisten, das sei schrecklich, eine doofe Minderheit freut sich, weil Tönnies die rassistische Wahrheit gesagt habe. Leider hat man aber vergessen zu erklären, was man mit dem Wort inhaltlich meint und wo genau der Rassismus in Tönnies' Satz denn eigentlich steckt. Man sollte also einmal fragen, ob sich neben selbsttragender Sprach-Erregung auch ein Inhalt finden lässt.
Für einen amtlichen "Rassismus" braucht man als Grundvoraussetzung auf jeden Fall eine "Rasse", zumindest eine eingebildete. Das schafft sogar das Grundgesetz, das in Artikel 3 Abs. 3 Satz 1 an den absurden Begriff anknüpft: "Niemand darf... wegen seiner Rasse benachteiligt werden." Ein schauriger Gruß aus der Vergangenheit, inzwischen selbst ein rassistisches Ärgernis. Bei Tönnies findet sich kein solcher Hinweis: "Die in Afrika" ist beim besten Willen keine "Rasse". Und falls man sprachlich korrekt "Ethnie" denkt, stößt man in Afrika auf hundert große und Tausende kleinere, mit etwa 2000 Sprachen.
Die Empörten mutmaßen in wundersamen sprachlichen Verrenkungen, dass Tönnies' Opfer da zu suchen sind, wo Holzfäller und Kinderkrieger wohnen und Kraftwerke fehlen. Aber laut und deutlich verraten sie selbst uns die diskriminierte "Rasse" nicht. Da Tönnies keine genannt hat, müssten sie sie nämlich selbst bestimmen. Und das wäre eine Offenbarung der eigenen Fantasie.
Hier kommt uns einmal mehr der "Rorschach-Test" in den Sinn und gerade recht. Das ist bekanntlich eine Untersuchung, bei welcher der Proband spiegelbildliche Zufallsbilder ('Klecksbilder") deutet. Der Sinn besteht nicht darin, eine "richtige Lösung" zu finden, sondern überhaupt eine Assoziation zu produzieren. Es kommt nämlich jeweils als "Erkennen" heraus, was im Kopf des Probanden schon drin war, angereichert mit bewussten und unbewussten Reaktionen auf die Befragungssituation, zum Beispiel der Vermutung darüber, welche Assoziation als "gut" und welche als "schlecht" angesehen werden könnte. Die Erkenntnis, dass es ungünstig sei, wenn man auf allen Rorschach-Tafeln immer nur kopulierende Schweine oder abgehackte Köpfe erkennt, hat sich bis auf die Humorseiten der Fernsehzeitschriften verbreitet.
Man kann nun, bildlich gesprochen, die Afrikaner-Äußerung von Herrn Tönnies als eine Rorschach-Tafel ansehen und die Empörung der Antirassisten als die von Patienten produzierte Deutung. Der bloße Wortlaut der Äußerung ist ja nicht mehr als ein "Klecks": Die Ansicht, Afrikaner sollten weniger Bäume fällen, könnte einem Gelsenkirchener Fußballfreund ja an sich egal sein und einer Viernheimer Justizministerin ebenfalls. Und zu sagen, Afrikaner sollten im Dunkeln weniger Kinder machen, ist zwar auch bei Licht betrachtet nicht katholisch, aber jedenfalls so lange nicht rassistisch, wie man das Ziel des Vorschlags nicht kennt.
Und das Ziel von Tönnies ergibt sich aus dem Zusammenhang: Er forderte nicht, die Zahl der Afrikaner solle wegen der Minderwertigkeit ihrer "Rasse" verringert werden, sondern schlug eine Maßnahme vor, die für sie zu einem besseren Lebensstandard und dadurch zu ökologisch sinnvollem Verhalten führen würde: Wer "elektrifiziert" ist, braucht - aller Zivilisationserfahrung nach - weniger Kinder und weniger Holz aus dem Wald. Der Vorschlag mag in der Sache so unzureichend sein wie die in Berlin produzierten Vorschläge zur Rettung des deutschen Autoverkehrs in den schneesicheren Skiurlaub. "Rassistisch" ist er dadurch nicht.