Wollte dazu btw nochmal was sagen. Ich habe gestern "Anne Will" zu dem Thema gesehen und ich muss sagen, die Art wie über dieses Thema in Deutschland diskutiert wird ist so verquer, dass man sich echt nur an den Kopf fassen kann. Da wird bestimmt mehr als die Hälfte der Sendezeit darüber schwadroniert, was es für den deutschen Diskurs bedeutet, wenn "Antisemitismus" keine Konsequenzen hat, ob Aiwanger sich jemals antisemitisch geäußert habe (nein), ob die jüdische Gemeinde seine Entschuldigung annehmen sollte und dann durfte auch noch Marina Weisband, offensichtlich als Exponentin der Betroffenengruppe (Jüdin) ihre Platitüden zu dem Thema absondern.
Und jetzt kommt der Clou: Nichts davon, was in dem Pamphlet steht, ist explizit antisemitisch. Ist es bedenklich, dass jemand Auschwitz so trivialisiert, welches so nicht existiert hätte wenn die Nazis nicht einen Ort für die industrielle Ermordung von Juden gebraucht hätten? Sicher. Aber die Stoßrichtung des Pamphlets hat mit Juden überhaupt nichts zu tun. Man muss sich im Grunde genommen schon dumm stellen, um nicht zu sehen, dass es nicht um Juden geht. Es geht um "Linke" (oder was man im Jahr 1988 im ländlichen Bayern für "links" gehalten hat). Das Problem sind nicht "die Juden", das Problem ist dass die "Erinnerungskultur" um die Verbrechen an ihnen einer bestimmten Art von Politik im Weg steht, die die Rechten aller anderen Länder machen können, die Rechten in Deutschland aber nicht. Warum sollte sich ein bayerischen Bauernlümmel ernsthaft an einer niedrigen fünfstelligen Zahl Juden im damaligen Westdeutschland stören? Ich verstehe ernsthaft nicht, wie man diese völlig offensichtlichen Tatsachen nicht benennen kann und empfinde es ehrlich gesagt auch als störend, weil es viele ernsthafte Diskurse darüber, was an rechten Gesinnungen problematisch ist, völlig überlagert. Was an dem Pamphlet problematisch ist ist weniger der weitestgehend konstruierte Antisemitismus und viel mehr der "wer Deutschland nicht liebt, soll Deutschland verlassen"-Duktus, mit dem Rechte (bis zu den Nazis auch in Deutschland, seither im Ausland) sich immer wieder als Gralshüter aufgespielt haben, mit welchen Meinungen man noch zum kohärenten Volkskörper gehören kann und mit welchen man schon ein Verräter an ebenjenem ist.
Damit meine ich btw natürlich nicht, dass ich wegen eines ziemlich dummen Aushangs von vor 35 Jahren glaube, dass Aiwanger heute so denkt. Das ist auch überhaupt nicht der Punkt. Aber man könnte schon ein bisschen erwachsener über dieses Thema diskutieren als alles zwingend in das Gravitationsfeld "Antisemitismus" (der niemals okay ist) abrutschen zu lassen, während man über andere (in diesem Fall viel einschlägigere) Fragen gar nicht erst diskutiert. Selbiges fällt mir immer wieder auf, wenn über die AfD geredet wird: Da wird so häufig von "Antisemitismus" geredet, obwohl der maximal für einzelne Querulanten aktenkundig ist. Was soll sowas?