Das ist ziemlich genau, was ich meine. Ich hatte Mathe im Nebenfach in Deutschland und als ich in den USA gesehen habe wie sie das Mathestudium aufziehen bin ich fast hinten über gefallen, was dort die Anforderungen für einen "math major" sind. Als ich in Princeton war habe ich ein paar upper-level Kurse für Undergrads mitgenommen und hatte die Gelegenheit mich mit denen zu unterhalten und du brauchst irgendwas zwischen acht (!) und zwölf Mathekurse (einmal Real Analysis, einmal Complex Analysis, einmal Geometrie oder Topologie, einmal Algebra und dann noch vier bis acht Kurse der eigenen Wahl) für Mathe im Hauptfach. Die Kurse sind nicht per se einfach (es gibt tatsächlich auch unterschiedliche "Geschwindigkeiten"), aber würde jetzt nicht sagen dass sie im Schnitt schwerer sind als die deutschen Unikurse. Und die amerikanische Wirtschaft bricht offensichtlich nicht unter dem Druck zusammen, dass dort Leute mit acht Kursen einen Bachelor in Mathematik von einem der angesehensten Mathe-Departments der USA bekommen. Und die Durchfallquoten sind auch keinesfalls 40% (und es ist keineswegs so als gäbe es dort nicht auch eher nicht so helle Leuchten).
Ich denke, die meisten deutschen Mathematiker würden fragen, warum jemand überhaupt Mathematik studiert, wenn er sich nicht wirklich für Mathematik interessiert und mit einer rigorosen Präsentation des Stoffs überfordert ist. Ein bisschen kann man das wohl rechtfertigen, da es inzwischen ja durchaus einige Studiengänge gibt, die viel Mathe enthalten, aber nicht den Anspruch auf eine vollständige mathematische Ausbildung erheben. Bei uns gabs z.B. einen MINT-Studiengang, in dem man sich auch auf Mathe spezialisieren konnte. Diese Leute hatten dann die Möglichkeit, entweder den Mathe-Vorlesungen für Mathematiker zu folgen oder denen für Physiker oder Ingenieure - didaktisch ist der Unterschied imo nicht groß, aber gerade die Ingenieurskurse sind in Anspruch und Tiefe deutlich zugänglicher.
Die Frage sollte ja sein: Wie bringen wir möglichst vielen Studenten möglichst viel Mathe bei? (Im Rahmen dessen, was sinnvoll ist.) Obwohl ich das US-System zu wenig kenne, um wirklich vergleichen zu können, ist mein oberflächlicher Eindruck, dass die einen sehr viel besseren Job darin machen, den Studenten einen sanften und didaktisch adäquaten Einstieg in die Mathematik zu ermöglichen.
Das Ärgernis am deutschen System ist imo zweierlei: Einerseits vergeudet man das Potential vieler Studenten, die bereits zu Anfang vergrault werden. Andererseits löst man nicht mal den Anspruch für diejenigen ein, die bleiben. Die Kenntnisse eines deutschen Mathe-Bachelors/Masters sind zwar auf dem Papier beeindruckend, aber die systematische Überforderung führt regelmäßig dazu, dass die Studenten überhaupt keine Gelegenheit haben, den Stoff wirklich zu durchdringen. Ich hab darum Studienanfängern immer geraten, am Anfang nur zwei, statt der geforderten drei Vorlesungen zu hören, und nicht direkt auf die Regelstudienzeit zu schielen.
Was man eigentlich bräuchte, wäre imo:
-Regelstudienzeit auf vier Jahre anheben,
-Einstiegsveranstaltungen auf verschiedenen Niveaus anbieten, die die Studenten abholen,
-spezialisiertes Lehrpersonal mit didaktischer Eignung einstellen.
Im Grunde ist es fast lächerlich, dass das so unmöglich ist. An der finanziellen Ausstattung mangelt es den meisten mathematischen Instituten nicht. Der Wert erfolgreicher MINT-Ausbildung ist allgemein anerkannt. Für Lehrpersonal hätte man imo ausnahmsweise mal keinen Fachkräftemangel, weil Lehre an Universitäten deutlich attraktiver ist als an Schulen. Leider sind die Beharrungskräfte in der Realität enorm.