Was du da beschreibst ist ureigenste Aufgabe des Gerichts und das hat ja noch gar nicht entschieden. Kann ja gut sein, dass sie es so wie du sehen. Der Nachweis der Kausalität zwischen Handlung und Taterfolg, ist jedenfalls konstitutive Voraussetzung für jede Verurteilung.
Na ja, so einfach kannst du es dir in diesem Fall nicht machen. Das Problem an dieser Fallkonstellation ist, dass der BGH dazu in einer Revision eines Urteils aus dem ersten Auschwitz-Prozess in Frankfurt aus dem Jahr 1969 geurteilt hatte, dass "jedem einzelnen ein konkreter Tatbeitrag zu einer Tötung nachgewiesen werden [müsse], nur dann sei eine Verurteilung möglich." Das ist auch mutmaßlich, warum Staatsanwaltschaften die längste Zeit überhaupt nicht erst versucht haben, KZ-Mitarbeiter vom Typ "Rädchen im Getriebe" vor Gericht zu bringen. Das hat sich erst geändert, als ein Mitarbeiter bei der "Zentrale Stelle der Landesjustizverwaltungen zur Aufklärung nationalsozialistischer Verbrechen
" durch Zufall von Amerikanern von Demjanuk hörte* und dann entschieden hat, ein Verfahren gegen ihn anzustrengen. Die Verurteilung durch das LG München wegen "funktioneller Beihilfe" war die Initialzündung für die späteren Prozesse (Demjanuk starb, bevor der BGH abschließend über seinen Fall urteilen konnte, aber Oskar Grönings Verurteilung wurde vom BGH bestätigt und damit die frühere Linie revidiert). Nach der aktuellen Rechtsprechung muss man nun nicht mehr an konkreten Tötungshandlungen beteiligt gewesen sein sondern es genügt das "Eingespanntsein" in den "organisierten Tötungsapparat" der KZs.
ABER: Diese Linie entspricht keiner in der Wissenschaft genutzten Definition von Kausalität, nicht mal der stochastischen. Weder hat die Wissenschaft irgendwelche bahnbrechenden Sprünge bzgl. Kausalitätszurechnung gemacht, seit David Hume über Billardkugeln schwadroniert hat, noch werden die Geschichtswissenschaft in irgendeiner Weise Anhaltspunkte liefern†, dass das Funktionieren des Tötungsapparats im Allgemeinen oder die Tötung von irgendwelchen konkret benennbaren Personen im Besonderen von einzelnen angeklagten Personen abhängig gewesen wäre. Jemand, der nur ein "Rädchen im Getriebe" ist, keinen zurechenbaren Beitrag zu einer konkreten Tötungshandlung geleistet hat und problemlos jederzeit ersetzbar gewesen wäre (wie es bei Wachleuten und Schreibkräften mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit der Fall sein dürfte), ist, wie oben geschrieben, wenn Kausalität vorausgesetzt wird wirklich nur mit HÖCHSTER intellektueller Verrenkung mehr der "Beihilfe zum Mord" schuldig als etwa der Verkehrspolizist, der vorm RSHA steht und den Verkehr leitet, so dass Eichmann pünktlich im IV B4 am Schreibtisch sitzen konnte. Und wenn wir statt von Hunderttausenden nur von ein paar Dutzend oder auch nur einem oder zwei Morden reden, dann dürfte so gut wie jeder Deutsche in irgendeinem zumindest nicht völlig kriegsunwichtigen Beruf dieselben Voraussetzungen erfüllen. Ein Schelm, wer auf den Gedanken kommt, dass es extrem günstig für den BGH war, auf diese bahnbrechenden Einsicht bzgl. Kausalität erst zu kommen, als 99,9X% der potentiellen Täter längst tot oder senil waren.
*ironischerweise auf der Feier zum 50. Jahrestag der Behörde 2008, was einem eigentlich schon alles alles über die Behörde sagt, was man wissen muss
†haben sie bei Gröning übrigens auch nicht und es wurde auch gar nicht erst versucht
Die Alternative wäre gewesen, dass die stA gar nicht anklagt, weil sie nicht von einer hinreichenden Verurteilungswahrscheinlichkeit ausgeht. Aber warum soll sie das tun? Sie hat die Sache ja eindringlich geprüft und hat sicher einen etwas besseren Überblick über die Beweislage als wir und erhebt halt entsprechend Anklage.
Der Punkt ist nicht, dass ich glaube die Staatsanwaltschaft hätte nicht eindringlich geprüft, der Punkt ist dass eine Prüfung auf Kausalität wie ich sie verstehe schlicht nicht notwendig ist. Wenn du das bei allen Tätern so gehandhabt hättest wäre das wieder eine andere Frage gewesen, aber nur diejenigen zu belangen, die das Unglück hatten, steinalt zu werden, kommt mir jetzt auch nicht gerade wie ein Musterbeispiel für Gerechtigkeit vor. Wenn man diesen Maßstab allerdings bereits in der Nachkriegszeit angewendet hätte, wäre Deutschland mutmaßlich ein anderes Land geworden als das, was es heute ist.