Das liest sich jetzt wie die Entschuldigung eines Prüflings, der noch am Abend vor der Prüfung prokrastiniert, weil er die Wunschnote eh nicht erreichen kann ...
Ich behaupte mal niemand (außer vielleicht Luisa Neubauer?) würde einem Kanzler 2021 vorwerfen, dass er nicht 16 Jahre weitgehende Untätigkeit in Sachen Klimaschutz mal eben umkrempeln kann. Natürlich sitzen wir jetzt in der Tinte und ich persönlich sehe auch das 2-Grad-Ziel nicht mal am Horizont. Aber (wie übrigens schon in der Pandemie) denke ich diese Dinge nicht in erster Linie vom Ende her, sondern im Sinne eines best reasonable effort. Und den sehe ich leider derzeit auch nicht am Horizont und dafür - nicht dass wir irgendein quasi unerreichbares Ziel verfehlen - muss sich jeder politische Entscheidungsträger verantworten. Das trifft besonders die SPD, die 12 der letzten 16 Jahre mit regiert hat und sich dabei mitnichten als Vorkämpferin gegen den Klimawandel hervorgetan hat.
Selbst wenn, Stand 2021, die Grünen auch nicht genug tun würden, sehe ich die bspw. weitgehend entlastet, weil sie im Gegensatz zu quasi allen anderen bereits vor 20 Jahren bereit waren notwendige Schritte einzuleiten. Darum kann man ihnen - im Gegensatz zur SPD - kaum anlasten, dass wir jetzt einen enormen Rückstand aufholen müssen.
Na ja, ich will jetzt nicht behaupten dass die SPD sich da mit Ruhm bekleckert hat, aber ich finde es wird schon auch schnell mal vergessen, dass der Wirtschaftsflügel der Union durchaus hart verhandelt und die Union im Zweifelsfall ihre Zugeständnisse lieber bei der Symbolpolitik (Wehrpflicht, Atomkraft) macht als bei allem, was den armen Mittelstand beutelt, außer halt es geht gar nicht mehr anders (Mindestlohn). Ich will jetzt nicht sagen dass nicht auch ein bisschen mehr drin gewesen wäre, aber die Idee, dass in einer anderen Koalition bei gleichbleibenden Mehrheitsverhältnissen andere Parteien *viel* mehr gegen die Union durchgesetzt hätten erscheint mir ehrlich gesagt etwas illusorisch, zumindest ceteris paribus. Das zentrale Problem sind ihmo weniger die Parteien als die Wähler, für die das Thema lange einfach eine sehr untergeordnete Rolle gespielt hat.
Und das ist genau, was mich auch bei Neubauer stört: Sie scheint das ernsthaft nicht zu verstehen, aber wie wir ja gerade gesehen haben wischt die nächste Pandemie oder die nächste Wirtschaftskrise das Thema schlicht wieder eine ganze Weile vom Tisch, wenn die Leute Angst um Gesundheit und/oder Arbeitsplatz haben. Abstrakt sind Bürger gegen und für alles mögliche, interessant wird das erst wenn die tradeoffs gemacht werden müssen, mit denen sich die Politik halt rumschlagen muss. Und das wird nach der Wahl nicht anders sein. Man kann es ja alleine schon daran sehen, wie sich die Umfragen entwickelt haben: Zu keiner Zeit sind Wähler aufmerksamer als zur Bundestagswahl*. Wenn weder Grüne (noch, etwas weniger offensichtlich, die Linke) es schaffen, mit ihrem Thema jetzt zu punkten, weil die Kanzlerkandidatin bei ihrem Lebenslauf marginal übertrieben hat, dann ist die Unterstützung für dieses Thema einfach bei weitem nicht so tief wie wir uns das vielleicht wünschen würden. Nur weil 80+% sagen dass sie den Klimawandel gerne aufhalten würden heißt das halt erst mal gar nichts. Effektiv scheint es mir so sogar eher so zu sein, dass, seit das Thema Klimawandel wieder zentral in den Fokus gerückt ist nach den Überflutungen, keine der Parteien, die vergleichsweise harte Klimaprogramme geschrieben haben (Grüne und Linke) damit in irgendeiner Form haben punkten können. Das ist schlicht und ergreifend die Politische Ökonomie von fast allem: Wenn die Wähler nicht mehr von X fordern und der Forderung im Zweifelsfall durch Wahlverhalten untermauern, dann werden die Parteien selten X hochfahren, außer sie glauben selbst daran. Und ganz wie HG Maaßen nicht in die CDU eingetreten ist, damit Deutschland jetzt mit Arabern vollläuft, sind die allerwenigsten in die SPD eingetreten, weil sie sich so dringend um das Klima sorgen.
*will nicht sagen dass sie in absoluten Zahlen aufmerksam sind, es ist nur einfach das Beste, was sie zustande bringen
[edit]
Bin jetzt erst bei ner guten halben Stunde und sehe bisher eine Luisa Neubauer, die imo absolut essentielle Punkte macht und erst von Lanz mit "aber die Grünen!?" angegangen wird - hätte man (siehe oben) natürlich besser verteidigen können - und einen KK, der bei der Erwähnung der SPD-Klimasünden ins Schwimmen gerät.