Abu Yusaf, wie er sich nennt, ist einer der Sicherheitskommandeure Abu Bakr al Bagdadis, jenes Irakers, der sich zum Kalifen des „Islamischen Staats“ hat ausrufen lassen. Er gehört zu einem kleinen Kreis, der direkten Zugang zu al Bagdadi hat. Abu Yusaf ist einer seiner Kampfnamen. Weder sein richtiger Name noch seine Nationalität dürfen bekannt werden.
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Er selbst ist in einem Benelux-Land geboren und aufgewachsen. Im Alter von achtzehn Jahren ging er in den Irak, um unter Abu Musab al Zarqawi für Al Qaida zu kämpfen. Mit seinen 27 Jahren hat es Abu Yusaf weit gebracht innerhalb des „Islamischen Staats“, in dem er mit Frau und Kind lebt. Unser Wagen setzt sich in Bewegung. Es geht hinaus in die Nacht. Ohne Handy, Tasche, Ausweis und Uhr.
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Er saß von 2002 bis 2007 in Guantánamo in Haft, dann kämpfte er gegen Gaddafi. Später ging er nach Syrien, inzwischen hat er sich dem „Islamischen Staat“ angeschlossen. „Es zeugt doch von großer Ironie, dass die größten Hindernisse für unseren ,Islamischen Staat‘ - Gaddafi, Mubarak, Ben Ali und - so Gott will - bald Assad und die Herrscherhäuser von Bahrein bis Marokko - mit großer Hilfe des Westens erledigt werden“, sagt Abu Sufian. Die Destabilisierung der Regimes helfe dem „Islamischen Staat“, weiter Fuß zu fassen und zu rekrutieren. „Seitdem der ,Arabische Frühling‘ ausgerufen wurde, hat für uns der ,Islamische Frühling‘ begonnen.“
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Und der Westen hat die Fehler wiederholt, die schon in Afghanistan gemacht wurden, was die ehemalige amerikanischen Außenministerin Hillary Clinton dem Präsidenten Obama dezidiert vorwirft: Man habe radikalen Kräfte den Boden bereitet, weil man die gemäßigten Rebellen nicht entschlossen genug mit Waffen unterstützt habe.
Die Rechnung könnte noch viel fataler ausfallen. In Gesprächen berichten mir sowohl Anhänger der IS wie Vertreter arabischer Geheimdienste von vielen ehemaligen Kämpfern aus Libyen und auch der Freien Syrischen Armee, die von westlichen Geheimdiensten für den Kampf gegen die „Diktatoren“ trainiert und ausgerüstet wurden und dann - die Seite wechselten, zur IS. „Wir haben Brüder, die mit Unterstützung des Westens in Libyen gegen Gaddafi gekämpft haben, und auch welche, die zunächst bei der Freien Syrischen Armee waren, bevor sie sich uns anschlossen“, bestätigt Abu Yusaf. „Wir haben Brüder, die zum Beispiel bereits in Bosnien, Tschetschenien, Afghanistan, Libyen oder auch im Irak gekämpft haben.“ Er selbst habe unter Abu Musab al Zarqawi im Irak gekämpft, bevor dieser getötet wurde.
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„Wir erkennen die Grenzen in der islamischen Welt nicht an“, sagt Abu Yusaf. „Wir werden dafür sorgen, dass es sie bald nicht mehr gibt und alle Muslime unter der Sunna und der Flagge des ,Islamischen Staats‘ leben.“
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„Wir wissen, dass die Vereinigten Staaten uns angreifen werden, wir erwarten es. Aber natürlich wird jede Aktion eine Reaktion haben“, sagt er und hebt seine rechte Hand. „Wenn sie uns mit Blumen angreifen, dann werden wir sie auch mit Blumen angreifen, aber wenn sie uns mit Feuer angreifen, dann werden wir mit Feuer antworten, und zwar auch in ihrem eigenen Land.“ Die im Internet ausgestellte Ermordung des amerikanischen Journalisten James Foley scheint eine dieser Antworten zu sein.
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Einige Stämme in Mossul und Umgebung hätten Abu Bakr al Bagdadi aus Verzweiflung und Wut über ihre „Unterdrückung“ durch die Maliki-Regierung schon vor dem Einzug die Treue geschworen. Und was war mit jenen, die sich dem verweigerten? Da sei nicht lange gefackelt worden, sagt Abu Yusaf. Er und die Anhänger des „Islamischen Staats“ haben eine klare Vorstellung davon, wer überhaupt ein „Muslim“ ist und wie diese zu leben haben. „Uns geht es nicht nur darum, die ungläubigen Schiiten zu bekämpfen, sondern auch jene, die gegen uns sind. Da ist es egal, ob jemand Sunnit ist oder nicht“, sagt Abu Yusaf.
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Der Wagen, in dem wir sitzen, hält plötzlich an. Die Straßen sind leer, Abu Yusaf schweigt. Er öffnet das Fenster auf seiner Seite und holt tief Luft. Aus der Ferne ertönt der Ruf zum Gebet. „In Europa ist dieser Ruf in den meisten Ländern nicht erlaubt und ist der Islam auch nicht erwünscht“, sagt er und rückte seine Kappe zurecht. „Und dann predigen sie uns etwas von Religionsfreiheit und Menschenrechten, diese Heuchler.“ Die „islamfeindliche“ Stimmung in Europa und die Diskriminierung hätten ihn auf den „rechten Weg gebracht“, sagt Abu Yusaf. So sei es bei den meisten, die sich aus den Vereinigten Staaten und aus Europa aufmachten, um für das Kalifat zu kämpfen.