Gustavo
Doppelspitze 2019
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Interessante Antwort. Hier lasse ich mich gerne mal auf eine Flüchtlingsdiskussion ein und teile die Quotes auf.
Das heißt allerdings nicht, dass die dahinter stehenden Präferenzen nicht "real" sind, irgendwie sind sie es schon. Aber sie sind halt nicht rational, das ist leider tausendfach bewiesen. Es so zu sehen dass man sagt "ok, die Leute wollen halt nicht rational die beste Policy, deshalb wollen sie das Ziel dahinter auch nicht" ist so aber einfach nicht zulässig. Wie oben zu Heator eingewendet: Ihr geht alle immer davon aus, dass die Leute eigentlich auf eurer Seite sind oder es zumindest wären, wenn sie nur die tatsächlichen Zustände (viele Wirtschaftsflüchtlinge, viele alleinstehende Männer, wenige Familien etc.)* kennen würden, aber so einfach ist es halt nicht: Die Zustimmung im Sommer und Herbst 2015 war nicht weniger real als der Stimmungsumschwung in Winter 2016 und die generelle Apathie bzgl. des Themas jetzt ist nicht weniger real als die starken Meinungen damals.
Du hast absolut recht damit, dass das nicht nutzenmaximierend im engeren Sinne ist. Die Frage für mich war aber eher: War das politisch (normativ) wünschenswert oder nicht wünschenswert? Da weiß ich nicht, was die Betrachtung der Rationalität groß bringt, weil sie keine Antwort auf die Frage ist, nur weil der rationalste Weg zu H versperrt ist. Das heißt ja aber nicht, dass ein weniger effizienter Weg zu H nicht trotzdem einen größeren Nutzen darstellen kann als E, je nachdem wie hoch man die beiden Ziele jeweils gewichtet. Wenn du E auffächerst, hast du ja auch unendlich viele Wege, auf die du das Geld für die deutsche Bevölkerung ausgeben kannst und es fällt mir schwer zu glauben, dass der wahrscheinlichste Weg der rationalste Weg wäre: Ich nehme an die wahrscheinlichste Verwendung für eine zusätzliche Milliarde Euro in den Jahren 2015/2016 wäre gewesen, dass davon 900 Millionen zum Schuldenabbau aufgewendet werden. Nun wissen wir aber eigentlich alle, dass bestimmte Investitionen einen viel höheren ROI haben als Schuldenabbau, insbesondere in einer Niedrigzinsphase. Für dich mag das (u.A.!) das Antreiben der Digitalisierung in der Verwaltung sein, für mich wäre es bspw. Hochfahren von frühkindlicher Kinderbetreuung, für einen Dritten irgendwas ganz anderes und wahrscheinlich wäre DIE nutzenmaximierendste Verwendung etwas gewesen, was zu dem Zeitpunkt noch kein Mensch vorausahnen konnte (etwa eine deutsche Maskenproduktion aufbauen). Nur weil E mit ziemlicher Sicherheit auch nicht maximiert wird ist das doch auch kein Argument gegen E? Da sehe ich jedenfalls noch keine Kardinalität (die im Übrigen auch kein Konzept der Nutzenmaximierung zwischen unterschiedlichen Gütern ist, eben weil es keine objektive Art gibt, Güter miteinander zu vergleichen, nur den inhärent subjektiven Nutzen) zwischen E und H, nur innerhalb von E und H. Das war aber nicht der Punkt.
*das kann man auch relativ leicht weiterführen und ich vermute wir haben eine umgedrehte U-Kurve, was die Zustimmung zu restriktiver Flüchtlingspolitik angeht: Wenn die Leute nur sehr vage Vorstellung von "Flüchtlingen" haben, ist die Zustimmung erst mal groß, ähnlich wie im Sommer 2015; wenn dann klarer wird wer das denn tatsächlich war (überproportional viele junge Männer) dann sinkt die Zustimmung rapide; wenn man sich dann aber die Individualebene ansieht, dann werden Abschiebungen von Flüchtlingen auch wieder häufiger abgelehnt, weil man anfängt jemanden zu sehen, der, auch wenn er vielleicht nicht besonders gut Deutsch spricht und keinen anspruchsvollen Job macht doch menschlich ok ist und ja eigentlich doch niemandem schadet
Für mich zeigte das damals nur, dass die politischen Präferenzen der Bevölkerung ziemlich irrational sind, aber das weiß eigentlich jeder, der schon mal in einem Politikseminar gesessen hat. Ich war übrigens damals* auch dagegen, mehr als einen gewissen Teil an Flüchtlingen aufzunehmen, weil ich fand dass sich Deutschland so beteiligen soll, dass humanitär angemessen reagiert würde, sollten alle Länder sich genauso großzügig verhalten wie Deutschland, ohne dabei aber zu sagen, dass wenn andere Länder weniger als das tun Deutschland eben ihren Teil mittragen muss, weil Humanität immer vorzugehen hat. Klassischer Kategorischer Imperativ eigentlich.
Was ich nicht verstehe ist, warum die Präferenzordnung
(Maximal effektive) Hilfe vor Ort ≻ Hilfe hier ≻ Deutlich weniger Hilfe in den Lagern
als valide ausschließt? Ich hätte es toll gefunden, hätte man das ganze Geld, was man für die Flüchtlingsaufnahme hier ausgegeben hat, in die Lager gesteckt hätte. Aber die Option war eben politisch nicht durchsetzbar, also war für mich die zweitbeste Option eine bestimmte Zahl hier aufzunehmen, wenn das heißt dass man dann für diese Leute X Milliarden ausgibt, anstatt dass man für Leute in den Lagern X/25 oder so (Zahl geraten, ich hatte das mal nachgeschaut weiß sie aber nicht mehr) ausgibt, wie man es vor der Flüchtlingswelle 2015 getan hat.
Den Kommentar mit den Medien und der Politik finde ich dahingehend etwas vermessen, weil du deine Meinung einfach mal als einzig sinnvolle darstellst. Wir reden hier doch fundamental über Fragen, die sich eben ohne Kenntnis der Nutzenfunktion überhaupt nicht klären lassen. Ich finde es jedenfalls befremdlich, zu sagen "die Medien hätten meine Meinung stringenter vertreten sollen." Ich hatte es hier schon ein paar Mal erwähnt, aber es gibt überhaupt nicht viele Ahnhaltspunkte dafür, dass Medien so sehr Einfluss darauf nehmen, WAS Leute denken, nur WORÜBER sie nachdenken. Ich beklage mich doch auch nicht darüber, dass die Flüchtlingskrise 2015/16 in allen Zeitungen war, obwohl ich die langfristigen Effekte für nicht nennenswert halte?
*da war ich noch deutlich mehr auf PQ unterwegs, aber das könnte ich im Zweifelsfall auch belegen; ich bin wirklich kein Ideologe, was das Thema angeht
Kannst du natürlich. Die Wahrheit ist auch: So viel Literatur gibt es zu dem Thema einfach nicht, insofern habe ich neben Bonin und den Jungs da nicht viel gefunden, ka warum. Aber ich kann dir auch sagen: Raffelhüschens Rechnung ist absurd, völlig unabhängig vom Inhalt. Generational accounting funktioniert nicht. Das war eine Marotte, die Larry Kotlikoff* in den 1990ern populär gemacht hat, die heute nur noch von Leuten vertreten wird, die Lobbyarbeit für die Versicherungsindustrie machen, wie Kotlikoff selbst und Raffelhüschen auch*. Ich kann mir vorstellen dass du mir das nicht glauben wirst, weil du denken wirst ich will dich übers Ohr hauen weil ich das Thema anders sehe als du, insofern würde ich irgendwen aus der Ökonomenriege hier bitten, mal zu schreiben, ob sie generational accounting als ernstzunehmende ökonomische Idee kennengelernt haben.
Bei Generational accounting hast du wegen des unendlichen Zeithorizonts einen extrem langen Hebel, der zusammen mit einer growth rate unter dem Leitzins auf Dauer diese gigantischen Zahlen produziert, die aber eigentlich nichts bedeuten. Ironischerweise berechnet Raffelhüschen das in seiner regulären Generationenbilanz in Prozent des BIP, nicht in Zahlen, weil er genau weiß dass die Zahlen so groß und irreführend wären dass sie instant negative Aufmerksamkeit auf sich ziehen würden, nur hier hat er es sich nicht nehmen lassen diesen Fabelbetrag anzugeben. Wenn du die Methode generational accounting in die Vergangenheit projizierst, siehst du dass zu jedem Zeitpunkt die (impliziten) Schulden langfristig explodieren, was allerdings nie passiert, weil bereits leichte Korrekturen im Staatshaushalt, welche die ganze Zeit vorgenommen werden, dazu führen dass der Fehlbetrag nie so groß wird wie die Generationenbilanz annimmt und deshalb auch der Zinshebel nie zum Tragen kommt. Normalerweise wird das hauptsächlich produziert, um als Argument für Sozialkürzungen zu dienen. Das ist aber letztendlich Lobbyismus, keine Ökonomie. Da ist die Simulationsanalyse aus dem Paper ohne "implizite Staatsverschuldung" um Längen seriöser, auch wenn ich verstehen kann wenn du das bezweifeln würdest. Ist aber definitiv nicht mein Stil, Argumente zu bringen, von denen ich eigentlich weiß dass sie nicht stimmen.
*und ich habe wirklich nichts gegen Larry Kotlikoff, super netter Typ und zufälligerweise einer der besten Freunde meines Vaters.
Weil den Kosten auch Leistungen gegenüber stehen; Raffelhüschen macht das auch, er sagt es bloß nicht. Was Raffelhüschen immer geflissentlich verschweigt ist die Tatsache, dass diese Kosten selbst in seinen eigenen Rechnungen eben NICHT über die Sozialversicherungen anfallen (in denen sich in seiner Modellrechnung durch Flüchtlinge so gut wie gar nichts verschiebt, die aber natürlich mit wie ohne Flüchtlinge in seiner Generationenbilanz höchst defizitär sind), sondern nur als implizite Schulden über einen unendlich langen Zeitraum in den Budgets der Gebietskörperschaften. Dazu irgendwelche Aussagen zu treffen ist aber wie gesagt reine Panikmache, genau wie die Generationenbilanz selbst.
Das ist genau was ich meine: Das ist doch nicht mehr als ein Bauchgefühl? Du glaubst, dass das so sein muss, weil es für dich eingängig ist. Aber nicht mal Raffelhüschen denkt, dass das Problem Sozialleistungen sind, sondern über Zuschüsse wegen Altersarmut entsteht. Oder mal anders gedacht: Selbst wenn wir mal davon ausgehen, dass Raffelhüschen recht hat. Das heißt die zugezogenen Flüchtlinge kosten 900 Milliarden (present value) aber über einen Zeithorizont der sich über unser komplettes Leben erstreckt. Wie alle "Investitionen" (auch negative!) die der Staat tätigt wird diese aber nicht im hier und jetzt zurückgezahlt, sondern über die Zeit und es ergibt Sinn als Zeithorizont die Lebenserwartung der Flüchtlinge zu nehmen. Ich bin dieses Jahr 35 geworden, du bist glaube ich ein bisschen älter, aber wir haben beide Bürojobs und leben vermutlich nicht allzu ungesund, also sagen wir mal wir können noch mit 50 Lebensjahren rechnen, ungefähr das was man für Flüchtlinge auch veranschlagen kann. D.h. dieser Betrag würde über unser Leben zu einer höheren Staatsquote von 2/3 von einem Prozent führen, ceteris paribus*. Das ist im Aggregat beileibe nicht nichts, aber es ist auch nicht so als würde das im Leben des durchschnittlichen Bürgers einen spürbaren Unterschied machen: Was ich implizit häufig aus den Ausführungen zum Thema Flüchtlinge rauslese ist, dass man sich da in einen Teufelskreis begibt, bei dem so hohe Sozialleistungen veranschlagt werden, dass der Staat die Steuern massiv erhöhen muss, was zu einer deutlichen Abschwächung des Wirtschaftswachstums führt, was letztendlich quasi direkt in den Kollaps des Sozialsystems führt. Das geben aber selbst die Beträge, über die Raffelhüschen redet, überhaupt nicht her. Das ist, was ich oben mit Panik meinte und mir nicht so recht erklären kann. Ja, "optimal" für die angestammte Bevölkerung ist es nicht, das will ich gar nicht behaupten. Aber ich sehe einfach nicht, wie man das realistischerweise als DAS große Thema sehen kann, außer man sieht es wie Heator, dass da jenseits der fiskalischen Effekte noch deutlich größere Effekte anderer Natur dazukommen.
*aller Wahrscheinlichkeit nach weniger, denn die Generationenbilanz hat überhaupt keinen fiscal multiplier für Transferleistungen, der für Leute in Altersarmut relativ hoch ist, aber gut
Ok, aber was besorgt dich denn so? Ich bin Sozialwissenschaftler und als solcher muss ich zugeben, dass die Forschung absolut scheiße darin ist, irgendwelche Makrotrends vorauszusagen. (So gut wie) Niemand hat bspw. kommen sehen, dass die Sovietunion in sich zusammenbrechen würde, als längst alle Weichen auf Zusammenbruch gestellt waren. Ich verstehe nicht, warum sich manche Leute hier so sicher sind, dass unser Land durch die Flüchtlinge eine so negative Entwicklung nimmt, dass man sich ernsthaft um es Sorgen muss, weil ich einfach den Mechanismus nicht sehe. Das heißt nicht, dass ich ausschließen könnte, dass es so kommt, aber zumindest fände ich es interessant mal einen Mechanismus zu hören, wie das alles passieren soll. Momentan sehe ich hauptsächlich Bauchgefühl und das führe ich letztendlich darauf zurück, dass bei diesem Thema die wenigsten Leute tatsächlich "rational" sind, auch wenn viele das irgendwie von sich glauben.
Das ist dann ein Hinweis darauf, dass das Land eigentlich nicht wirklich generell notleidenden Menschen helfen möchte. Sondern eben irraitonal denen, die sich bis Europa durchschlagen.
am Ende ist die Nutzenfunktion ja eine Mischung aus Egonismus (E) und Helfen (H).
Wenn du E maximieren willst, dann sind wir uns ja vermutlich einig, dass unqualifizierte Migration verhindern Nutzen maximierend ist.
Wenn du H maximieren willst, wirst du vor Ort helfen mit allen dir zur Verfügung stehenden Resourcen. Wenn die Resourcen limitiert sind, würdest du den Einsatz der Resourcen wählen, der H maximiert -- also klar Hilfe vor Ort vor der Aufnahme unqualifizierter Migranten.
Solange also keine effizenteren Wege der Hilfe erschöpft sind, als der Aufnahme hier, solange ist die Aufnahme unqualifizierter Migranten eben nicht nutzenmaximierend -- und zwar völlig egal, in welchem Mischungsverhältnis eine Gesellschaft nun E oder H fokussiert.
Das heißt allerdings nicht, dass die dahinter stehenden Präferenzen nicht "real" sind, irgendwie sind sie es schon. Aber sie sind halt nicht rational, das ist leider tausendfach bewiesen. Es so zu sehen dass man sagt "ok, die Leute wollen halt nicht rational die beste Policy, deshalb wollen sie das Ziel dahinter auch nicht" ist so aber einfach nicht zulässig. Wie oben zu Heator eingewendet: Ihr geht alle immer davon aus, dass die Leute eigentlich auf eurer Seite sind oder es zumindest wären, wenn sie nur die tatsächlichen Zustände (viele Wirtschaftsflüchtlinge, viele alleinstehende Männer, wenige Familien etc.)* kennen würden, aber so einfach ist es halt nicht: Die Zustimmung im Sommer und Herbst 2015 war nicht weniger real als der Stimmungsumschwung in Winter 2016 und die generelle Apathie bzgl. des Themas jetzt ist nicht weniger real als die starken Meinungen damals.
Du hast absolut recht damit, dass das nicht nutzenmaximierend im engeren Sinne ist. Die Frage für mich war aber eher: War das politisch (normativ) wünschenswert oder nicht wünschenswert? Da weiß ich nicht, was die Betrachtung der Rationalität groß bringt, weil sie keine Antwort auf die Frage ist, nur weil der rationalste Weg zu H versperrt ist. Das heißt ja aber nicht, dass ein weniger effizienter Weg zu H nicht trotzdem einen größeren Nutzen darstellen kann als E, je nachdem wie hoch man die beiden Ziele jeweils gewichtet. Wenn du E auffächerst, hast du ja auch unendlich viele Wege, auf die du das Geld für die deutsche Bevölkerung ausgeben kannst und es fällt mir schwer zu glauben, dass der wahrscheinlichste Weg der rationalste Weg wäre: Ich nehme an die wahrscheinlichste Verwendung für eine zusätzliche Milliarde Euro in den Jahren 2015/2016 wäre gewesen, dass davon 900 Millionen zum Schuldenabbau aufgewendet werden. Nun wissen wir aber eigentlich alle, dass bestimmte Investitionen einen viel höheren ROI haben als Schuldenabbau, insbesondere in einer Niedrigzinsphase. Für dich mag das (u.A.!) das Antreiben der Digitalisierung in der Verwaltung sein, für mich wäre es bspw. Hochfahren von frühkindlicher Kinderbetreuung, für einen Dritten irgendwas ganz anderes und wahrscheinlich wäre DIE nutzenmaximierendste Verwendung etwas gewesen, was zu dem Zeitpunkt noch kein Mensch vorausahnen konnte (etwa eine deutsche Maskenproduktion aufbauen). Nur weil E mit ziemlicher Sicherheit auch nicht maximiert wird ist das doch auch kein Argument gegen E? Da sehe ich jedenfalls noch keine Kardinalität (die im Übrigen auch kein Konzept der Nutzenmaximierung zwischen unterschiedlichen Gütern ist, eben weil es keine objektive Art gibt, Güter miteinander zu vergleichen, nur den inhärent subjektiven Nutzen) zwischen E und H, nur innerhalb von E und H. Das war aber nicht der Punkt.
*das kann man auch relativ leicht weiterführen und ich vermute wir haben eine umgedrehte U-Kurve, was die Zustimmung zu restriktiver Flüchtlingspolitik angeht: Wenn die Leute nur sehr vage Vorstellung von "Flüchtlingen" haben, ist die Zustimmung erst mal groß, ähnlich wie im Sommer 2015; wenn dann klarer wird wer das denn tatsächlich war (überproportional viele junge Männer) dann sinkt die Zustimmung rapide; wenn man sich dann aber die Individualebene ansieht, dann werden Abschiebungen von Flüchtlingen auch wieder häufiger abgelehnt, weil man anfängt jemanden zu sehen, der, auch wenn er vielleicht nicht besonders gut Deutsch spricht und keinen anspruchsvollen Job macht doch menschlich ok ist und ja eigentlich doch niemandem schadet
Eben! Das zeigt doch, das man nicht wirklich vor allem helfen möchte.
An dieser Irrationalität ist ja nichts unterstützenswert.
Überspitzt ausgedrückt:
Wegen der Gutmenschenidioten, die irrational sind, sollen die anderen massive Nachteile in Kauf nehmen.
Genau dagegen sollte man sich einsetzen. Du auch, da du das ja genau so siehst.
Hier wäre die Aufgabe verantwortungsvoller Medien und Politik gewesen, das herauszustellen und eben für eine konsistente Handlungsweise zu werben -- und diese wäre eben Hilfe vor Ort und geschlossene Grenzen gewesen.
Für mich zeigte das damals nur, dass die politischen Präferenzen der Bevölkerung ziemlich irrational sind, aber das weiß eigentlich jeder, der schon mal in einem Politikseminar gesessen hat. Ich war übrigens damals* auch dagegen, mehr als einen gewissen Teil an Flüchtlingen aufzunehmen, weil ich fand dass sich Deutschland so beteiligen soll, dass humanitär angemessen reagiert würde, sollten alle Länder sich genauso großzügig verhalten wie Deutschland, ohne dabei aber zu sagen, dass wenn andere Länder weniger als das tun Deutschland eben ihren Teil mittragen muss, weil Humanität immer vorzugehen hat. Klassischer Kategorischer Imperativ eigentlich.
Was ich nicht verstehe ist, warum die Präferenzordnung
(Maximal effektive) Hilfe vor Ort ≻ Hilfe hier ≻ Deutlich weniger Hilfe in den Lagern
als valide ausschließt? Ich hätte es toll gefunden, hätte man das ganze Geld, was man für die Flüchtlingsaufnahme hier ausgegeben hat, in die Lager gesteckt hätte. Aber die Option war eben politisch nicht durchsetzbar, also war für mich die zweitbeste Option eine bestimmte Zahl hier aufzunehmen, wenn das heißt dass man dann für diese Leute X Milliarden ausgibt, anstatt dass man für Leute in den Lagern X/25 oder so (Zahl geraten, ich hatte das mal nachgeschaut weiß sie aber nicht mehr) ausgibt, wie man es vor der Flüchtlingswelle 2015 getan hat.
Den Kommentar mit den Medien und der Politik finde ich dahingehend etwas vermessen, weil du deine Meinung einfach mal als einzig sinnvolle darstellst. Wir reden hier doch fundamental über Fragen, die sich eben ohne Kenntnis der Nutzenfunktion überhaupt nicht klären lassen. Ich finde es jedenfalls befremdlich, zu sagen "die Medien hätten meine Meinung stringenter vertreten sollen." Ich hatte es hier schon ein paar Mal erwähnt, aber es gibt überhaupt nicht viele Ahnhaltspunkte dafür, dass Medien so sehr Einfluss darauf nehmen, WAS Leute denken, nur WORÜBER sie nachdenken. Ich beklage mich doch auch nicht darüber, dass die Flüchtlingskrise 2015/16 in allen Zeitungen war, obwohl ich die langfristigen Effekte für nicht nennenswert halte?
*da war ich noch deutlich mehr auf PQ unterwegs, aber das könnte ich im Zweifelsfall auch belegen; ich bin wirklich kein Ideologe, was das Thema angeht
Quelle von 2016, hast du da nichts neueres?
Sonst kann ich da auch Raffelhüschens 900 Milliarden dagegensetzen.
Kannst du natürlich. Die Wahrheit ist auch: So viel Literatur gibt es zu dem Thema einfach nicht, insofern habe ich neben Bonin und den Jungs da nicht viel gefunden, ka warum. Aber ich kann dir auch sagen: Raffelhüschens Rechnung ist absurd, völlig unabhängig vom Inhalt. Generational accounting funktioniert nicht. Das war eine Marotte, die Larry Kotlikoff* in den 1990ern populär gemacht hat, die heute nur noch von Leuten vertreten wird, die Lobbyarbeit für die Versicherungsindustrie machen, wie Kotlikoff selbst und Raffelhüschen auch*. Ich kann mir vorstellen dass du mir das nicht glauben wirst, weil du denken wirst ich will dich übers Ohr hauen weil ich das Thema anders sehe als du, insofern würde ich irgendwen aus der Ökonomenriege hier bitten, mal zu schreiben, ob sie generational accounting als ernstzunehmende ökonomische Idee kennengelernt haben.
Bei Generational accounting hast du wegen des unendlichen Zeithorizonts einen extrem langen Hebel, der zusammen mit einer growth rate unter dem Leitzins auf Dauer diese gigantischen Zahlen produziert, die aber eigentlich nichts bedeuten. Ironischerweise berechnet Raffelhüschen das in seiner regulären Generationenbilanz in Prozent des BIP, nicht in Zahlen, weil er genau weiß dass die Zahlen so groß und irreführend wären dass sie instant negative Aufmerksamkeit auf sich ziehen würden, nur hier hat er es sich nicht nehmen lassen diesen Fabelbetrag anzugeben. Wenn du die Methode generational accounting in die Vergangenheit projizierst, siehst du dass zu jedem Zeitpunkt die (impliziten) Schulden langfristig explodieren, was allerdings nie passiert, weil bereits leichte Korrekturen im Staatshaushalt, welche die ganze Zeit vorgenommen werden, dazu führen dass der Fehlbetrag nie so groß wird wie die Generationenbilanz annimmt und deshalb auch der Zinshebel nie zum Tragen kommt. Normalerweise wird das hauptsächlich produziert, um als Argument für Sozialkürzungen zu dienen. Das ist aber letztendlich Lobbyismus, keine Ökonomie. Da ist die Simulationsanalyse aus dem Paper ohne "implizite Staatsverschuldung" um Längen seriöser, auch wenn ich verstehen kann wenn du das bezweifeln würdest. Ist aber definitiv nicht mein Stil, Argumente zu bringen, von denen ich eigentlich weiß dass sie nicht stimmen.
*und ich habe wirklich nichts gegen Larry Kotlikoff, super netter Typ und zufälligerweise einer der besten Freunde meines Vaters.
Ich finde ide Studie auch komisch. Warum geht es da um die "Tragfähigkeit", und nicht einfach um die Kosten?
Ich kann wie bei der Rente auch immer irgendwie rechnen, "dass das alles schon geht", muss man halt nur Leistungen abbauen und Steuern erhöhen. "Geht irgendwie", ist aber schlecht für die Gesellschaft.
Weil den Kosten auch Leistungen gegenüber stehen; Raffelhüschen macht das auch, er sagt es bloß nicht. Was Raffelhüschen immer geflissentlich verschweigt ist die Tatsache, dass diese Kosten selbst in seinen eigenen Rechnungen eben NICHT über die Sozialversicherungen anfallen (in denen sich in seiner Modellrechnung durch Flüchtlinge so gut wie gar nichts verschiebt, die aber natürlich mit wie ohne Flüchtlinge in seiner Generationenbilanz höchst defizitär sind), sondern nur als implizite Schulden über einen unendlich langen Zeitraum in den Budgets der Gebietskörperschaften. Dazu irgendwelche Aussagen zu treffen ist aber wie gesagt reine Panikmache, genau wie die Generationenbilanz selbst.
Die Befürchtungen beruhen ja auf einfacher Mathematik, was Transferleistungen, Sozialleistungen und den ihnen gegenüberstehenden Steuern und Abgaben ausmachen.
- Wer nicht oder nur geringffügig arbeitet, der belastet die Sozialsysteme und zahlt dafür keine/kaum Steuern/Abgaben
- Dass "die Hälfte einen Job gefunden hat" gilt als Erfolgsmeldung, ist es aber nicht
- Denn diese Hälfte enthält Minijobs, Mindestlohn, Arbeitsvermittlungsmaßnahmen etc & vermutlich sehr wenige überdurchschnittliche Verdiener. Kann sich also viuelleicht gerade so selbst tragen -- und die Nachricht kam kurz vor Corona
- Heißt, dass die andere Hälfte komplett von anderen Steuerzahlern finanziert wird. Ein großer Teil davon wahrscheinlich lebenslang.
Das ist genau was ich meine: Das ist doch nicht mehr als ein Bauchgefühl? Du glaubst, dass das so sein muss, weil es für dich eingängig ist. Aber nicht mal Raffelhüschen denkt, dass das Problem Sozialleistungen sind, sondern über Zuschüsse wegen Altersarmut entsteht. Oder mal anders gedacht: Selbst wenn wir mal davon ausgehen, dass Raffelhüschen recht hat. Das heißt die zugezogenen Flüchtlinge kosten 900 Milliarden (present value) aber über einen Zeithorizont der sich über unser komplettes Leben erstreckt. Wie alle "Investitionen" (auch negative!) die der Staat tätigt wird diese aber nicht im hier und jetzt zurückgezahlt, sondern über die Zeit und es ergibt Sinn als Zeithorizont die Lebenserwartung der Flüchtlinge zu nehmen. Ich bin dieses Jahr 35 geworden, du bist glaube ich ein bisschen älter, aber wir haben beide Bürojobs und leben vermutlich nicht allzu ungesund, also sagen wir mal wir können noch mit 50 Lebensjahren rechnen, ungefähr das was man für Flüchtlinge auch veranschlagen kann. D.h. dieser Betrag würde über unser Leben zu einer höheren Staatsquote von 2/3 von einem Prozent führen, ceteris paribus*. Das ist im Aggregat beileibe nicht nichts, aber es ist auch nicht so als würde das im Leben des durchschnittlichen Bürgers einen spürbaren Unterschied machen: Was ich implizit häufig aus den Ausführungen zum Thema Flüchtlinge rauslese ist, dass man sich da in einen Teufelskreis begibt, bei dem so hohe Sozialleistungen veranschlagt werden, dass der Staat die Steuern massiv erhöhen muss, was zu einer deutlichen Abschwächung des Wirtschaftswachstums führt, was letztendlich quasi direkt in den Kollaps des Sozialsystems führt. Das geben aber selbst die Beträge, über die Raffelhüschen redet, überhaupt nicht her. Das ist, was ich oben mit Panik meinte und mir nicht so recht erklären kann. Ja, "optimal" für die angestammte Bevölkerung ist es nicht, das will ich gar nicht behaupten. Aber ich sehe einfach nicht, wie man das realistischerweise als DAS große Thema sehen kann, außer man sieht es wie Heator, dass da jenseits der fiskalischen Effekte noch deutlich größere Effekte anderer Natur dazukommen.
*aller Wahrscheinlichkeit nach weniger, denn die Generationenbilanz hat überhaupt keinen fiscal multiplier für Transferleistungen, der für Leute in Altersarmut relativ hoch ist, aber gut
Ich habe übrigens keine Panik, weil ich meine Schäfchen im Trockenen habe. Könnte auch Auswandern, und bin finanziell unabhängig. So wie auch bei Leuten wie Raffelhüschen keine "Panik" vorliegt, wenn sie vor den gigantischen Kosten warnen.
Es ist also eine besorgte Beobachtung, da ich mich unserer Gesellschaft und unserem Land verbunden fühle. Dazu kommt eine gewisse Leidenschaft / Wut auf Entscheidungsträger und Schönredner.
Ok, aber was besorgt dich denn so? Ich bin Sozialwissenschaftler und als solcher muss ich zugeben, dass die Forschung absolut scheiße darin ist, irgendwelche Makrotrends vorauszusagen. (So gut wie) Niemand hat bspw. kommen sehen, dass die Sovietunion in sich zusammenbrechen würde, als längst alle Weichen auf Zusammenbruch gestellt waren. Ich verstehe nicht, warum sich manche Leute hier so sicher sind, dass unser Land durch die Flüchtlinge eine so negative Entwicklung nimmt, dass man sich ernsthaft um es Sorgen muss, weil ich einfach den Mechanismus nicht sehe. Das heißt nicht, dass ich ausschließen könnte, dass es so kommt, aber zumindest fände ich es interessant mal einen Mechanismus zu hören, wie das alles passieren soll. Momentan sehe ich hauptsächlich Bauchgefühl und das führe ich letztendlich darauf zurück, dass bei diesem Thema die wenigsten Leute tatsächlich "rational" sind, auch wenn viele das irgendwie von sich glauben.
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