#2. Da gibt es mit Sicherheit mehrere Effekte:
- In der Tat hilft "Exposure" zu anderen Menschen, die Akzeptanz zu erhöhen.
- Gruppendynamik: In Hamburg musst du Leute schon sehr gut kennen, um das Gefühl zu haben, dass du was kritisches zur Migration sagen kannst. Auf dem Land eher umgekehrt.
- Gewöhnung: Der Mensch ist sehr anpassungsfähig und akzeptiert ein "New normal" schnell, um sich nicht dauernd damit zu belasten. D.h. selbst wer konkrete Nachteile hat, der wird nach ein paar Jahren oft weniger kritisch sein. Einfach weil das zu anstrengend wäre. Gegenüber dem vom Land, für den das nicht so stark Teil seiner Realität ist - sondern ein Szenario, welches es abzuwenden gilt.
Stichwort Gewöhnung: Menschen in Ländern mit vielen Morden gewöhnen sich daran auch und finden diese Menge an Morden weniger schlimm als
Wenn du bspw Deutsche und El Salvadorianer zur Mordrate in El Salvador befragst, dann wird das sentiment gegenüber der Mordrate in Deutschland negativer sein.
Nach der Logik hier müsste man dann sagen "Morde sind gar nicht so schlecht, weil diejenigen, die viel damit konfrontiert sind, machen sich dazu weniger Sorgen."
---
Und ja: Wenn du nicht beide Gruppen zur Mordtaten in El Salvador befragst, sondern zur Mordrate in ihrem Heimatland befragst, dann werden vermutlich die Leute aus El Salvador das Thema höher hängen.
Aber in Deutschland ist Migration nun einmal ein nationales Thema. D.h. das negative sentiment der Leute vom Land ist ja keine reine Klage gegenüber den Zuständen in ihrem Dorf, sondern ihre Wahrnehmung der Zustände auf Deutschland.
Das ist auch total rational, da bspw die Kosten für das Sozialsystem von allen getragen werden. Selbst wenn es also positive kulturelle Effekte gäbe, dann sind diese ja auf die Städte beschränkt.
Außerdem ist es ja schlicht falsch, dass Probleme erst ab einem hohen Anteil an Migranten wie in Großstädten entstehen könnten.
Beispiel Vogtlandkreis: Hier ist der Anteil deutlich unterdurchschnittlich:
Die interaktive Karte Migration.Integration.Regionen visualisiert Daten zu Ausländern sowie Schutzsuchenden (Flüchtlingen) in Deutschland auf Kreisebene.
service.destatis.de
Das ist deswegen aber kein kleines Problem:
Im Vogtlandkreis hat der Krisenstab Asyl erneut seine Arbeit aufgenommen. Um die Zahlen der Neuankömmlinge im Landkreis zu begrenzen, fordert Landrat Thomas Hennig stationäre Grenzkontrollen.
www.google.com
Und selbst wer dort auf dem Dorf mit exakt 0 Migranten wohnt, der wird regelmäßig in Mittel- und Oberzentren wie Plauen gehen und die Zustände dort beobachten:
Eine bis zu 30-köpfige Jugendbande sorgt für Gewalt und Angst in Plauen. Sie sind verantwortlich für Raubüberfälle, Körperverletzungen und Einbrüche. Die Polizei hat nun ein spezielles Ermittlerteam zusammengestellt.
www.tagesschau.de
Und ja: Wer sonst gar keinen Kontakt mit Migranten hat, der wird die Zustände in Plauen vermutlich noch negativer wahrnehmen als jemand, der in Hamburg in St Pauli wohnt und alle möglichen Arten "interessantes Publikum" kennt.
Daraus dann abzuleiten, dass der migrationsgewohnte St Paulianer ein klug-objektives (weniger negatives), der Landbewohner aufm Wochenendtrip nach Plauen aber ein dumm-subjektives (mehr negatives) persönliches Urteil zur Migration fällt ist anmaßend.
Um es etwas polemisch zu formulieren:
Da sitzen selbstgefällige Linke in ihren guten Vierteln (oder gar im Ausland) und schauen auf ihren netten Gemüsehändler und die Statistik, die ihnen zeigt, dass es in ihrer Großstadt viel mehr Migranten gibt.
Und dann schauen auf die Statistik, nach der es ja nur halb so viele Migranten auf dem Land gibt - und fällen ganz schnell ein Werturteil über denjenigen, der in seinem beschaulichen Plauen nun ein gewaltiges Problem mit Jugendbanden und sich erlaubt, eine eher negative Meinung zur Migrationspolitik zu haben.