So wie du das ausdrückst ist das richtig & ich stimme dir 100% zu.
Ich habe die Formulierung auf der Webseite kritisiert, die impliziert, dass gar keine sinnhafte Entlastung der kleinen und mittleren Einkommen ohne Mitnahmeeffekte möglich wäre.
Für Bequemlichkeit nochmal das Zitat, welches ich als falsch bezeichnet habe:
"Zuletzt gilt, dass jede Steuerentlastung auch unterer und mittlerer Einkommen mit staatlichen Ausgabenkürzungen einhergeht, die gerade diese Gruppe am stärksten treffen. Der Wohlfahrtsstaat ist das Vermögen der kleinen Leute."
Gut, wenn du es wortwörtlich nimmst stimmt der Satz natürlich nicht, denn man kann auch auf andere Arten Einnahmen generieren oder, gerade in Deutschland, auch Ausgaben kürzen die nicht sehr gezielt sind sondern auch bei hohen Einkommen hohe Mitnahmeeffekte haben. Aber ich glaube was sie sagen wollen ist schon, dass man noch nichts dadurch gewinnt, die Steuersätze zu senken wenn im gleichen Maße Sozialausgaben gesenkt werden (was man auf lange Sicht immer muss, außer man will endlos Defizite fahren; nicht mal in deutlich ungleicheren Ländern als Deutschland kann man sich einen Großteil des Staatsbudgets nur dadurch holen, Wohlhabende hoch zu besteuern). Bis zu einem gewissen Grad krankt diese ganze Diskussion über Steuersätze etc. halt auch daran, dass die wenigsten Leute einen Überblick darüber, wie viel an staatlichen Leistungen man dafür zurückbekommt. Sich nur die Kosten-Seite anzuschauen ist nicht sehr instruktiv, aber Steuersätze und Staatsquoten kann man halt sehr viel leichter vergleichen als Renten-, Krankenversicherungs- und Bildungssysteme bspw. Ich wäre bspw. sehr viel glücklicher, wenn ich mehr Steuern zahlen würde, dafür aber von einer allgemeinen Krankenversicherung versichert würde, statt weniger Steuern zu zahlen aber dafür meine Krankenversicherung privat (respektive über meinen Arbeitgeber). Gibt natürlich auch Beispiele in die andere Richtung, aber das blendet diese Diskussion halt aus.
Mir ist nicht bekannt, dass gerade die FDP mit Wünschen zur Subvention von Elektro-Autos auffallen würde. Sind das nicht andere Parteien?
Ich glaube du hast mich falsch verstanden. FDP-Politiker wurden in diesem Wahlkampf häufig gefragt, welche Subventionen sie denn streichen würden, weil ihre Steuerreform ja ein Defizit im Staatshaushalt irgendwo im Bereich 60 bis 70 Milliarden Euro pro Jahr bedeuten würde. Darauf ist die Antwort häufig, dass sie Subventionen für Elektroautos streichen würden, häufig verbunden mit der (korrekten) Aussage, dass diese hauptsächlich von sowieso schon Besserverdienenden in Anspruch genommen werden. Und ganz Unrecht haben sie damit nicht, die Subvention ist tatsächlich nicht sehr effizient, um ihr Ziel zu erreichen (zumindest wenn man als Ziel Emissionsreduktion sieht und nicht das wohl eher eigentliche Ziel, Ankurbelung der Autoindustrie). Nur ist das halt ein viel zu kleiner Posten, als dass man damit einen nennenswerten Beitrag beisteuern könnte, um die hohen Defizite auszugleichen. Um konkretere Antworten drücken sich FDP-Politiker bei der Frage (verständlicherweise) allerdings, weil die eben deutlich schmerzhafter wären als Streichung der Subvention von E-Autos.
Diese Polarisierung auf Deutschland vs USA bringst du hier rein -- ich nicht.
Du kannst auch jede konvexe Kombination zwischen den Polen wählen und stündest vor dem selben Problem. Das hat nichts mit Deutschland und den USA zu tun, sondern mit unterschiedlichen Vorstellungen von Gerechtigkeit. Du ignorierst aber eine Seite vollständig und tust so, als wäre es völlig offensichtlich, dass die andere Seite die bessere Form von Gerechtigkeit ist, was ich für nicht gerechtfertigt halte.
Ich halte es für möglich und notwendig, das deutsche System so weiterzuentwickeln, dass Leistungsgerechtigkeit auch am unteren Ende existiert -- ohne dabei den Abbau des Sozialstaats zu betreiben.
Mögliche Maßnahmen wären aus meiner Sicht bspw.:
- Höherer Steuerfreibetrag (bei gleichzeitig höheren Steuersätzen weiter oben, so dass wir insgesamt Aufkommensneutral sind)
Na ja, aber am nächsten an so einer Reform sind doch Grüne und, mit leichten Abstrichen, die SPD. FDP (und Linke) sind davon mit Abstand am weitesten entfernt.
- Krankenversicherungsbeiträge für niedrige Einkommen reduzieren, so dass der effektive Abzug nicht so gigantisch ist (wenn ich nichts verdiene, ist das ja komplett kostenlos & ich verliere dann gleichzeitig H4 und muss für meine eigene KKV aufkommen. Oder halt direkt steuerfinanzierte Bürgerversicherung.
Fände ich gut.
- Bei der Rentenversicherung würde ich sicherstellen, dass jeder Rentenpunkt auch tatsächlich etwas wert ist. Beispielsweise indem ich als Aufstocker nach der Aufstockungsberechnung nochmal 10% des Wertes jedes Rentenpunktes extra bekomme. Beispiel: Ich habe nur 20 Rentenpunkte, was ~€660 Rente bedeutet. Das ist zuwenig, so dass ich heute de facto Grundsicherung bekomme, das gleiche wie jemand der 0 Rentenpunkte hat. In meinem Vorschläg bekäme der mit 20 Rentenpunkten €66 extra über den Grundsicherungsbetrag hinaus.
Fände ich prinzipiell auch gut, hat allerdings auch große Mitnahmeeffekte. Mindestens sollte man zusätzlich das Äquivalenzprinzip deutlich aufweichen. Im Grunde genommen ist es erstaunlich, dass das nicht sowieso schon passiert ist und wir stattdessen lieber den Rentenbezug nach dem jetzigen System mit horrenden Summen quersubventionieren. Da wäre ich btw auch ganz bei der FDP: Es ist völlig absurd, dass sich die linken Parteien so sehr gegen ein kapitalmarktbasiertes Rentensystem sträuben.
- Alternativen zur Verhinderung von Mitnahmeeffekten außerhalb der Einkommenssteuer eruieren. Beispielsweise Erbschaftssteuer, Bodenwertsteuer.
Noch eine Frage zum Thema "Höchststeuerland" / Gesamtbelastung:
Werden da auch die Arbeitgeberbeiträge berücksichtigt in der Berechnung? Da ist ja gerade in Deutschland noch einiges an Belastung "versteckt".
Na klar zählt der Arbeitgeberbeitrag dazu, das sind ja auch Abgaben. Steuern werden ja auch nicht nur von natürlichen Personen gezahlt. Wobei ich hier nochmal darauf hinweisen möchte: Ökonomisch gesehen gibt es keinen "Arbeitgeberanteil", das ist eine pure Fiktion. Der komplette Teil ist der Arbeitnehmeranteil.
Was haltet ihr eigentlich für Langzeit-Bezieher von H4 für zumutbar?
Ich finde bspw wenn jemand >5 Jahre nicht arbeitet, dann sollte er in eine günstige Gegend umziehen "müssen" (bspw indem dann Wohngeld gecapped wird).
Ich sehe ehrlich gesagt keinen Grund dafür, dort die Daumenschrauben noch weiter anzulegen. Wie SFJunky sagt dürften die Einsparungen dadurch gering und der Aufwand hoch sein und weil die Kosten für die Wohnung sowieso (natürlich unter Berücksichtigung der Zahl der im Haushalt lebenden Personen) gecapped sind, ist es jetzt auch nicht so, als würden wahnsinnig viele alleinstehende H4-Bezieher in super attraktiven Wohnungen leben, die ansonsten für "arbeitende Geringverdiener & ihre Familien" frei würden. Und wenn wir von einer Familie reden, dann tun sich da schon wieder ganz andere Probleme auf, bspw. dass wir Kinder aus ihrem Umfeld nehmen würden, nur weil ihre Eltern keine Arbeit haben. Wenn ich genauer darüber nachdenke, finde ich es eigentlich schon problematisch, selbst H4-Bezieher selbst ohne triftigen Grund aus ihrem Umfeld zu nehmen, denn wir wissen dass soziale Bindungen häufig das von Wert sind, was diese Leute haben und die würden wir damit ja mehr oder weniger kappen. Nee, halte ich insgesamt für eine ziemlich schlechte Idee.