Original geschrieben von Natural Born Farmer
Effie war natürlich in einer schwierigen Situation, aber für mich dennoch keine Identifikationsfigur oder ein Sympathieträger. Effie ist zwar die Protagonistin und ihre Geschichte besitzt auch Tragik, aber der Charakter verspielt imo zum Beispiel durch die Chinesen-Szene einiges. Diese Szene stuft Effie in meinen Augen zu einem kleinen Mädchen an, zu einem Spielball, dem man im Prinzip gar keine Schuld geben kann, sie ist schließlich noch ein Kind. Und das allein wäre auch nicht schlecht, aber letztendlich ist es bei den Eltern auch so ein hin und her und Instetten weist ebenfalls alle Schuld von sich, dass sich mir letztendlich jeder Charakter als ein Opfer präsentieren möchte. Und das gefällt mir nicht. Aber ich muss wieder zugeben: Je mehr Worte ich über dieses Buch verliere, desto interessanter finde ich es.
Wie kann man sich nur dermaßen an diesem Chinesen aufhängen? Erstmal ist Effi ein Kind, lebt in einer anderen Zeit und der Chinese ist zum einen eine Phantasie und zum anderen ein Symbol.
Was Instetten fehlt ist wohl der konkrete geäußerte Gedankengang, dass er durch sein mangelndes Einfühlungsvermögen Effis Betrug mit zu verantworten hat. Dass er solche Gedanken zumindest unbewusst hegt, halte ich für wahrscheinlich, aber sie erscheinen ihm innerhalb seines prinzipienfesten Weltbildes wohl zu abwegig, um sie - auch gegenüber sich selbst - bewusst zu äußern.
Die Behauptung, er weise Schuld von sich, ist jedenfalls mit Vorsicht zu genießen, eh man sich darüber im Klaren ist, was Schuld eigentlich bedeutet.
Original geschrieben von Natural Born Farmer
An eine "Schicksalstragödie" grenzt das ganze meiner Meinung nach definitiv nicht, Instetten hat letztendlich die Entscheidung. Er alleine hat den Brief gefunden und niemand hätte je etwas erfahren müssen. Dieser Mann hat leider die Einstellung hat, dass man ja tun müsse, was von der Gesellschaft verlangt wird. Letztendlich hat er die Wahl und wird zum Täter. Ob er dafür nun Gründe hat und ob die Gesellschaft, dass was er tut für gut oder schlecht hält, ändert nichts daran. Instetten wird zum Täter und ist nicht Opfer des Schicksals. Des Weiteren habe ich ihn auch nicht als wohlwollenden Vater in Erinnerung, ich habe das Buch leider nicht zu hause, aber afair hatte er Effies Tochter doch sehr "zurecht gestutzt" bevor diese Effie besuchen konnte, oder?
Das war auf seine Wandlung vor dem bewussten Ereignis bezogen. Was genau er mit seiner Tochter gemacht hat, wissen wir nicht genau, denn unsere einzige Quelle dazu ist der subjektive äußere Eindruck einer nicht mehr voll auf der Höhe befindlichen Effi.
Du machst es dir schon wieder zu einfach.
Instetten ist, das sollte jedem klar sein, ein Mann mit Prinzipien. Wenn ein Mensch so streng nach Prinzipien lebt wie er, dann beeinflusst das seine Entscheidungsfindung ganz erheblich. Man könnte vielleicht sogar sagen, dass es seine Entscheidung in vielen Situationen auf gewisse Weise vorwegnimmt. Um nicht völlig abstrakt zu werden, will ich lieber noch etwas konkretisieren.
Du legst die Möglichkeit, den Brief zu vernichten und die Sache unter Verschluss zu halten leichtfertig und einseitig als bessere Alternative aus. Begeh diesen Fehler nicht. Indem man eine Sache folgenlos hinnimmt, schafft man sie nicht aus der Welt. Dass er Effi trotzdem noch liebt, sagt er selbst, und er sagt auch, dass er bereit ist, ihr zu vergeben, aber vergessen kann er nicht.
Die Wahrheit ist doch: Was Effi tat, hat sie verändert und die Nachwirkungen sind noch Jahre später deutlich spürbar. Sie versteht sich zweifelsohne besser auf die Kunst der Verdrängung als Instetten, denn für ihn bricht in dem Augenblick, als er erfährt, was er vorher nicht wusste, eine Welt zusammen. Was da geschah, ist mehr als ein formelles Missgeschick. Nicht nur aufgrund der Konvention, der Gesellschaft und der Sitten, sondern auch auf einer ganz menschlichen Ebene ist dort etwas zerstört worden, was nicht wieder völlig zu reparieren ist. So etwas kann man nicht ungeschehen machen. Man kann es vergeben, doch niemals vergessen, schon gar nicht dieser Instetten. Und er weiß es; er weiß, dass er so nicht weiterleben kann.
Was er dann tut, ist keineswegs unüberlegt. Es wäre nicht rechtens, zu behaupten, dass er sich nur dem Zwange der Gesellschaft beugt, denn die Gesellschaft ist für ihn einiges mehr als eine repressive Körperschaft. Sie ist eine absolut notwendige moralische Instanz, weil ihre Sitten und Übereinkünfte das Zusammenleben der Menschen auf eine einheitliche Basis stellen - dass man an dieser Basis Kritik üben kann, versteht sich von selbst. Wenn er also die Entscheidung träfe, einfach zu ignorieren, was Effi getan hat, dann hieße das für ihn, solch ein Handeln zu akzeptieren und damit gutzuheißen. Das kann er nicht und er will es auch nicht. Er ist nun einmal der festen Überzeugung, dass es dergleichen in einer intakten Welt nicht geben darf. Da es nun aber geschehen ist, ist etwas aus dem Gleichgewicht geraten und dieses Gleichgewicht muss erneuert werden - wie, ist uns bekannt.
Das Schicksalhafte und Tragische an diesem Roman ist die Tatsache, dass es nicht anders kommen konnte. Instetten wollte Effi zur Frau, sie konnte nicht widersprechen. Sie bedurfte der Zärtlichkeit, mit der er noch nicht dienen konnte und sie war nicht fähig, darauf zu warten. Diese menschlichen Gegebenheiten und ein gesellschaftlicher Rahmen, der sie nicht verhindert hat, haben das Schicksal zweier Menschen besiegelt. Um sich dem zu entziehen, muss der Mensch größer sein - größer als Effi und Instetten es sind.
Original geschrieben von Natural Born Farmer
Es stimmt, ich war vielleicht etwas voreilig. Die Eigenschaften, die du da "Begeisterung", "Hingabe" und "Leidenschaft" nennst er, würde ich eher mit Fanatismus gleichsetzen.
"Du bist meine Luise. Wer sagt dir, dass du noch etwas sein solltest? Siehst du, Falsche, auf welchem Kaltsinn ich dir begegnen muss. Wärest du ganz nur Liebe für mich, wann hättest du Zeit gehabt, eine Vergleichung zu machen? Wenn ich bei dir bin, zerschmilzt meine Vernunft in einen Blick - in einen Traum von dir, wenn ich weg bin, und du hast noch eine Klugheit neben deiner Liebe? - Schäme dich!"
Solche Aussagen sprechen zwar von stürmischen Gefühlen, besitzen aber einen dermaßen aggressiven, gebieterischen Unterton, dass ich Ferdinand eher als fanatisch und eingeschrenkt denkend bezeichnen würde.
Ferdinand ist ein Gefühlsmensch - er muss eingeschränkt denken, weil seine Gedanken immer seinen Gefühlen unterworfen sind. Was du da bemängelst, sind nur Worte, eilends hingeworfen, um diesen überschwänglichen Gefühlen Ausdruck zu verleihen. Das ist wahrer als alles andere. Ich kann daran keinen Tadel finden.
Original geschrieben von Natural Born Farmer
Worum ging's denn in dem Aufsatz? ^^ Btw, du meinst Ferdinand muss den anderen vergeben, weil er selbst gemordet hat und weil er anderen vergibt wird sein Mord ihm auch vergeben? Zwei Schurken vergeben sich und alles ist gut? Kann ich nicht ganz nachvollziehen.
Ferdinand muss Milde walten lassen, weil er es schuldet, jedoch nicht seiner Mordtat, die längst vergeben ist, sondern der Liebe ist er es schuldig. Die Liebe verlangt es von ihm in den letzten Worten Luisens: "Sterbend vergab mein Erlöser - Heil über dich und ihn".
In dem Aufsatz ging es um die Frage, wer die Schuld am Tod der Liebenden trage.