[...] Als sich aus der alten EG mit dem Vertrag von Maastricht die neue EU entwickeln sollte, trauten sich nur die Franzosen und die Dänen, ihre Bevölkerung 1992 im Rahmen eines Referendums über das Vertragswerk abstimmen zu lassen. Die Franzosen stimmten mit Ach und Krach knapp für den Vertrag von Maastricht, die Dänen stimmten jedoch dagegen. Man trickste und täuschte, drohten den Dänen mit Konsequenzen und ließ sie ein Jahr später einfach noch einmal abstimmen. Nun passte das Ergebnis. Beflügelt durch die Missachtung des ersten Abstimmungsergebnisses entstand aus dem Umfeld der Vertragsgegner die rechtspopulistische Dänische Volkspartei, die heute zweitstärkste Fraktion im Folketing ist und die Minderheitsregierung mitträgt.
Europa wuchs weiter zusammen. Dies machte fast zehn Jahre später den Vertrag von Nizza notwendig. Man zog seine Lehren aus dem Debakel der Dänen und diesmal ließ nur Irland seine Bevölkerung über das Vertragswerk abstimmen. Und dies auch nicht freiwillig, sondern gezwungenermaßen, da die irische Verfassung ein Referendum für solch tiefgreifende Verträge zwingend vorschreibt. Es kam, wie es kommen musste: im Juni 2001 lehnten die Iren mit klarer Mehrheit den Vertrag von Nizza ab. Die EU setzte Irland einmal mehr unter Druck und ließ die Iren ein Jahr später einfach noch einmal abstimmen. Diesmal passte dann auch das Ergebnis und die Iren waren nicht einmal sonderlich wütend, da Brüssel ihnen Konzessionen machte, die in den Folgejahren zum Boom des keltischen Tigers führen sollten – bezahlt mit Steuerumgehungsmöglichkeiten für große Konzerne, die den Rest Europas sehr viel Geld kosten sollten und von den Euro-Skeptikern in anderen Ländern – vollkommen zu Recht – als abschreckendes Beispiel angeprangert werden.
Immer enger, immer undemokratischer
Europa wuchs noch weiter zusammen. Nun wollte man eine gemeinsame Verfassung verabschieden. Diese Verfassung auch „Verfassung“ zu nennen, sollte sich jedoch schon kurze Zeit später als Fehler herausstellen. Ganze zehn EU-Staaten sehen nämlich eine Volksabstimmung vor, wenn ein völkerrechtlicher Vertrag verabschiedet werden soll, der Verfassungsrang hat und auch „Verfassung“ heißt. Nachdem die Spanier der EU-Verfassung zugestimmt haben, kam es in Frankreich und den Niederlanden bei den dortigen Referenden zu klaren Ablehnungen durch das Volk. Die EU war brüskiert, ratlos und stoppte erst einmal den Ratifikationsprozess. Die Strategie, die Völker so oft abstimmen zu lassen, bis das Ergebnis stimmt, drohte nun bei neun ausstehenden Referenden zu einem nicht zu kontrollierenden Image-GAU zu werden. Was machte man? Man gab dem Kind einfach einen neuen Namen. Aus der „Verfassung für Europa“ wurde der „Vertrag von Lissabon“ – inhaltlich gab es zwar fast keine Unterschiede, aber durch den neuen Namen konnte man nun diese leidigen Referenden umgehen. Alle zehn Referenden? Nein – es waren wieder einmal die Iren, deren naive Verfassung dem Volk ein Mitspracherecht einräumte.
[...]