Original geschrieben von OgerGolg
Freiheit ist also die Bedingung für eine freie Entscheidung (die du ja als höchsten Wert = gut preist)?
Nicht Bedingung, sie sind ein und dasselbe.
Du solltest den Begriff "tautologischer Zirkel" hier übrigens nicht so abfällig verwenden.
Natürlich ist es eine Tautologie. Ich will ja gerade zeigen, dass sich das Wesen der Moral aus dem Begriff selbst ergibt. Die Form der Moral bedingt die Kategorie der Moral quasi selbst. Genau das ist mein Standpunkt.
Wenn ich ohne Tautologien arbeiten wollte, müsste ich ja moralische Prämissen aus dem Nichts herbeizaubern. Das kann ich tun, aber sobald sie dann jemand abstreitet, bin ich schon mit meinem Latein am Ende.
Original geschrieben von OgerGolg
Vielmehr ist die Moral die konstruierte Möglichkeit Entscheidungen bewerten zu können.
Eine Entscheidung selbst ist erstmal keine moralische Sache. Ob ich etwas kaufe oder nicht kaufe entscheide ich nämlich nach anderen Kriterien als Moral.
Moral ist nicht nur eine Möglichkeit, sondern gleichzeitig eine Notwendigkeit.
Denn sobald ich Entscheidungen treffen kann,
muss ich Entscheidungen treffen. Ich kann mich nicht entscheiden, mich nicht zu entscheiden.
Folglich muss ich meine Entscheidungen irgendwie bewerten. Diese Bewertung ist Gegenstand der Moral.
Folglich ist jede Entscheidung eine moralische Sache.
Selbst die banale Frage, ob ich Schokoladen- oder Vanille-Eis bevorzugen soll, ist a priori Gegenstand der Moral. Erst wenn sie unter moralischen Gesichtspunkten untersucht habe, kann ich zu dem Schluss kommen, dass beide Entscheidungsmöglichkeiten moralisch gleichwertig sind.
An dieser Stelle fehlt eine Unterscheidung zwischen abstrakter/idealer Freiheit: Ich entscheide mich für etwas, und konkreter/realer Freiheit: Ich kann eine Entscheidung auch umsetzen.
Aber das ist komplex und ich will es hier dabei belassen, weil wir uns damit zu weit vom eigentlichen Thema entfernen.
Original geschrieben von OgerGolg
Freie Bildung heißt übrigens: freier Zugang zur Bildung, sie muss Menschenrecht werden, weil sie die VORAUSSETZUNG für Geldverdienen ist.
Das ist ein gescheiter Ansatz, den man weiterverfolgen könnte.
Da dem Menschen, der in unserer Gesellschaft geboren wird, von vornherein die Möglichkeit genommen ist, sich selbst zu versorgen, muss er, schon um zu überleben, eine Tätigkeit ergreifen, für die er bezahlt wird. Dazu ist Bildung erforderlich, woraus man sicherlich ein Recht auf Bildung ableiten kann.
Original geschrieben von Force_Commander
Und was nutzt uns die Freiheit zur Moral wenn wir uns dafür entscheiden unmoralisch zu handeln? Wäre es da nicht im interesse aller die Freiheit zu beschränken?
Darum ist sie ja beschränkt: durch die Freiheit der anderen. Das sagte ich doch gerade?
Original geschrieben von Force_Commander
Da ist kein Widerspruch. Wer frei sein will muss auch die Freiheit haben auf sie zu verzichten wenn er das denn will sonst ist er per definition nicht frei.
Zunächst mal ist es was ganz anderes, ob ich auf meine Freiheit verzichte aus Freiheit, oder ob sie mir von jemand anderem gegen meine Entscheidung genommen wird.
Aber auch anders sehe ich nicht, wie das funktionieren soll. Wie oben schon gesagt: Freiheit ist nicht nur Möglichkeit, sondern auch Notwendigkeit. Ich kann meine Freiheit nicht irgendwo abgeben und mich damit jeder Verantwortung entziehen, weil auch dieser Schritt eine freie Entscheidung wäre, für die ich gerade stehen müsste.
Original geschrieben von TE)Kain
Wenn du davon überzeugt bist, findest du es denn dann auch lohnenswert dannach zu streben? Ich persönlich denke das Gesellschaftsideale nur kollektiv in die Realität umgesetzt werden können. Das Grundgesetz gibt dabei den Rahmen vor.
Ja, das finde ich.
Auch deiner Feststellung kann ich mich anschließen. Ich kann meine Vorstellungen von Wahrheit und Gerechtigkeit niemals umsetzen, ohne andere zu überzeugen. Schon darum hab ich ein natürliches Interesse an der Bildung aller und der Kreis schließt sich.
Original geschrieben von TE)Kain
Euer beider Argumentation ist nüchtern, in sich schlüssig und nachvollziehbar. Ich vermisse nur die emotionale Komponente; nicht jeder Mensch nimmt seine Umwelt derart realistisch wahr wie du und Claw. Diese emotionale Illusion aber ist es doch, die Menschen zusammen treibt. Ohne sie wird es imo schwer auf sozio-philosophischer Ebene Grundsatzdebatten zu führen.
Um wieder Bezug auf das Thema zu nehmen, wäre kostenlose Bildung eine Unzumutbarkeit für euch?
Dass es schwer ist, haben wir hier ja oft genug festgestellt.
Und nein, kostenlose Bildung ist keine Unzumutbarkeit für mich. Da das vielleicht etwas inkonsistent zu meinen Grundlagen erscheint, will ich es kurz erläutern.
Zum einen ergibt sich ein gewisser sozialer Anspruch aus unserer Eigentumsordnung, die nie aus Freiheit hervorgegangen ist: Die Welt ist sozusagen schon verteilt und das auf sehr willkürliche Weise. Wer geboren wird, hat keine Chance auf Selbstversorgung, ohne sich in die bestehende Gesellschaft zu integrieren. Daraus ergibt sich für mich ein Recht auf Förderung dieser Integration. Bildung sollte da den wichtigsten Teil einnehmen.
Der wichtigere Grund liegt für mich in der Natur des Menschen. Du hast selbst angesprochen, dass Emotionen dazugehören. Das ganze Modell, das ich vorgestellt habe, basiert auf dem Begriff der Entscheidungsfreiheit. Entscheidungsfreiheit ist in der Realität aber stets an Bedingungen geknüpft. Uns allen ist klar, dass nicht jede menschliche Entscheidung wirklich einem bewussten, rationalen Entscheidungsprozess entspringt. Genau genommen, laufen wohl die wenigsten Entscheidungen so ab. Weil der Mensch also kein reines Vernunftwesen ist, sondern in seiner Entscheidungsfähigkeit, die ja immernoch die Bedingung jeder Moral ist, aufgrund seiner Natur beschränkt ist, müssen wir gewisse Abstriche machen.
Das ist auch der Grund, weshalb ich in entscheidender Hinsicht gegen Claw argumentiere: Ich sehe keinen Beleg dafür, dass eine auf vollständiger Freiheit der Individuen fußende Gesellschaft überhaupt funktioniert, eher einige gewichtige Argumente dagegen - sonst wäre ich Anarchist, denn der Anarchismus als Ablehnung jeder Gewalt, auch durch den Staat, ist immernoch die konsequenteste ethische Position. Überhaupt bin ich nicht der Ansicht, dass man eine ideale Gesellschaft auf dem Reißbrett entwerfen kann.
Welche konkreten Maßnahmen zu realer Freiheit führen, muss auch die Erfahrung zeigen. Und das muss nicht immer nur das Beharren auf absoluter Freiheit sein, die für mich eine Utopie ist. Sie ist das Ideal, das angestrebt und als Grundlage genommen werden muss.
Aber sie ist noch nicht die Lösung aller realen Probleme.
Real ist der Mensch zahlreichen Einflüssen unterworfen, die seine Entscheidungsfreiheit hemmen oder fördern. Wir wissen alle, dass ein Mensch, der unter schlimmen Bedingungen aufwächst, zum Schaf werden kann, völlig unfähig, sein eigenes Leben in Freiheit zu gestalten. Umgekehrt erhält ein Mensch durch Förderung erst die Möglichkeit, seine Gaben, darunter die Fähigkeit moralisch zu handeln, einzusetzen.
Und das ist das Ziel: Man muss die Menschen zur Freiheit erziehen. Selbstverständlich ist dies "das natürliche Recht der Eltern und die zuvörderst ihnen obliegende Pflicht". Aber auch die Eltern sind ja wieder denselben Beschränkungen unterworfen, die sich dann wiederum negativ auf das Kind auswirken können.
Um also eine Gesellschaft zu erhalten, die nicht nur auf dem Papier, sondern in Wirklichkeit frei ist, halte ich staatliche Förderung für geboten.
Dabei bewegt man sich immer auf einem schmalen Grat, weil man prinzipiell Freiheitseinbußen hinnimmt, um am Ende mehr Freiheit zu erhalten. Darum ist große Vorsicht geboten und jede einzelne Maßnahme muss kritisch auf ihren Nutzen geprüft werden.
(Fortsetzung folgt eventuell. Ich wollte noch etwas konkreter aufs Thema zu sprechen kommen.)