SELBSTKRITIK ist das große Problem dieser Mannschaft. Habe gerade auf der Heimfahrt vom Spielschauen überlegt, ob man es darauf runterbrechen kann.
Wenn man berücksichtigt, dass es auf EM-Halbfinalniveau um Nuancen geht, denke ich, kann man das:
Schon nach dem DFB-Pokalfinale stellen sich Lahm und Gomez vor die Kamera und erzählen, sie wären die bessere Mannschaft gewesen. Da habe ich diese Einstellung noch so gewertet, dass sie sich aufbauen müssen für das CL-Finale. Nach seinem Grottenspiel gegen Portugal stellt Gomez sich hin und sagt, er hätte mit seinem Tor gezeigt, wie gut er ist. Scholl kritisiert ihn völlig zu Recht und spätestens nach den zwei Gomeztoren gegen Holland prügeln alle auf Scholl ein und Gomez steht vor den Kameras und erzählt, wie in die Kritik regelrecht gehemmt habe. Schweinsteiger ist eigentlich nicht fit, entscheidet aber selber, dass er dennoch spielen kann. Jetzt gerade die Interviews nach dem Spiel: Lahm, Kroos und Löw lassen keine Kritik an der offensiven Ausrichtung zu, sondern schieben alles auf individuelle Fehler in der Defensive...
Ich interpretiere das alles als mangelnde Kritikfähigkeit. Mir ist klar, dass man als Fußballprofi absolut von sich überzeugt sein muss. Ständig in der Öffentlichkeit stehen, jeden Fehler 5 x vorgekaut bekommen, in Zeitlupe und 3D... dass man da irgendwann zu macht, ist klar.
Wenn das aber dazu führt, dass man sich weigert, sich immer wieder selbst zu hinterfragen, kommt man an einen Punkt, an dem man aufhört, sich weiter zu entwickeln.
Und das betrifft aus meiner Sicht insbesondere die Bayernspieler der letzten zwei Jahre.
Und Löw auch. Natürlich soll er einem Spieler Vertrauen schenken und ihn nicht sofort nach ein oder zwei schlechten Spielen austauschen. Aber dieses Festhalten an Spielern, die vor 2, 4 oder 6 Jahren gute Leistungen gebracht haben, obwohl es sehr sehr offensichtlich ist, dass da andere Leute, vielleicht auch kurzfristig, besser geworden sind, ist bedenklich. Menschlich absolut nachvollziehbar. Sportlich kaum.
Und am Ende dieser Kette startet man dann mit der Aufstellung, die offensiv einfach nicht das Maß aller Dinge ist. Wie praktisch, dass defensiv individuelle Fehler dazu gekommen sind. Das lenkt ab vom eigentlichen "Problem". In Anführungsstrichen, weil es natürlich ein Problem auf hohem Niveau ist und es nicht um existentielle Fragen geht.
Schlussendlich sehe ich da auch einen massiven Vorteil für Dortmund in der Bundesliga nächste Saison. Wenn die Bayern bei dieser Einstellung bleiben, wird es wieder nicht reichen. Sich in den "Dienst der Mannschaft" stellen, also wirklich hinter jedem Ball herrennen, den der Mitspieler verloren hat, und wirklich Wege zu gehen offensiv und defensiv, ist keine Frage der Technk sondern der Einstellung. Klopp scheint das seit zwei Jahren zu erreichen. Wie man das Spielern, die externe Kritik so massiv abblocken und wohl auch wenig Selbstkritik an sich üben, vermitteln will, ist mir nicht klar.
Klar ist aber, dass das die strategische Ausrichtung der nächsten Jahre sein wird.
P.S.: Ich freu mich wieder auf Bundesliga.
Edit: Noch ein Gedanke dazu. Ich glaube, man kann da auch ein gesamtgesellschaftliches Phänomen beobachten. Kritikfähigkeit scheint mir heutzutage seltener geworden zu sein. Ich meine das in der Uni (früher als Student heute als Mitarbeiter) beobachten zu können und bekomme das auch von Lehrern berichtet. Für schlechte Noten werden regelmäßig die anderen verantwortlich gemacht. Oder die persönlichen Lebensumstände, Diskriminierungen usw. Es steht außer Frage, dass es viele Menschen gibt, die es schwer haben im Leben. Aber die Fähigkeit, sich zuerst einmal die Kritik anderer anzuhören und diese reflektiert zu betrachten, erscheint mir stark unterentwickelt. Stattdessen sind viele gekränkt und sehen sich herabgewürdigt. Naja, gehört wohl eher ins LSZ.