Dafür sind wir heute auch um Welten empfindlicher und liberaler geworden.
Das hier ist die beste Zusammenfassung bzgl. Einstellungen der Bevölkerungen in Europa zu sozialen (nicht-ökonomischen) Fragen (alle auf derselben Skala), die ich kenne:
Null ist der Durchschnittswert über den gesamten Zeitraum und alle Länder, negativ ist "links", positiv ist "konservativ". Die Welt hört auch anderswo nicht auf sich zu drehen. Jedes Jahr sterben tendenziell am konservativen Ende Leute weg und am linken Ende kommen neue dazu:
In dem Zeitraum seit 1980 dürfte die Union eine der erfolgreichsten Parteien in Europa sein. Fällt mir schwer vorzustellen, dass sie das auch sein könnte, wenn sie im Jahr X aufgehört hätte, sich diesen Veränderungen anzupassen.
Was steht denn im CDU Wahlprogramm von 1998? Was ist davon so kontrovers?
Das Wahlprogramm von 1998 hatte ich mir btw auch mal angeschaut. Daran waren imho hauptsächlich zwei Sachen erstaunlich:
1. Beim Wirtschaftsteil wurde erstaunlich viel (von der SPD*!) umgesetzt, da kann man sich wirklich nicht beschweren. Und bei den Sachen, die nicht umgesetzt wurden, würden heute sicherlich breite Mehrheiten sagen, dass sie ganz froh sind, dass sie nicht umgesetzt wurden (Privatisierungen, Wettbewerbsföderalismus).
2. Bei den sozialen Fragen steht genau das drin, was jede konservative Partei immer schreibt (tough on crime: Härtere Strafen (insbesondere gegen Leute, die das geringste soziale Standing haben, weniger Jugendstrafrecht, organisierte Kriminalität bekämpfen), aber man sollte sich da auch ins Gedächtnis rufen, dass das Wahlprogramm von 1998 nach 16 Jahren (!) Kohl-Regierung zustande kam. Wenn man das alles für wirklich so gut und wichtig gehalten hätte, hätte man das politische Kapital genutzt, um es wirklich zu machen, nicht nach 16 Jahren (!) davon zu reden, zumal das ja nun wirklich kein neues Thema war. Dementsprechend würde ich das unter "red meat für die true believers" einordnen, was man halt in ein Wahlprogramm schreibt, aber was dann letztendlich unter den Tisch fallen gelassen wird.
*fun fact: Unter anderem die Rente nach 45 Jahren Beitragszahlung, vulgo "Rente mit 63"
Und haben wir was draus gelernt? Nö. Aber alle wundern sich wo jetzt plötzlich diese AfD herkommt.
Sowohl die Union haben aber auch behauptet, "mehr Zuwanderung" bedeutet sinkende Akzeptanz in der Bevölkerung. Das hat sich aber letztendlich als haltlose Behauptung herausgestellt:
Die Gleichung "mehr Migration --> AfD" ist Unsinn. Die AfD ist ein Symptom für ein Problem, das es überall in der westlichen Welt gibt; es gibt einfach sehr wenig Gründe anzunehmen, dass man das über die Migrationspolitik lösen kann. Zumal nicht in Deutschland, das de facto 1998 längst ein Einwanderungsland war.