Ich wollte gerade selber drauf eingehen, aber Bootdiskette hat es schon angeführt. Gustavo, ich weiß die Kontakthypothese wird immer wieder gerne angeführt, aber in wie weit die genau zutrifft, ist alles andere als klar. [...]
Na ja, das war ja nicht wirklich worum es mir ging. Die Kontakthypothese wäre eine Erklärung dafür, warum die Wahlbereitschaft für die AfD geringer sein könnte*, allerdings mediiert durch Fremdenfeindlichkeit (und unter Berücksichtigung der Tatsache, dass es natürlich nicht nur DEN einen Grund gibt). Mir ging es aber explizit darum, dass das
Gegenteil der Kontakthypothese NICHT zutrifft, also dass die AfD-Wähler durch tatsächliche negative Kontakte mit "Fremden" (benutze ich einfach mal kolloquial für alle, die vermeintlich oder tatsächlich aus einem anderen Kulturkreis kommen oder Nachfahren aus einem sind) zu Fremdenfeindlichkeit und letztendlich zur AfD-Wahl führen.
Ich sehe wirklich recht wenig, was für die Hypothese spricht, weshalb ich skeptisch gegenüber der Behauptung bin, im Kern könnte man diese Leute zurückgewinnen, indem man auf ihre Wünsche bzgl. der Thematik eingeht, zumal ich die Vermutung habe, dass viele dieser Leute im Kern eine klarere Hierarchisierung zwischen "Angestammten" und Fremden wollen, die wir ihnen aber aus verschiedenen Gründen weder liefern sollten noch wirklich liefern können.
*ich bin btw relativ skeptisch gegenüber dem Research-Design, um etwas in irgendeine Richtung zu sagen: Der durchschnittliche Bundestagswahlkreis umfasst 300.000 Einwohner, da sind ca. 90% derjenigen, die AfD gewählt haben, komplett mit dem Rest ihrer Stadt (und ggfs. anderen Städten/Umland) drin, dementsprechend schwierig werden Kausalaussagen. Selbst wenn du die Daten in kleineren Zensuseinheiten hättest (gibt btw ein sehr gutes Buch von Ryan Enos das gerade erschienen ist und das genau das macht, allerdings für den amerikanischen Kontext), wäre es anhand der Wahlstimmen schwierig, weil es offensichtlich gegenläufige Tendenzen gibt: Wer AfD eher aus Protest wählt der hat sicherlich komplett unabhängig von Fremden mehr Gründe dafür, wenn er in einer der schlechteren Gegenden von Essen oder Gelsenkirchen wohnt, wo die Ausländerquoten hoch und die Mieten und eingesetzten kommunalen Mittel eher gering sind)
In Großstädten wie in Rhein-Ruhr und Rhein-Main kann ich Dir recht sicher sagen, dass es so ist wie ich es beschrieben habe. [...]
Wenn sowas passiert freut sich die AfD in Großstädten ein Loch in den Bauch. Und solche Beispiele gibt es quasi am laufenden Band. Die haben meistens nur dann unmittelbar mit Flüchtlingen zu tun, wenn es um Kapitalverbrechen geht. Der Regelfall sind eigentlich: Organisierte Kriminalität durch Einbrecherbanden (überwiegende Mehrzahl Osteuropa), Diebesbanden (in der Regel Sinti/Roma), Drogen (Afrikaner/Libanesen), Massenschlägereien auf offener Straße mit behelfsmäßigen Waffen (Kurden, Libanesen, …). Und ja, das liest man eigentlich in der Lokalpresse regelmäßig, und damit meine ich alle 2-3 Tage mindestens. Organisierten Diebstahl aus dem Supermarkt habe ich auch schon ein paar Mal live mitbekommen.
Klar kannst Du das jetzt "mein subjektives Erleben" nennen, aber ich denke das ist grundfalsch. Dazu passiert es zu regelmäßig und zu weitverbreitet und auch in kleineren Städten quer durch Deutschland.
Wie gesagt, das halte ich einfach für nicht richtig, zumindest wenn du mit "am laufenden Band" meinst, dass sowas früher oder später im eigenen Leben oder im unmittelbaren Umfeld mit relativ hoher Wahrscheinlichkeit passiert. Die Leute lesen davon mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit in der Zeitung, aber Deutschland ist nun mal ein großes Land, irgendwo passiert Scheiße nun mal immer mit hoher Wahrscheinlichkeit bei 82 Millionen Menschen. Wenn die "Gewissheit" dadurch wiederhergestellt werden soll, dass wir die Leute noch in ihren unbegründeten Ängsten und Vorurteilen bestärken, als ob das die gelebte Realität in Deutschland wäre oder mal wird, tun wir uns imho einfach keinen Gefallen. Einen Drogenlibanesen gibt es immer irgendwo und auch wenn er ein neues Phänomen ist, sollte man den Leuten nicht nach dem Maul reden, als wäre die "Gewissheit" vor 15 Jahren so viel höher gewesen, als es noch ein Drogenjugoslawe war. Ich bin nicht alt genug um aus erster Hand zu beurteilen, wie es in Deutschland in den 70ern und 80ern so zuging, aber wenn es wirklich so harmlos war wie in der Retrospektive getan wird, verstehe ich nicht, wie die vergleichsweise hohe Kriminalitätsbelastung zustande kam. So zu tun als wäre der Bildzeitungsaufreger von gestern die tatsächliche Entfremdung von morgen erscheint mir jegenfalls relativ kontraproduktiv. Gibt eine gute Studie aus den USA (sorry, Deutschland nicht meine Baustelle) die zeigte dass über die Jahre die absolute Angst in der Bevölkerung mit leichten Schwankungen ziemlich konstant blieb, aber die Ziele der Angst komplett unbeständig waren. Ich denke da muss eindeutig Pushback kommen, wenn Leute hier so argumentieren wie Zweifeuerkraut es beispielsweise tut, als ob Kriminalität durch Flüchtlinge dramatischer ist als durch Angestammte, weil bei Flüchtlingen fehlende Dankbarkeit dazu kommt. Mechanistisch kann es natürlich andere Regeln geben (ich könnte bspw. wegen einer Haftstrafe nicht abgeschoben werden), aber die Schuld ist exakt die Gleiche, weil man eben als Individuum bewertet wird, NICHT als Teil einer Gruppe (nur dadurch kommt erst das Argument von der "Undankbarkeit" zustande, solange die Gruppe noch klein war hat niemand das als persönliche Bringschuld gesehen, sondern als staatliche Verantwortung, aufgeweicht erst dadurch, dass wir eben überfordert werden, für jeden die Verantwortung zu übernehmen, der Hilfe braucht).
Es MUSS klargemacht werden dass wir Verallgemeinerungen als Teil der Mehrheitsgesellschaft nicht akzeptieren können. Genau deshalb ist für mich die Aussage von Seehofer unmöglich, dass er als Privatmensch da auch mitdemonstriert wäre: Das war keine Demonstration gegen Mord oder kriminelle Flüchtlinge. Wohlwollend könnte man vielleicht behaupten, es ist eine Demonstration gegen Merkels Flüchtlingspolitik, aber wenn man mal ehrlich ist, wird man doch wohl (diesseits oder jenseits von "Hetzjagden") eingestehen müssen, dass es eine Demo gegen Flüchtlinge als solche war. Wer diese Unterscheidung (Flüchtlingspolitik vs. Flüchtlinge) nicht macht, der kann in unserer Demokratie bei dem Thema einfach nicht mitspielen und etwas anderes zu suggerieren ist unmoralisch und kontraproduktiv.
Die "richtige" Hautfarbe und/oder die "richtige" Ethnie sind auf der Mikro-Ebene weder notwendig noch hinreichend für ein funktionierendes Gemeinwesen und eine funktionierende Gesellschaft. [...] Sich auf Vorfahren o.ä. zu berufen ist vielleicht auch einfach nur eine unterbewusste Schutzbehauptung, weil man nicht zur gleichen Gruppe gehören will wie "die anderen", während der eigentlich relevante Unterschied das Alltagsverhalten ist.
Das wirft meines Erachtens zu viel durcheinander. Vieles davon (auf der Makro-Ebene) haben andere Staaten in Europa viel mehr als wir: Man denke nur an Frankreich und seine extrem stark ausgeprägte Identität, die immer (siehe Rogers Brubaker) das Ziel hatte, das Französischsein in die Welt zu tragen. Nur muss man es eben auch schaffen, dass die Neuankömmlinge diese Identität auch annehmen und da sehe ich kein Land, das das heute so richtig gut hinbekommt (klar, die USA haben es historisch gut hinbekommen, aber eben auch nur für die Gruppen, die der Mehrheitsgesellschaft sowieso schon vergleichsweise ähnlich waren, nicht jedoch für Schwarze und seit längerem auch nicht so wirklich für Latinos).
Auf der anderen Seite hast du Dinge, die keine staatliche Ebene oktroyieren kann: Wie soll man Petitessen regeln? Klar fände ich es besser, wenn ich in Berlin nicht im Bus stehe und merke, dass der Bus nicht vorankommt, weil zu viele Leute im Bus sind, aber jedes Mal wenn irgendwer freiwillig aussteigt drei neue Leute einsteigen wollen, man aber niemandem verständlich machen kann, dass jetzt schon zu viele Leute im Bus sind. Nur: Ich sehe nicht wie das gehen soll und ich glaube auch nicht wirklich, dass "Fremde" da eine übergeordnete Rolle spielen.
Die
Kriminalstatistik des BKA (Direktlink auf Tabelle ZR-TV-07-T50-TV) mag in Summe einen Rückgang darstellen, aber wenn Du Dir nur die nichtdeutschen Tatverdächtigen anschaust (verlinkt), dann sieht man leider einen recht deutlichen Trend nach oben für die letzten drei Jahre, und zwar bei genau den Tatbeständen die man vermuten würde: Sexualdelikte/Vergewaltigung, gefährliche/schwere Körperverletzung, Mord, Drogen, Raubüberfall. Alle diese Delikte zeigen in den letzten Jahren einen markanten Trend nach oben an, und zwar nicht um 5-10% sondern eher 20-30%. Da kann die Gesamtkriminalität zurückgehen wie sie will, man kann schlecht eine "Sachbeschädigung durch Grafitti" mit "Schwerer Körperverletzung" aufrechnen. Dass die Zahl der Rohheitsdelikte gerade mit nichtdeutschen Tatverdächtigen krass gestiegen ist, spielt eine ganz wesentliche Rolle in diesem Problemkomplex, und das Beschwichtigen mit "Aber insgesamt ist Deutschland sicherer geworden, plz lasst uns das Thema jetzt schnell beenden" ist nur wieder weitere Werbung für die AfD.
Das unterschlägt aber dramatisch, dass die meisten dieser Straftaten von Zuwanderern an Zuwanderern begangen werden. Über das Thema haben wir lang und breit im anderen Thread geredet, man muss im Grunde genommen mit der Lupe suchen, wenn man wirklich eine signifikant höhere Gefahr für die einheimische Bevölkerung ausmachen will.
Und mit "Sorgen der Menschen ernst nehmen" meinte ich persönlich zumindest nicht "meine Meinung in Richtung deren Meinung anpassen", sondern einfach nur es als real existierendes Problem wahrzunehmen anstatt "Pack" zu rufen und so zu tun als ob alles tutti wäre und nur ein paar Nazis stören. Nein, die Nazis hat die Politik selbst gerufen und gehegt und gepflegt.
Das ist ein bisschen, wo ich gerne konkret hören würde, was das bedeutet. Wo ich nämlich das Problem sehe ist nicht, dass die (wirklichen) Probleme nicht benannt oder diskutiert werden, sondern dass es für diese Probleme einfach keine schnelle Lösung gibt. Es ist ja schön zu sagen, viele dieser Typen hätten nicht mehr im Land sein sollen, aber die Tatsache, dass die Abschiebung überall in Europa ein Problem ist gepaart mit der Tatsache, dass die deutsche Regierung (gerade die CDU) sicherlich sehnsüchtig diese Abschiebungen möchte, um sich beim Wähler zu profilieren, sagt mir, dass das nicht so einfach ist wie gemeinhin angenommen oder unterstellt wird. Und dann kommt noch dazu, dass ich nicht wirklich glaube, dass das das zugrundeliegende Problem lösen würde: Klar war die Flüchtlingspolitik ein Katalysator für die AfD und klar ist die AfD ein besseres Vehikel um den diffusen Unmut auszudrücken als NPD oder Linkspartei, aber ich bezweifle dass man die AfD einfach so überflüssig machen könnte, selbst wenn man ihre Anstöße zu den "Sorgen" bzgl. Flüchtlinge komplett umsetzen würde, eben weil ich nicht wirklich glaube, dass Flüchtlinge das eigentliche Problem sind.